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Fahrstuhl rauf aufs Dach, steckte sich eine Pfeife an und sah den Schiffen hinterher. Er vermisste die See, aber nicht nur, weil er Salzluft in der Nase brauchte. Sondern auch, weil ihm diese kleine Welt da draußen viel übersichtlicher erschien.

      Ein Kapitän zu sein, das bedeutet auch, an Bord Einsamkeit ertragen zu lernen. „Sich als Kapitän mit der Mannschaft gemeinzumachen, das geht gar nicht“, erzählte Manfred Scharrnbeck, eine echte Hamburger Legende. Für ihn war es gleichbedeutend mit dem Verlust von Autorität und dem eigenen Anspruch. Dass sich in früheren Zeiten nicht wenige Seeleute dem Alkohol zuwandten, ist auch kein Geheimnis.

      Die Anforderungen haben sich geändert. „Ich kann das Schiff gar nicht alleine an die Pier bekommen“, sagt Kapitän Nicole Langosch, „dafür braucht es einfach das Team.“ Ihr Beispiel zeigt, wie sich die Welt der Seefahrt langsam verändert. Noch ist es eine Welt der Männer:

      Von etwas mehr als tausend deutschen Kapitänen in der Fracht- und Flussschifffahrt sind knapp ein Dutzend weiblich, die „Frauenquote“ auf der Brücke liegt bei etwa einem Prozent. Negative Erfahrungen habe sie nie gemacht, berichtet Frau Langosch in ihrer Geschichte. Für junge Frauen, die sich für einen Beruf auf See interessieren, ist die Wahl-Hamburgerin so etwas wie ein Rollenmodell.

      Eines aber ist auch klar: „Ein Schiff lässt sich nicht an die Pier diskutieren“, so sagte das ein Kapitän. Was bedeutet, dass am Ende nur einer das letzte Wort an Bord haben kann. Wer mit hierarchischen Strukturen nichts anfangen kann, hat auf einem Schiff nichts verloren.

      In einer Nacht im Hafen kam alles zusammen, was ich über alte Kapitäne gelernt habe. Gert Schlufter, der Wirt der Haifischbar, hatte die Seeleute von Ankerherz zum Labskaus eingeladen. Das Astra floss zügig und aus der Musikbox sang Freddy Quinn in Dauerschleife. Am Tresen hockte Kapitän Emil Feith und hielt sein Pilsglas fest. Feith zeigte wieder sein „Dienstgesicht“.

      Mit einem Mal starrte er zur Tür, als komme Hans Albers herein. Tatsächlich war es ein Mann mit blauer Jacke und weißem Bart, der aussah wie der Zweitplatzierte beim Ernest-Hemingway-Doppelgängerwettbewerb.

      „Mensch… das…. das… gibt´s doch nicht“, murmelte Feith.

      Die Männer fielen sich in die Arme. Kapitän Günther Langowski, so hieß der andere Seemann, hatte vor Rührung feuchte Augen. In den nächsten Stunden konnte man beobachten, wie die beiden Passbildautomatenfotos von Kindern und Enkeln aus ihren Portemonnaies pulten und sich Geschichten erzählten. Vor knapp fünfzig Jahren waren sie Freunde gewesen und hatten sich zuletzt in der Haifisch Bar gesehen.

      Es muss der Legende nach eine furchtbare Prügelei mit der Besatzung eines englischen Fischtrawlers gegeben haben. Am Morgen danach war jeder an Bord eines anderen Schiffes gegangen – und sie hatten sich nie wiedergesehen.

      Warum blätterte keiner einfach im Hamburger Telefonbuch und nahm Kontakt auf?

      Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Sie taten so, als hätten sie die Frage nicht verstanden. Vielleicht gibt es auch gar nichts zu verstehen, denn alte Seeleute sind so. Draußen auf See, wenn es um nichts anderes als ums Überleben ging, wenn der Sturm wütete oder die Ladung verrutschte oder in manchen Häfen Verbrecher das Schiff bedrohten, hielten sie zusammen. Aber damit war es dann auch gut.

      Ich glaube nicht, dass sich die Kapitäne aus der Haifisch Bar nach jener Nacht jemals wiedersahen.

      Alles war gesagt.

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       PITERAQ

      NAME KAPITÄN KARL FRIEDHELM VON STAA SCHIFF TRAWLER SEEGEBIET OSTKÜSTE GRÖNLAND DATUM 17. NOVEMBER 2002

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      Als ich diese Welle sehe, ist es zu spät. Ich kann nicht reagieren. Ich kann nichts mehr tun.

