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bereits über uns beide Bescheid weiß.“ Liebevoll nahm die Senatsvorsitzende die starke Hand ihres Leibwächters in die eigenen.

      „Ich hatte es vermutet“, bemerkte Stanislaw teilnahmslos, öffnete den obersten Knopf seines Sakkos und nahm auf einem der Stühle Platz. Das Interesse des Magiers galt in diesem Moment nicht einer verheimlichten Liebesbeziehung, sondern etwas weitaus Greifbareren. Nämlich dem Dolch auf dem Schreibtisch.

      Es handelte sich eindeutig um einen militärischen Dolch: scharfe Schneide auf der einen, und improvisierte Säge auf der anderen Seite der Klinge. Obgleich Stanislaw schon allerhand Dolche gesehen hatte, zog dieser ihn aus irgendeinem unerfindlichen Grund in seinen Bann. Nachdenklich sortierte er sich auf seinem Stuhl, welcher weitaus gemütlicher als jener vor dem Büro war.

      „Was wollte der Abgesandte von dir?“, fragte Stein besorgt. „Und warum kam er mitten in der Nacht und ohne Begleitung nach Freistadt?“ Der Major ignorierte Stanislaw vollends und hatte in diesem Moment nur noch Augen für seine Geliebte.

      „Er überbrachte ein Angebot der Kaiserin, welches nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war.“

      Theatralisch hielt Stanislaw den Dolch zwischen Daumen und Zeigefinger in die Luft. Die Waffe war schwerer als vermutet. „Nur ein Angebot?“

      „Dazu komme ich gleich“, entgegnete Stefanie knapp und bat Wolf mit einer Geste endlich Platz zu nehmen. „Der rasante Aufschwung unserer Stadt hat die Aufmerksamkeit der Kaiserin – und in gewissen Maße auch ihr Missfallen erregt“, erklärte sie. „Sie ist überaus interessiert an der Technik in unseren Fabriken. Vor allem seitdem sie erfahren hat, dass wir seit geraumer Zeit Eisen- und Stahlerzeugnisse in Masse produzieren.“ Die Vorsitzende seufzte. „Für ein auf Expansion ausgelegtes Reich, wie das Kaiserreich, ist dies anscheinend weitaus interessanter als die schnöde Textilproduktion.“

      Stanislaw wog die Waffe noch immer in seiner Hand. „Eisen- und Stahlerzeugnisse … nette Umschreibung für Waffen und Kriegsgerät.“ Er fokussierte seine ehemalige Schülerin. „Wann seid ihr denn in den Fabriken von Töpfen und Pfannen hierzu gewechselt?“

      „Und wie konnte die Kaiserin davon erfahren?“, unterbrach ihn der Major, nachdem er sich endlich gesetzt hatte. „Hat sie etwa Spione in Freistadt?“

      „Mit Blick auf die soziale Lage der Fabrikarbeiter würde es mich nicht wundern, wenn diese für ein paar Reichsmark alle Geheimnisse der Welt an jeden weitergeben“, beantwortete Stanislaw die Zwischenfrage ohne Stefanie aus dem Blick zu lassen. „Also Stefanie … warum Waffen? Und warum in diesem Ausmaß?“ Noch während er die Frage stellte, fiel es dem Magier wie Schuppen von den Augen. Der Dolch zwischen seinen Fingern war das fehlende Puzzleteil. Das entscheidende Detail. Nun ergab alles einen Sinn.

      „Ein Krieg?“, stieß er ungläubig hervor. „Ein Krieg gegen das Kaiserreich?“ Stanislaws ehemalige Schülerin zuckte nicht einmal mit einer Wimper. „Deswegen die Befreiung der Bauern im Süden … du benötigst so schnell wie möglich arbeitsfähige – oder besser wehrfähige – Männer. Du stellst heimlich eine Armee auf! Und während Freistadt die Waffen besorgt, liefert der Süden die Soldaten … weiß der Senat davon?“ Ein Zucken in dem blond gelockten Engelsgesicht.

      „Stanislaw, bitte überstürze jetzt nichts“ begann Stefanie behutsam. „Nein, der Senat hat keine Ahnung von meinem Plan. Ich verfolge meine eigenen Ziele - doch lass mich dir zuerst meine Beweggründe erklären.“ Die Senatsvorsitzende war vollkommen gefasst, als sie die Bitte aussprach und entgegen seiner inneren Anspannung nickte der Magier zustimmend. Zu Stein brauchte er gar nicht erst hinüberblicken. „Stanislaw, wir sehen uns aktuell einer Chance gegenüber, die vielleicht niemals wiederkehren wird“, erklärte die Senatsvorsitzende.

      „Wer ist wir?“, unterbrach er sie augenblicklich.

