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als bei Sebastian Brant, die Ironie so überlegen und so fein, dass sich der Leser oft fragen muss, ob das Lob ernst oder spöttisch gemeint ist. Die Lebenslust und das harmlose Glück, die der menschlichen Einfalt entspringen, behandelt Erasmus mit versöhnlicher Heiterkeit; schärfer wird seine Satire, wo sie sich gegen die scholastische Theologie und die Missstände der römischen Geistlichkeit wendet. Da ist, nur halb im Scherz, manches von dem gesagt, was Luther wenige Jahre später laut und mit kompromisslosem Ernst wiederholen sollte. Doch der auf Ausgleich und Toleranz bedachte Erasmus sah voraus, welche Gefahr Luthers religiöse Radikalisierung für die literarische Renaissance14 der Antike und die aufblühende Bildung bedeuten würde; darum lehnte er es ab, öffentlich für Luther Partei zu ergreifen.

      Nicht so der jüngere ULRICH VON HUTTEN (1488–1523), der im zweiten Teil der »Dunkelmännerbriefe« leidenschaftlich für Reuchlin polemisiert hatte und enttäuscht war, als Reuchlin, wie so mancher Humanist, von Luther abrückte. Hutten, der seit 1520 Luthers Sache verfocht, wählte statt der Vita contemplativa des humanistischen Philologen die Vita activa des streitbaren Publizisten.15 In seiner Clag vnd vermanung gegen den übermässigen, vnchristlichen gewalt des Bapsts zu Rom vnd der vngeistlichen geistlichen (1520) sagt er: »Latein ich vor geschriben hab, / das was eim yeden nit bekandt. / Yetzt schrey ich an das vatterlandt / Teütsch nation in irer sprach, / zů bringen dißen dingen rach –« Begeistert aufgenommen wurde »Ain new lied herr Vlrichs von Hutten« (1521), das mit dem Wahlspruch »Ich habs gewagt« allen Pfaffen den Kampf ansagt.

      Latein war nicht nur die Sprache der deutschen Gelehrten. Latein war von Anfang an die übernationale Verwaltungssprache der römischen Kirche und eine Fachsprache der Geistlichen. Um die Volkssprache bemühten sich die Geistlichen vorzüglich dann, wenn sie besonders breite Wirkung suchten: wie etwa im 9. Jahrhundert Otfrid von Weißenburg mit seiner Bekehrungsabsicht (vgl. Kap. 1b), wie im 11. Jahrhundert die Verfechter der kluniazensischen Reform und wie vor allem jetzt Luther anlässlich seiner Glaubensreform.

      MARTIN LUTHER, am 10. November 1483 in Eisleben geboren und 1546 daselbst gestorben, geriet durch die augustinische Lehre von der Prädestination, wonach Gott den einen Teil der Menschheit zur Seligkeit, den anderen zur Verdammnis vorherbestimmt hat, in Seelennot, bis ihm im Wintersemester 1512/13 über dem Studium des Römerbriefes der befreiende Gedanke von der Gnadengerechtigkeit Gottes kam: Das Evangelium, sagt Paulus (1,16 f.), »ist eine Krafft Gottes / die da selig machet / alle / die daran gleuben / […] / Sintemal darinnen offenbaret wird die Gerechtigkeit / die fur Gott gilt / welche kompt aus glauben in glauben / Wie denn geschrieben stehet / Der Gerechte wird seines Glaubens leben.« Und Römer 3,28: »So halten wir es nu / Das der Mensch gerecht werde / on des Gesetzes werck / alleine durch den Glauben.« Luther nennt den Römerbrief »das rechte Heubtstücke des newen Testaments«, das ihm nun im Licht der Heilsverheißung für alle Gläubigen strahlt: Wer an Christus glaubt, ist gerettet durch Gottes Gnade; der guten Werke bedarf es dazu nicht.

      Rechtfertigt aber allein der Glaube den sündigen Menschen vor Gott, so bedarf es auch nicht mehr der kirchlichen Mittlerschaft, vielmehr ist damit das Gewissen des einzelnen auf sich selbst gestellt. Zölibat, Wallfahrt, Seelenmesse, Fürbitte der Heiligen und dergleichen verlieren nach Luthers Textverständnis ihren Sinn. Besonders aber empörte Luther der Ablasshandel, der Erlass vermeintlicher Höllenstrafen gegen Geld. Als der päpstliche Ablassprediger Johann Tetzel (1456–1519) in Thüringen auftauchte, fand Luther es an der Zeit, über die »Kraft der Ablässe« zu diskutieren; schließlich war der Ablass noch nicht durch das katholische Dogma »definiert«.

