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durchzubrennen. Sie warteten, bis alle in ihrem Dorf schliefen, stahlen sich aus der Umfriedung und rannten los. Die Hunde wachten auf und die Brüder des Mädchens nahmen die Verfolgung auf. Das Liebespaar hetzte durch den Busch, aber kurz nach Mitternacht hatten die Brüder es gestellt. Das Mädchen weigerte sich, nach Hause zurückzukehren. Sie sagte ihren Brüdern, falls sie mit ihr sprechen wollten, müssten sie schon in Toronkeis Dorf kommen. Die Brüder kehrten in ihre Ansiedlung zurück, und bei Morgengrauen erreichten Toronkei und seine Verlobte das manyatta. Ihr Vater schäumte vor Wut, aber er konnte nur wenig ausrichten: Seine Tochter ließ sich nicht umstimmen. Toronkei hatte um Verhandlungen gebeten: Der Vater hatte einen Brautpreis von fünf Kühen und 10 000 Schilling gefordert. Toronkeis Eltern versuchten ihn herunterzuhandeln. Das Mädchen kam aus einer reichen Familie, es war ein hartes Geschäft.

      Als ich die Geschichte hörte, die stolzen, konspirativen Blicke sah, die er mit seiner Braut austauschte, und mitbekam, wie er von den anderen morani als Held gefeiert wurde, stieg in mir – und dies nicht zum ersten Mal in meiner Freundschaft mit Toronkei – ein Gefühl der Eifersucht auf. Ich saß in der Hütte, trank Milch und begrüßte die Prozession junger Männer, die vorbeischauten, um ihm Respekt zu zollen, und haderte mit meiner Unzulänglichkeit. Als ich die jungen Krieger anschaute, die Hand in Hand auf der Pritsche saßen, und die junge Frau, die ihrem Ehemann zärtliche Blicke zuwarf, wurde ich von einem Gedanken eingeholt, der so klar und laut war wie eine direkt an meinem Ohr erschallende Glocke. Wäre ich als Embryo vor der Wahl gestanden zwischen meinem Leben und dem seinen – wohl wissend, dass ich mich dem einen wie dem anderen angepasst und mich in ihm eingerichtet hätte –, hätte ich das seine gewählt.

      Trotz sechs an Abenteuern reichen Jahren in den Tropen, erschien mir mein Leben jetzt klein und behäbig. Ich dachte daran, was mich erwartete, wenn ich in ein paar Monaten nach Hause zurückkehren würde. Ich hatte den Plan, mein Buch zu Ende zu schreiben, Arbeit zu finden, wieder an alte Freundschaften anzuknüpfen und vielleicht eine Anzahlung auf ein Haus zu leisten. Nach zwei Hirnmalaria-Attacken, bei steigenden Ausgaben und schrumpfenden Ersparnissen, der Läuse, Moskitos, kaputten Straßen und des verdorbenen Wassers müde, erschien dies reizvoll. Jetzt aber dachte ich an die Unterhaltungen, die sich auf die drei Rs beschränkten: Renovierungen, Rezepte, Reiseziele. Ich dachte an Geländer und Staketenzäune. Ich dachte an Spaziergänge in der englischen Provinz, wo einen die Leute, sobald man sich abseits der Fußwege bewegt, anpöbeln. Nicht das erste Mal in meinem Leben kam mir plötzlich alles so sinnlos vor.

      Benjamin Franklin beklagte sich 1753 in einem Brief an den englischen Botaniker Peter Collinson wie folgt:

      Wenn ein Indianerkind unter uns aufgewachsen ist, unsere Sprache erlernt und sich an unsere Gebräuche gewöhnt hat, und wenn es loszieht, um seine Verwandtschaft zu besuchen und einen indianischen Wanderzug mit ihnen zu unternehmen, kann man es nicht mehr zur Rückkehr bewegen, und dass dies nicht bloß natürlich für sie als Indianer, sondern als Menschen ist, wird daraus ersichtlich, dass wenn Weiße gleich welchen Geschlechts von den Indianern gefangen worden sind und eine Zeit unter ihnen gelebt haben, und wenn sie dann von ihren Freunden ausgelöst und mit aller nur erdenklichen Zärtlichkeit behandelt werden, damit sie mit den Engländern zu bleiben bewogen werden, werden sie doch innerhalb kurzer Zeit unserer Lebensart und der zu ihrer Aufrechterhaltung nötigen Sorgen und Mühen überdrüssig und ergreifen die erste gute Gelegenheit, wieder in die Wälder zu entkommen, von wo man sie nicht mehr zurückholen kann.2

      Für die kolonialen Autoritäten bedeutete das Überlaufen zu den Ureinwohnern eine schwere Bedrohung in ihrem Bestreben, die neue Welt zu unterjochen. Als junge Männer 1612 begannen, aus Jamestown, der ersten dauerhaften englischen Siedlung in Nordamerika, wegzulaufen, ließ ihnen der Vizegoverneur Thomas Dale nachstellen. Laut einem zeitgenössischen Bericht »wurden manche der Gestellten gehängt. Manche verbrannt. Manche gerädert, andere gepfählt und manche erschossen.«3

