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Sie ja vollkommen durch!“, kam ein unwirscher Zwischenruf. Stanislaw versuchte diesen unverschämten Kerl in der Menge auszumachen, konnte ihn aber nicht erkennen. „Wir sollen mit den einfachen Bauern verhandeln?“, offenbarte sich der Mann schließlich, indem er aufstand. Er war rundlich mit einem Vollbart und trug einen dunklen Anzug samt passenden Zylinder. Der Mann legte in gekünstelter Entrüstung nach: „Dann können wir ja gleich unsere eigenen Arbeiter fragen, was die sich so alles wünschen!“

      „Das wäre vielleicht gar keine schlechte Idee“, beendete Major Stein die Triade des Zwischenrufers. Der Kommentar sorgte augenblicklich für Ruhe im Senatssaal und machte den hünenhaften Major zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Genau wie Stanislaw war auch Wolf Stein kein ordentliches Mitglied des Senats, sondern nur in beratender Funktion anwesend. Der Riese mit dem aschblonden Haar war sicherheitspolitischer Ratgeber der Vorsitzenden und ihr persönlicher Leibwächter zugleich. „Ich möchte nur daran erinnern, welche Sprengkraft sich aus der sozialen Situation vieler Arbeiter in den Fabriken für die gesamte Stadt ergeben könnte“, bemerkte er eindringlich. „Davon einmal abgesehen, dass die Cholera im Äußeren Bezirk um sich greift und die Unzufriedenheit auch dort von Tag zu Tag wächst.“

      „Sie hören sich ja schon an, wie einer von diesem Gewerkschaftsgesocks!“, donnerte ihm der rundliche Mann mit Zylinder entgegen. Sein Gesicht war inzwischen rot angelaufen und er gestikulierte wild mit seinen Händen. „Wie nennen die sich doch gleich … Die Gemeinschaft der Ausgebeuteten! Wenn es nach mir ginge, sollten wir diese Bastarde dahin zurücktreiben, wo sie herkommen!“

      „Zum Glück geht es hier aber nicht nur nach Ihnen“, entgegnete Wolf vollkommen unbeeindruckt. „Es geht um die Interessen des Senats - und somit um die Interessen der gesamten Stadtbevölkerung.“ Das Starren des Majors verunsicherte den Zwischenrufer, was nicht verwunderlich war, wenn man die Erscheinung Steins berücksichtigte. Der Mann überragte nicht nur Stanislaw und die meisten seiner Mitmenschen um eine Haupteslänge, seine Schultern waren auch dermaßen breit, dass sich zwei ausgewachsene Männer hinter dem Major zu verstecken scheinen konnten. Die autoritären, grauen Augen und der militärische Kurzhaarschnitt rundeten das Bild lediglich ab.

      Der arme Major sollte sich mal einen vernünftigen Barbier zulegen, dachte Stanislaw abschätzig als der Major nun näher an den Verhandlungstisch herantrat und der rundliche Schreihals sich kleinlaut wieder auf seinen Stuhl setzte. Stanislaw genoss das Schauspiel in vollen Zügen.

      „Ich meine nur, dass die Unzufriedenheit der Arbeiter zu einem Sicherheitsrisiko für alle Bewohner werden kann“, erläuterte Stein mit fester Stimme. „Sollte es zu einem Aufstand kommen, wäre die Stadtwache nicht in der Lage, diesen wieder unter Kontrolle zu bringen.“

      „Aber …“, setzte der Zwischenrufer nochmals an.

      „Meine Herren, bitte“, beendete Stefanie Seidel den Disput der beiden Männer, „so sehr ich ihre kompetenten Beiträge auch schätze, müssen wir zu unserer ursprünglichen Fragestellung zurückkehren.“ Die Senatsvorsitzende warf den beiden Streithähnen einen beschwichtigenden Blick zu, wobei sich ihr Blick von Person zu Person unterschied: Während sie mit ihrem Blick den Industriellen höflich, doch bestimmt zum Schweigen aufforderte, war bei ihrem Leibwächter noch etwas Anderes in ihrem Blick. Nur eine Kleinigkeit.

      Stanislaw, der noch immer mit verschränkten Armen an der Wand lehnte, legte interessiert den Kopf zur Seite. Stefanie hatte mit ihren strohblonden Locken und blauen Augen schon als Heranwachsende allen Männern – und beinahe auch ihrem Privatdozenten - den Kopf verdreht. Wieso sollte das gerade bei ihrem persönlichen Leibwächter etwas Anderes sein?

      „Die Frage ist nach wie vor, ob und wie wir mit dem Verband der Großgrundbesitzer verhandeln sollen“, erinnerte sie die Senatsmitglieder.