      Die Welle ist fünfundzwanzig Meter hoch, vielleicht ist sie auch höher, schwer zu sagen. Sie ist jedenfalls deutlich größer als die anderen großen Seen, die seit vielen Stunden auf unseren Trawler zurollen. Wir sind vor der Ostküste Grönlands und Gefangene in diesem Sturm. Seit zwei Tagen kommt er mit Windstärke 11-12 und mehr aus Nordost.

      „Piteraq“, so nennen die Inuit einen außergewöhnlichen starken Orkan. Dieser Wind tritt an der ostgrönländischen Küste auf. Beim Piteraq handelt es sich um einen sogenannten katabatischen Wind. Das Wort Piteraq stammt aus der grönländischen Sprache. Es bedeutet so viel wie: „das, was einen überfällt“.

      In einem solchen Piteraq stecken wir nun. Das Tief hatte sich nahe der Südspitze Grönlands am Kap Farvel gebildet und sich in der Dänemarkstraße, also der Meerenge zwischen Island und Grönland, intensiviert. Wie ein gewaltiges Gebläse peitscht es die kalte Luft über das Inlandeis an die Ostküste. Der Windmesser an Bord zeigt einen Mittelwind von 54 m/s (194 km/h). In Böen sind es sogar 60 m/s. Dies entspricht einer Windgeschwindigkeit von 216 km/h.

      An der Ostküste von Grönland gibt es wenige Fjorde, in denen wir Unterschlupf finden könnten. Die wenigen Fjorde, die in Frage kommen, sind im November vereist, oder sie sind gar nicht ausgelotet. Somit besteht die Gefahr, auf eine unbekannte Untiefe zu laufen und leck zu schlagen. Also sind wir draußen auf See, in dieser Landschaft aus Wut und Grau, um den Sturm abzureiten. Dass der Orkan solche Ausmaße annehmen könnte, hatten wir im Wetterbericht nicht kommen sehen. Wegfahren ist keine Option mehr, und kommt für Fischer ohnehin nur selten in Frage. Wir sind auf dem Fangplatz Fylkir, um zu arbeiten.

      Von meinem Sohn Sascha, 1. Offizier an Bord unseres Trawlers und Wachhabender auf der Brücke in der Nacht, habe ich an diesem Morgen die Wache übernommen. Unser Schiff ist 66 Meter lang, 12,60 Meter breit und hat 8,00 Meter Tiefgang und ist hochmodern ausgerüstet. „Einige richtige Koffer unterwegs“, hatte Sascha bei der Ablösung gesagt. Obwohl wir weit östlich von der Fischkante in der Tiefsee gegenan liegen, um die gefährlich hohen und spitzen Wellenberge in dem relativ flachen Bankgewässer zu vermeiden. Die Sichtweite: keine 100 Meter. Er wirkte erschöpft. Es ist anstrengend, den Trawler bei diesem Wetter zu steuern. Besonders in der Dunkelheit. Man sitzt im Stuhl, der an das Modell in einer Zahnarztpraxis erinnert und starrt auf das Radar. Kaffee ist wichtig in diesen Stunden. Kaffee hält wach. Man hält das Schiff steuerfähig und mit dem Joystick wird der Kompasskurs gehalten und man hofft, dass kein Growler1 oder Eisberg vor den Steven kommt.

      Die Crew schläft bei diesem Wetter, liegt in den Kojen oder sieht fern. Nur die Wachhabenden und das Kombüsenpersonal sind auf ihren Stationen. Es ist schwer möglich, sich auf den Beinen zu halten. Unruhe gibt es dennoch keine an Bord. Erfahrene Fischer. Jeder weiß, was kommt, wenn man im Spätherbst vor Ost-Grönland arbeitet. Das ist Alltag.

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      Bislang jedenfalls. Diese Welle. Ich halte mich im Jagdsitz fest, wie der Kapitänsstuhl heißt.

      Es ist der 17. November 2002, 09:20 Bordzeit. Unsere Position 62°07’N 039°06’W.

      Ich ducke mich und warte auf den Einschlag.

      Ein Knall!

      Die Scheibe aus Sicherheitsglas, die in den Stahl verschraubt ist, fliegt durch den Druck des Wassers raus. Sie zersplittert nicht in ihre Einzelteile, was mir das Leben rettet. Sie wird aus dem Rahmen gedrückt, fliegt fünfzig Zentimeter an mir vorbei und bohrt sich mit der Seite fausttief in den Stahl der Brückenwand hinter mir. Ich habe ein solches Glück, dass sie mich verfehlt.

      Sonst gäbe es diese Geschichte nicht.

      Ich bekomme keine Luft. Wind

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