      Die strengen Sanktionen belegen die Anziehungskraft. Trotz der Strafen liefen Europäer weiterhin über oder blieben, im Krieg gefangen, bei den Ureinwohnern. Das ging so lange, bis die Indianer derart geschwächt und gebrochen waren, dass es kein Leben mehr gab, zu dem man sich hingezogen fühlen konnte. 1785 berichtete Jean de Crèvecœur von europäischen Kindern, die, wenn ihre Eltern in Friedenszeiten kamen, um sie zu holen, sich fest entschlossen zeigten, in den indianischen Gemeinschaften zu bleiben, von denen sie gekidnappt worden waren:

      […] die, deren fortgeschritteneres Alter ihnen erlaubt hätte, sich ihrer Väter und Mütter zu erinnern, weigerten sich standhaft, ihnen zu folgen und liefen zu ihren angenommenen Eltern, um sich vor den überschwänglichen Liebesbezeugungen ihrer Eltern zu schützen! So unglaublich dies scheinen mag, mir ist es bei tausend Gelegenheiten zu Ohr gekommen, aus dem Munde glaubwürdiger Personen. In dem Dorf von …, in das ich mich zu begeben vorhabe, lebten vor etwa fünfzehn Jahren ein Engländer und ein Schwede …

      Sie waren schon erwachsene Männer, als sie gefangen genommen wurden; glücklich entkamen sie den schweren Strafen für Kriegsgefangene und wurden gezwungen, die Squaws zu ehelichen, die ihr Leben durch Adoption gerettet hatten. Durch die Macht der Gewohnheit hatten sie sich schließlich vollständig diese wilde Lebensführung zu eigen gemacht. Ich war dabei, als sie von ihren Freunden eine beträchtliche Summe geschickt bekamen, um sich selbst auszulösen. Die Indianer, ihre alten Herren, ließen ihnen die Wahl … Sie entschieden sich zu bleiben; und die Gründe, die sie mir gegenüber anführten, dürften Sie gehörig überraschen: die vollkommenste Freiheit, die Leichtigkeit des Lebens, die Abwesenheit jener Sorgen und zersetzenden Kümmernisse, die so häufig Oberhand über uns gewinnen. … Tausende Europäer sind Indianer und wir haben kein einziges Beispiel von einem Ureinwohner, der aus freier Wahl Europäer geworden wäre.4

      Der Zusammenstoß von alten und neuen Welten war von Enteignung, Unterdrückung und Massakern gekennzeichnet, aber an manchen Orten gab es Phasen freundschaftlicher Verbindung. Bei Crèvecœur ist dokumentiert, dass amerikanische Ureinwohner gelegentlich als Gleichgestellte in europäische Haushalte aufgenommen wurden; und in vielen Fällen war es für Europäer möglich, sich in ähnlicher Weise indianischen Gemeinschaften anzuschließen. Man könnte dies wie ein soziales Experiment auffassen. In beiden Fällen hatten die Menschen die Wahl zwischen dem relativ sicheren, doch eingehegten, ortsfesten und regulierten Leben der Europäer und dem mobilen, freien und unsicheren Leben der amerikanischen Ureinwohner. Am Ergebnis gibt es nichts zu deuteln. In jedem einzelnen Fall, so berichten Crèvecœur und Franklin, entschieden sich die Europäer, bei den Indianern zu bleiben, und die Indianer kehrten bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu ihren Gemeinschaften zurück. Das sagt mehr über unser Leben aus, als einem lieb sein kann.

      Warum also bin ich nicht zu Toronkeis Gemeinschaft übergelaufen? Eine Frage, die mich noch immer beschäftigt.

      Ich war, wie ich nach und nach entdeckte, zu weich für sein Leben. Ich konnte schon physisch gesehen nicht richtig mithalten. Wichtiger noch, ich war außerstande, mit der Unsicherheit zurechtzukommen: Mit der Unstetigkeit, nicht zu wissen, ob ich heute zu essen hätte oder erst morgen, ob ich mich im kommenden Monat ernähren könnte – oder gar noch am Leben wäre. Die Massai begegneten den wilden Schwankungen ihres Glücks mit Gleichmut. War in einem Jahr die Ebene schwarz von ihren Rindern, konnte im nächsten die Dürre zuschlagen und sie hatten nichts mehr. Zu wissen, was als Nächstes geschieht, war womöglich das alles beherrschende Ziel materiell komplexer Gesellschaften gewesen. In dem Augenblick jedoch, als wir es erreicht hatten, oder nahezu erreicht hatten, wurden wir mit einem neuen Reigen unbefriedigter Bedürfnisse belohnt. Wir haben die Sicherheit der Erfahrung vorgezogen, haben damit viel gewonnen, aber auch viel verloren. Vor allem aber war mir wohl auch bewusst, dass das alte Leben vorbei war. Die kenianische Regierung zerschlug das Land der Massai in kleine Einheiten. Mächtige Stammesälteste haben sich so viel unter den Nagel gerissen, wie sie zu fassen bekamen, und die anderen rangelten darum, noch etwas für sich zu bekommen. Die Gemeinschaft war im Begriff zusammenzubrechen; öffentliches Land, auf dem manyattas gebaut und Zeremonien abgehalten werden konnten, stand keines mehr zur Verfügung. Mit der Veränderung der Machtstrukturen wurden die Altersgruppen, um die das Leben der Massai ausgerichtet war, zu einem Anachronismus. Die Generation, der Toronkei angehörte, war wohl die letzte gewesen, die den Initiationsprozess innerhalb der Gemeinschaft durchlaufen hatte. Die Menschen haben

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