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Zivilprozessrecht. Irmgard Gleußner
Читать онлайн.Название Zivilprozessrecht
Год выпуска 0
isbn 9783811475212
Автор произведения Irmgard Gleußner
Серия JURIQ Erfolgstraining
Издательство Bookwire
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Wird im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) Klage erhoben, ist fraglich, ob das Gericht auch andere Ansprüche, wie vertragliche Ansprüche, zusätzlich prüfen darf. Dies war lange streitig und wurde unter dem Stichwort „Gerichtsstand des Sachzusammenhangs“ diskutiert. Mittlerweile hat der BGH seine frühere Rechtsprechung aufgegeben und entschieden, dass das Gericht den Rechtsstreit unter allen rechtlichen Gesichtspunkten entscheiden darf. Begründet wird dies mit der analogen Anwendung des § 17 Abs. 2 S. 1 GVG.[52]
bb) Gerichtsstand des Erfüllungsorts (§ 29 ZPO)
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Im Gerichtsstand des Erfüllungsorts (§ 29 ZPO) können Streitigkeiten aus Vertragsverhältnissen erhoben werden. Dazu gehören etwa Schadensersatzansprüche aus Vertrag (z.B. §§ 280, 281, 283, 286, 311a, 437 Nr. 3, 634 Nr. 4 BGB), aus c.i.c. (§§ 280, 311 Abs. 2 BGB), Ansprüche wegen Minderung (§§ 437 Nr. 2, 441 BGB) oder Rücktritt (§§ 437 Nr. 2, 323, 346 BGB).[53] In derartigen Fällen kann der Kläger den Beklagten statt an dessen Wohnsitz auch am Erfüllungsort (= Leistungsort §§ 269, 270 Abs. 4 BGB) verklagen. Zu beachten ist, dass es keinen einheitlichen Erfüllungsort für den ganzen Vertrag gibt, sondern dieser eigenständig nach dem geltend gemachten Anspruch beurteilt werden muss.[54] Wichtig ist noch, dass vertragliche Vereinbarungen über den Erfüllungsort (etwa in Allgemeinen Geschäftsbedingungen = „im Kleingedruckten“) nur zwischen Kaufleuten möglich sind (§ 29 Abs. 2 ZPO).
Ausgangsfall
Vorliegend streitet Mona mit der V-GmbH über Gewährleistungsansprüche aus einem Kaufvertrag (§ 437 BGB). Eine Streitigkeit aus einem Vertragsverhältnis i.S.d. § 29 ZPO liegt somit vor. Fraglich ist allerdings, wo der Erfüllungsort = Leistungsort für die Ersatzlieferung der Fliesen (§§ 437 Nr. 1, 439 BGB) und die Zahlung der Austauschkosten (§ 439 BGB) ist. Der Leistungsort ist nach §§ 269, 270 BGB für jede vertragliche Verpflichtung eigenständig zu bestimmen. Leistungsort ist im Zweifel der Wohnort/Sitz des Schuldners (Holschuld § 269 Abs. 1 BGB). Dies gilt auch für Geldschulden (§ 270 Abs. 4 mit § 269 BGB). Der Leistungsort für den Nacherfüllungsanspruch aus § 439 BGB ist umstritten. Nach Ansicht des BGH ist mangels spezieller Regelungen im Kaufrecht § 269 BGB maßgebend (Parteivereinbarung, Natur des Schuldverhältnisses, im Zweifel Sitz des Schuldners = Verkäufers).[55] Bei Alltagsgeschäften ist Nacherfüllungsort daher regelmäßig der Sitz des Verkäufers. Bei eingebauten Sachen (Bodenfliesen) kommt es (wegen der Umstände und der Natur des Schuldverhältnisses) auf den Ort an, an dem sich die Kaufsache bestimmungsgemäß befindet (Belegenheitsort).[56] Dies wäre nicht der Firmensitz der V-GmbH, sondern die Wohnung von Mona. Erfüllungsort ist also der Wohnsitz von Mona in Köln. Zwischen dem besonderen Gerichtsstand und dem allgemeinen Gerichtsstand hat Mona die Wahl (§ 35 ZPO). Folglich könnte Mona ihre Klage auch im allgemeinen Gerichtsstand der V-GmbH erheben (§ 17 ZPO). Das wäre der Sitz der Firma in Köln. Somit bleibt für Mona die Wahl zwischen Köln und Köln.
cc) Gerichtsstand für AGV (§ 29c ZPO)
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Die ZPO verweist hier auf das BGB. Seit 2014 gibt es im BGB neue Begrifflichkeiten! Lesen Sie zunächst § 312b BGB (Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge = die früheren Haustürgeschäfte) und § 13 BGB (Verbraucher) aufmerksam durch.