      „Mit wir meine ich die vereinten Fünf Provinzen - und alle Menschen, Alben und Zwerge, die diese bewohnen. Wir alle leben seit den Einungskriegen unter der Herrschaft des Kaiserreichs. Einem Kaiserreich, das uns von einem anderen Kontinent aus beherrscht und keinerlei Interesse für unsere Belange hat. Das Einzige, was das Kaiserreich wirklich interessiert, sind die Zölle und Steuern, die sie uns abzwingen – für einen kaiserlichen Schutz, um den niemand in den Fünf Provinzen gebeten hat. Das ist eine verdammte Besatzung. Und was macht unser König, der ehrenwerte Wieland III.? Er kuscht vor der Kaiserin, wo er nur kann!“

      Hiermit hatte Stefanie nicht ganz unrecht. Das Kaiserreich befand sich tatsächlich auf einem anderen Kontinent als die Fünf Provinzen. Die einzige Verbindung, die zwischen ihnen existierte, war eine gewaltige Brücke, welche die Meerenge von Schwarzenheim im Osten überspannte. Und der Umstand, dass alle großen Handelsstraßen im Königreich mit kaiserlichen Zollstationen geradezu gepflastert waren, sprach für sich. Er beugte sich vor: „In Ordnung, Stefanie. Das Kaiserreich hat die Fünf Provinzen in einem brutalen und langwierigen Krieg unterworfen, nur um sich dann an diesen zu bereichern. Wir alle wissen das … doch wie ist deiner Meinung nach den Bewohnern der Provinzen mit einem erneuten Krieg gegen das Kaiserreich geholfen? Ein solcher Konflikt wäre nicht weniger entbehrungsreich als der erste.“

      Obwohl er einen direkten Angriff auf das Kaiserreich in der jetzigen Situation als aussichtslos bewertete, wollte er die Idee nicht sofort verwerfen. Zum einen hegte Stanislaw als Magier eine ganz persönliche Abneigung gegenüber dem Kaiserreich und zum anderen barg Stefanies Vorhaben eine enorme Gefahr für die Akademie der Zauberkünste selbst.

      „Wir können den Bewohnern der Fünf Provinzen durch diesen Krieg die Möglichkeit zurückgeben, selbst über ihr Schicksal zu bestimmen“, erklärte Stefanie überzeugt. „Als eine geeinte Nation und ganz ohne die Lasten und Einmischungen der Kaiserin.“

      „Selbst über ihr Schicksal bestimmen? So wie in Freistadt?“ Stanislaw lehnte sich wieder zurück. „Was denkst du, hält Wieland III. von deiner Idee? Eine Monarchie und ein Volk, dass selbst über sein Schicksal bestimmt … passt nicht so recht zusammen, oder?“

      „Aus diesem Grund gilt es nicht nur das Kaiserreich, sondern auch Wieland III. und seinen gesamten Hofstaat aus den – von nun an – Freien Provinzen zu vertreiben.“

      Nun war Stanislaw doch erstaunt. Stefanie plante nichts Geringeres, als die gesamte Gesellschaftsordnung der Fünf Provinzen auf den Kopf zu stellen.

      „Nun gut.“ Er wollte diesen Punkt zunächst auf sich beruhen lassen. „Gehen wir davon aus, du schaffst es, diese Armee aufzustellen und die Provinzen unter deiner Führung zu vereinen - wie gedenkst du das Kaiserreich in einer offenen Auseinandersetzung zu schlagen?“ Sein Blick wanderte nun doch zum Major, der ihrer Diskussion gespannt folgte. “Ich meine, wir alle haben den Abgesandten mit eigenen Augen gesehen: Die Kaiserlichen sind allen Menschen, Alben und Zwergen physisch dermaßen überlegen, dass eure Streitkraft eine unbeschreibliche Überzahl an Soldaten benötigen würde. Und die hat sie nicht.“

      „Wir müssen sie gar nicht besiegen“, bemerkte Stefanie überzeugt, „wir müssen lediglich die kaiserlichen Verbände innerhalb der Provinzen loswerden oder über die Meerenge zurücktreiben. Wer die Meerenge von Schwarzenheim kontrolliert, kontrolliert den einzigen Landzugang zu den Fünf Provinzen. So wie es unsere Vorväter über Jahrhunderte taten, bevor wir die Einungskriege verloren.“

      „Du meinst: Bevor die Magier ihre Macht eingebüßt haben“, konkretisierte Stein die Aussage der Vorsitzenden.

      Bevor die Magier ihre Macht eingebüßt haben …, hallte es Stanislaw durch den Kopf. Für einen einfachen Krieger sicherlich eine eingängige und simple Erklärung. Jedoch ist die Realität dann doch nicht so einfach. Über Jahrhunderte waren die Magier der Akademie Garant für die Freiheit der Provinzen. Denn, obwohl die Kaiserlichen im Zweikampf alle Vorteile auf ihrer Seite hatten, besaßen ihre Streitmacht einen entscheidenden Nachteil: in ihren Reihen gab es keine Zauberkundigen. Das kaiserliche Volk besaß von Natur aus schlichtweg keinerlei magische Begabung. Sie konnten nicht zaubern – noch nie. Und so waren es die Magier der Akademie gewesen, die die Kaiserlichen durch ihre vereinte Zauberei so lange am Überschreiten der Meerenge gehindert hatten.

      Doch

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