      „Frau Senatsvorsitzende“, meldete sich Claudia Sonnerich erneut zu Wort, „sagen wir mal, der Senat entscheidet sich zu Verhandlungen mit den Großgrundbesitzern. Wie wollen wir diese in unserem Sinne überzeugen? Sicherlich, wir können ihnen allerhand Waren aus unseren Fabriken bieten - doch können sie diese auch einfach auf dem Handelsweg beziehen. Zudem pflegen die Großgrundbesitzer eine sehr enge Beziehung zum Königshof von Wieland III. in Schwarzenheim.“

      „Sie meinen wohl: Die Großgrundbesitzer stecken im Arsch von König Wieland III.!“, donnerte der rundliche Mann mit Vollbart wieder dazwischen, „und Wieland III. steckt wiederum im Arsch der Kaiserin!“

      „Richtig“, stimmte die Senatsvorsitzende distanziert zu, „es gibt eine enge Verbindung zwischen den südlichen Großgrundbesitzern, unserem König und dem Kaiserreich. Deswegen freut es mich auch, dass ich Ihnen mitteilen darf, dass ein Abgesandter der Kaiserin in den kommenden Tagen in Freistadt für ein persönliches Gespräch mit mir eintrifft“. Das war ein Schlag ins Gesicht für alle Anwesenden im Plenum. Und auch Stanislaw war überrascht von dieser Ankündigung. „Das Kaiserreich hat mich vor Kurzem selbst um diesen Termin gebeten“, fuhr die Senatsvorsitzende ungerührt fort.

      „Aber sollte sich nicht lieber der gesamte Senat mit dem Abgesandten treffen?“ Stanislaw bekam nicht mit, wer genau diese Frage gestellt hatte. Es war gerade auch nicht von Belang, da sich seine eigenen Gedanken in seinem Kopf überschlugen.

      „Das Kaiserreich hat ausdrücklich um ein Treffen mit mir persönlich gebeten“, beschwichtigte Stefanie die Bedenken. „Zudem werde ich keine verbindlichen Einigungen ohne eine erneute Rücksprache mit Ihnen eingehen. Auch wissen wir aktuell nicht, was das Kaiserreich überhaupt von Freistadt möchte. Wir wissen nur, dass der Abgesandte ohne Abstimmung mit Wieland III. zu uns kommt. Wir müssen diese Möglichkeit als Chance sehen und das Beste für Freistadt herausholen.“

      Nachdenkliches Nicken beherrschte den Senatssaal. „Zudem beabsichtige ich nicht, alleine mit dem Abgesandten zu sprechen“, verdeutliche die Vorsitzende ihr Wohlwollen gegenüber dem Senat. „Zum einen wird Major Stein als mein Berater für Sicherheitsfragen vor Ort sein.“ Ein kurzes Nicken des Leibwächters. „Zum anderen möchte ich gerne Professor Dr. Stanislaw von Weidenheim in die Gespräche miteinbeziehen.“ Dabei verwies die Senatsvorsitzende mit einer Handgeste auf Stanislaw, der noch immer mit verschränkten Armen an der Wand lehnte. „Wie Sie alle wissen, handelt es sich bei Professor Dr. von Weidenheim nicht nur um einen ausgewiesenen Experten der Elementarmagie und den Dekan der hiesigen Fakultät der Akademie der Zauberkünste, sondern auch um einen großen politischen Kenner des Kaiserreiches.“ Die Blicke der Senatsmitglieder ruhten auf ihm. „Selbstverständlich nur, insofern Professor von Weidenheim meiner Einladung entspricht.“

      „Es ist mir eine Ehre, werte Senatsvorsitzende“, entsprach der Magier höflich der Bitte und löste sich von der Wand. Ein kurzes und anerkennendes Klatschen folgte aus den Reihen der Senatsmitglieder, welches Stanislaw wiederholt mit einem dezenten Nicken quittierte.

      „Dann kommen wir zum nächsten Punkt auf unserer heutigen Agenda…“, beendete die Senatsvorsitzende unvermittelt die gegenseitigen Höflichkeitsbekundungen und konzentrierte sich wieder auf ihre Unterlagen. Stanislaw von Weidenheim hörte der Senatssitzung nicht weiter zu, sondern widmete sich wieder dem Nachthimmel über Freistadt. Er musste unbedingt herausfinden, welchen Plan seine ehemalige Schülerin wirklich verfolgte.

      6

      Der Hinkende Stoffel war eine Taverne, wie es sie zu hunderten im Königreich gab. Beim Trinken unterschied sich Freistadt nicht von den anderen Provinzen. Ismail durchschritt die Eingangstür und augenblicklich schlug ihm der Geruch von Bier, Tabak und Sonnentänzer, einem weit verbreiteten Rauschkraut, entgegen. Ferner wich die drückende Dunkelheit der nächtlichen Straßen einem dämmrigen Licht aus Kerzen und Kaminfeuer, deren Flackern den Schankraum beherrschte. Unaufhörlich tanzten die, ihren realen Abbildern entflohenen, Schatten auf Boden und Wänden. Nachdem der Waldläufer die schwere Eichentür hinter sich geschlossen hatte, hüllte ihn endgültig die wohlige Wärme des Lasters und der Ausgelassenheit ein.

      Noch bevor er seine dunkelgrüne Kapuze zurückzog und somit sein Gesicht der Öffentlichkeit preisgab, ließ der Waldläufer seine Augen aufmerksam durch den Raum wandern - auf den ersten

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