§ 29c Abs. 1 S. 1 ZPO privilegiert den klagenden Verbraucher (§ 13 BGB). Nimmt der Verbraucher die Rolle des Klägers ein, kann er bei Streitigkeiten aus AGV = Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (§ 312b BGB) auch an seinem „Wohnsitzgericht“ prozessieren. Es handelt sich um einen besonderen Gerichtsstand. Eine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung ist unzulässig.[57] Der Verbraucher kann das Unternehmen aber auch an dessen allgemeinen Gerichtsstand, dem Sitz des Unternehmens (§ 17 ZPO), verklagen. Der Verbraucher hat die Wahl (§ 35 ZPO). Erhebt der Unternehmer Widerklage, ist das vom Verbraucher gewählte Gericht auch für die Widerklage zuständig (§ 29c Abs. 2 ZPO).[58] Abgrenzung: Ist der Verbraucher Beklagter, ist das Wohnsitzgericht des Verbrauchers ausschließlich für den Streitfall zuständig (§ 29c Abs. 1 S. 2 ZPO). Hier gibt es kein Wahlrecht für das klagende Unternehmen zu Lasten des Verbrauchers. Exkurs: Für grenzüberschreitende Streitigkeiten im EU-Raum gibt es zugunsten des Verbrauchers den Wohnsitzgerichtsstand nach Art. 17, 18 EuGVO.
dd) Gerichtsstand Datenschutz
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Das reformierte BDSG wird parallel mit der EU-Datenschutz-Grundverordnung am 25.5.2018 in Kraft treten. Für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche bei Verstößen gegen das Datenschutzrecht hält es zwei besondere Gerichtsstände bereit. Nach § 44 Abs. 1 BDSG (n.F.) kann entweder an jedem Ort der Niederlassung des Verantwortlichen geklagt werden oder am Ort des gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers (= Heimatgericht).[59]
c) Ausschließliche Gerichtsstände
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Ein ausschließlicher Gerichtsstand geht dem allgemeinen und den besonderen Gerichtsständen zwingend vor (§ 12 a.E. ZPO). Die wichtigsten ausschließlichen Gerichtsstände sind der dingliche Gerichtsstand (§ 24 ZPO), der Gerichtsstand bei Miet- oder Pachträumen (§ 29a ZPO), der Gerichtsstand bei falschen Kapitalmarktinformationen (§ 32b ZPO) sowie der Verbrauchergerichtsstand bei Urheberrechtsverletzungen (§ 104a UrhG).
Hinweis
Ein besonders wichtiger ausschließlicher Gerichtsstand ist der ausschließliche Gerichtsstand bei AGV (= Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge § 312b BGB), sofern der Verbraucher in der Rolle des Beklagten ist (§ 29c Abs. 1 S. 2 ZPO). Hier ist örtlich stets das Gericht am Wohnsitz des Verbrauchers zuständig. Die Überschrift dieser Vorschrift ist etwas irreführend, weil sie das Wort „ausschließlich“ nicht enthält.
6. Zuständigkeitsvereinbarungen
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Die Gerichtsstände dienen vor allem dem Schutz des Beklagten. Daher sind abweichende Gerichtsstandsvereinbarungen durch (Prozess-)vertrag (= Prorogation) nur unter strengen Voraussetzungen (§§ 38, 40 ZPO) möglich. Gerichtsstandsvereinbarungen werden häufig „im Kleingedruckten“ (in Allgemeinen Geschäftsbedingungen) platziert und sind stets auf ihre Wirksamkeit in folgender Reihenfolge zu prüfen:
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