Скачать книгу

      

       Vorwort des Herausgebers der Heftreihe

      Jules Verne gilt als ein Autor, der seiner Zeit weit voraus war. Knapp einhundert Jahre, bevor Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betrat ersann Verne z.B. die Idee einer bemannten Mondreise. Und 142 Jahre bevor die Deepsea Challanger eine Tiefe von 11.000 Meter erreichte, war die „Nautilus“ in Vernes Roman schon doppelt so tief getaucht. Wenn es also einen Vertreter der Gattung Unterhaltungsliteratur gibt, der von sich behaupten kann, „vor der Lage“ gewesen zu sein, dann ist es Jules Verne.

      Das Thema Voraussicht spielt in seinen Romanen häufig eine zentrale Rolle. Die Helden seiner Geschichten behaupten anfangs stets, alles bedacht und alle Eventualitäten einkalkuliert zu haben. Man stelle sich vor, es bliebe dabei! Spannend werden die Romane letztlich, weil das Unvorhersehbare eintritt.

      Wir lernen in Vernes Roman „In 80 Tagen um die Welt“ mindestens drei Erscheinungsformen der Interaktion von Mensch und Zukunft kennen: die mathematische Vorausplanung, den Riecher und das Schicksal.

      Erst einmal zur mathematischen Vorausplanung:

       „’Man muss mathematisch genau aus den Eisenbahnen in die Packetboote, und aus den Packetbooten in die Eisenbahnen springen!’

       ‚Ich will den Sprung mathematisch genau vornehmen.’“

      Dann der Riecher, den wir beim Polizisten Fix antreffen:

       „Solche Leute wittert man vielmehr, als dass man sie erkennt. Man muss Spürkraft besitzen, die ist gleichsam ein besonderer Sinn, bei welchem Gehör, Gesicht und Geruch zusammen wirken.“

      Und dann auch noch das Schicksal:

       „’Wir hätten die Reise um die Erde in nur achtundsiebenzig Tagen fertig bringen können.’

       ‚Allerdings’, erwiderte Herr Fogg, ‚wenn wir nicht durch Indien gefahren wären. Aber hätten wir nicht diesen Weg genommen, so hätte ich nicht Mrs. Aouda retten können, und dann wäre sie nicht meine Frau.’“

      Wenn Polizei vor die Lage kommen will, dann sind nicht selten alle drei – und mehr - Aspekte an einer Bewirtschaftung des Zukünftigen beteiligt.

      Es zeigt sich: der polizeiliche Anspruch, „vor die Lage“ zu kommen ist ein weites Feld. Ich freue mich, dass in dem aktuellen Heft dieses Feld in den für diese Reihe typisch kurzen Texten abgesteckt wird, sodass sich ein Eindruck davon vermittelt, was es bedeuten kann, wenn Polizei präventiv tätig ist.

      10.000 Zeichen pro Beitrag maximal führt zwar vielleicht dazu, dass nicht alles geschrieben wird, was von Relevanz wäre. Zugleich ermöglicht die Kürze der Texte aber, dass sie miteinander in Dialog treten und sich das abzeichnet, was sich Wissenschaft vom Dialog seit jeher erhofft: Erkenntnis.

      Prof. Dr. Jonas Grutzpalk

      Bielefeld im August 2020

      Inhalt

      Vorwort zum aktuellen Heft (J. Grutzpalk)

      Der präventive Horizont (M. Leanza)

      Wie Prävention und Repression verschleifen (S. Golla)

      Wenn die Polizei auf dem Stundenplan steht (B. Thinnes)

      Das polizeiliche Gefahrenabwehrrecht in der Verkehrsunfallprävention (P. Schlanstein)

      Kurve Kriegen (W. Wendelmann)

      Vor die Lage kommen als Führungsaufgabe (Th. Baadte)

      Terrorism Prevention: A Comparative Analysis between the United Kingdom and Israel (C. Kaunert, M. Edwards, O. Wertmann)