      Die 95 Thesen, die Luther am 31. Oktober 1517 als Grundlage für die Diskussion an der Wittenberger Schlosskirche anschlug, waren für seine Kollegen bestimmt und darum in lateinischer Sprache abgefasst. Niemand folgte jedoch der Einladung, und so fand die angekündigte Disputation nicht statt. Der weltgeschichtliche Wirbel entstand vielmehr ganz unbeabsichtigt durch die gedruckten Abzüge der Thesen, die Luther seinen Freunden geschickt hatte und die nun als Einblattdruck schnell die Runde machten.

      Nachdem Luthers Reformvorschläge einmal in die Öffentlichkeit gelangt waren und der Streit darum anhob, warb der Reformator in deutscher Sprache beim Adel und im Volk um Gleichgesinnte. In der Flugschrift16 An den christlichen Adel deutscher Nation (1520) bittet Luther die regierenden weltlichen Stände, sich der Kirche, die zur Reformation aus eigener Kraft nicht mehr fähig sei, anzunehmen. Die nominellen Träger des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation sollten Ernst machen und den christlichen Glauben gegen die römischen Päpste verteidigen:

      Die Romanisten haben drei Mauern17 mit großer Schlauheit um sich gezogen, mit denen sie sich bisher geschützt, so daß sie niemand hat können reformieren, wodurch die ganze Christenheit greulich gefallen ist. Zum ersten: Wenn man sie bedrängt hat mit weltlicher Gewalt, haben sie behauptet und gesagt, weltliche Gewalt habe kein Recht über sie, sondern im Gegenteil: geistliche sei über die weltliche. Zum andern: Hat man sie mit der Heiligen Schrift wollen strafen, setzen sie dagegen: es gebühre die Schrift niemandem auszulegen, denn dem Papst. Zum dritten: dreuet man ihnen mit einem Konzilio, so erdichten sie, es könne niemand ein Konzilium berufen denn der Papst. So haben sie die drei Ruten uns heimlich gestohlen, damit sie ungestraft bleiben könnten, und haben sich in die sichere Festung dieser drei Mauern gesetzt, alle Büberei und Bosheit zu treiben, die wir denn jetzt sehen; […].

      Nun helf’ uns Gott und geb’ uns der Posaunen eine, damit die Mauern Jerichos wurden umgeworfen, […].

      Luther entkräftet die päpstlichen Rechtsansprüche und macht 27 sachliche Vorschläge zu »des christlichen Standes Besserung«.

      In dem Traktat18 Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520) erklärt Luther, ausgehend von 1. Kor. 9,19 und Römer 13,8, die Hauptgrundsätze des reformierten Glaubens: die Rechtfertigung durch den Glauben und den freiwilligen Dienst am Nächsten als Analogie zu Gottes Gnadengerechtigkeit.

      Wohlan, mein Gott hat mir unwürdigem, verdammtem Menschen ohn alle Verdienste rein umsonst und aus eitel Barmherzigkeit gegeben durch und in Christo vollen Reichtum allen Frommseins und Seligkeit, so daß ich hinfort nichts mehr bedarf denn glauben, es sei also. Ei, so will ich solchem Vater, der mich mit seinen überschwenglichen Gütern so überschüttet hat, wiederum frei, fröhlich und umsonst tun, was ihm wohlgefällt, und gegen meinen Nächsten auch werden ein Christ, wie Christus mir geworden ist.

      Luthers anschauliche und eingängige Beweisführung voll unverblümter Entschiedenheit überzeugte und begeisterte viele seiner Zeitgenossen.19 Angesichts der mannigfach verdorbenen Geistlichkeit hörte man gern, dass der Christ in Glaubensfragen allein das Wort Gottes zu studieren und anzuerkennen habe.

      Luther gab zu diesem Zweck im September 1522 Das Neue Testament Deutsch20 und 1534 die erste vollständige Bibelübersetzung heraus. Er bediente sich in der Übersetzung des Ostmitteldeutschen und erläuterte: »Ich habe eine allgemein verständliche Sprache und keine besondere; daher kann man mich in Nieder- und Oberdeutschland verstehen. Ich rede nach der sächsischen Kanzlei, der alle deutschen Fürsten folgen.«21

      Nach dem Grundsatz: so wortgetreu wie nötig und so frei wie möglich, übertrug Luther die hebräischen und griechischen Quellen22 in die gehobene Umgangssprache seiner Zeit und schuf damit ein Prosawerk, das in seiner sprachlichen Kraft und Schönheit bis hin zu Brecht als vorbildlich empfunden werden sollte.

      Die Übersetzer vor Luther vermochten sich nicht von ihrer lateinischen Vorlage zu lösen. Ein kleiner Vergleich kann Luthers Überlegenheit verdeutlichen; z. B. 1. Kor. 13:

      Luther rechtfertigt seine gelegentlich freiere Übersetzung im Sendbrief vom Dolmetschen (1530) mit der Erklärung:

      […] man muß nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll Deutsch reden, […] sondern man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen; da verstehen sie

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