      Predictive Policing: Prävention on Steroids? (S. Egbert)

      Predictive Policing Systeme. Welche Zukunft wird präsentiert? (N. Jansen)

      Vorausschauendes Polizieren braucht eigentlich keine Polizei (N. Zurawski)

      Prävention durch Reflexion (M. Schophaus)

      Die Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendienst Nachrichtendienst als Teilbereich einer rechtsstaatlichen Präventionspolitik (G. Meyer-Plath)

      Präventionsarbeit bei Großveranstaltungen: Chancen interorganisationaler Zusammenarbeit (A. Kuche)

      Vom Wolf zum Virus. Erkenntnisse über polizeiliche Prävention (J. Grutzpalk)

      Vorwort zum aktuellen Heft

      Die Idee, in diesem Heft sehr unterschiedliche Stimmen zum Thema der polizeilichen Prävention zu Wort kommen zu lassen begründet sich damit, dass der polizeiliche Präventionsbegriff viele Fragen offen lässt. „Vor die Lage kommen“ zu wollen ist ein wichtiger Anspruch, aber wie er rechtlich, begrifflich, technisch, im polizeilichen Alltag und in Kooperation mit anderen Behörden umgesetzt wird, ist noch nicht systematisch erhoben worden. Dieses Heft möchte einen ersten Anstoß dazu liefern, sich dem Thema der polizeilichen Prävention umfassender zu widmen.

      Doch die Frage, wie das denn gehen soll, vor die Lage zu kommen ist alles andere als banal. Sie beginnt schon damit, dass es offensichtlich eines kulturellen Kontextes bedarf, der Zukunft als etwas versteht, das vor einem liegt. Die in den Anden lebenden Aymara begleiten Beschreibungen vergangener Geschehnisse z.B. mit nach vorne zeigenden Gesten, während sie über die Zukunft sprechen, indem sie hinter ihren Rücken zeigen. Es bedarf einer die gesamte Gesellschaft ergreifende „Entdeckung der Zukunft“ (Hölscher), um präventiv arbeitende Behörden überhaupt für denkbar zu halten.

      Nun kennt die Menschheit schon seit langem das Bemühen darum, die Welt der Zukunft zu kennen, um sich auf sie einstellen zu können. Hier ist insbesondere an die Mantik zu denken, die gemeinhin als Kunst verstanden wird die Zeichen der Zeit richtig zu deuten (Hogrebe). Mantik ist eine Art sakrales Vorauswissen, das sich aus Quellen wie Träumen, Vogelflug, göttlicher Inspiration oder Loswurf speisen kann. Wir kennen mantische Erfahrungen heute noch in Form von „Ahnungen“ oder – im beruflichen Kontext – auch als „Riecher“. Fast überall lassen sich spätestens seit der Bronzezeit (häufig auch beamtete) Fachleute für solch ein Vorauswissen finden (z.B. 1. Mose, Kap. 41).

      Doch der moderne Staat, der sich durch so vieles auszeichnet, ist nicht zuletzt auch ein vor(aus)-sichtiger Staat (Ewald/Gollier/ Sandeleer), dem Mantik für seine Bedürfnisse nicht reichen kann. Der moderne Staat schreibt sich Vor- und Für-Sorge genauso auf seine Fahnen wie die Prä-Vention (also: das vor-die-Lage-Kommen) seiner Ordnungs- und Sicherheitsbehörden. Es ist Matthias Leanza zu verdanken, dass in diesem Heft ein historischer Rückblick zu finden ist, der die Entwicklung dieses Präventionsgedankens seit der Aufklärung veranschaulicht. Und Sebastian Golla zeigt in seinem Beitrag, dass die Rechtssphären von polizeilicher Repression und Prävention noch lange nicht deutlich voneinander getrennt sind, sondern vielmehr ineinander „verschleifen“.

Скачать книгу