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      »Keine Spur!« leugnete Geno. Barsch fügte er hinzu: »Unsinn! Weshalb sollte ich vor Ihrem Piepsen erschrecken?«

      »Ich piepse nicht!« entrüstete sich der Waldkauz.

      »Mir ist es sehr gleichgültig, was Sie tun«, meinte Geno. Ihn freute es nun, seinerseits den Waldkauz zu ärgern.

      Das war ihm gelungen.

      »Sie sind ein kecker Bursche!« schalt der Waldkauz, »ein kecker kleiner Bursche!«

      »Sie auch!« gab Geno zurück, »und Sie sind viel kleiner als ich!«

      »Ihr Vater«, fuhr der Waldkauz mit zornig gesträubten Federn fort, »Ihr Vater war viel netter. Er ist immer so hübsch erschrocken.«

      Geno murrte beleidigt: »Das glaube ich Ihnen nicht.«

      »Nun«, lenkte der Waldkauz ein, »vielleicht ist er gar nicht wirklich erschrocken; dennoch sagte er das jedesmal, und ich hatte mein Vergnügen, aber Sie haben mir den ganzen Spaß verdorben.«

      »Wenn Sie keine andern Späße wissen, tun Sie mir leid, alter Herr. Mir gegenüber unterlassen Sie künftig solche Scherze!«

      Faline kam herbei. »Was gibt's denn hier?«

      »Ach«, der Waldkauz wimmerte beinahe, »diese Jugend ... diese Jugend ...!«

      »Diese Jugend«, unterbrach ihn Geno, »diese Jugend, von der verstehen Sie gar nichts. Dazu sind Sie viel zu alt!« Er lief davon.

      »Nein!« rief ihm der Waldkauz nach, »diese Jugend, diese neue Jugend verstehe ich nicht! Die will ich nicht verstehen! Diese Jugend versteht sich selber nicht, mein Lieber!«

      Er saß da, ganz in seinen Federflaum versunken und schwer gekränkt. Sein ernstes Antlitz, das zuweilen durch einen schalkhaften Ausdruck liebenswürdig schien, war jetzt melancholisch, hatte die schmerzliche Miene des Verschmähten. Der gebogene Schnabel bohrte sich dolchartig in das kurze Kinn, als würde er sich gegen die eigene Brust kehren. Nur die großen, klugen Augen glänzten dunkel vor enttäuschter Empörung.

      »Ich muß Ihnen sagen«, fauchte er Faline an, »Sie brauchen auf Ihren Sohn nicht stolz zu sein!«

      »Stolz bin ich überhaupt nie«, wehrte Faline ab.

      »Ah! Ah!« fiel er ihr in die Rede, »alle stolzen Leute behaupten immer, nicht stolz zu sein. Das kenne ich!«

      »Hat Ihnen mein Geno etwas getan, weil Sie so böse sind?«

      »Böse? Ich bin nicht böse!« protestierte der Waldkauz zornig. »Der Bursche ist meinen Zorn gar nicht wert!«

      Heiter gab Faline zurück: »Alle Leute, die böse geworden sind, behaupten, nicht böse zu sein.«

      »Was geht mich Ihr Söhnchen an?« eiferte der Waldkauz, »nicht so viel!« Er knappte mit dem Schnabel, und das klapperte, wie wenn zwei Stückchen Holz aufeinandergeschlagen würden. »Ihr Söhnchen! Hah! Er ist mir nur ein Beispiel für die heutige Jugend! Eine saubere Jugend, fürwahr! Eine Jugend ohne Respekt, ohne Rücksicht auf andere, ohne Manieren ... unhöflich ... anmaßend ... frech!« Der Atem ging ihm aus.

      »Ich glaube, Sie irren sich«, entgegnete Faline geduldig, »Sie sind ein wenig ungerecht. Die Jugend von heute ist nicht schlecht. Gewiß nicht. Wir hatten auch unsere Fehler, unsere Schwächen in unserer Jugend. Heutzutage sind sie nicht schlechter und nicht besser, als wir einst waren. Nur anders sind sie; das gebe ich zu.«

      »Anders! Sehr wahr! Ganz anders!« stimmte der Waldkauz ironisch bei, »wenn ich denke, was für ein reizender junger Prinz Ihr Gatte gewesen ist.«

      »Ja, Bambi!« flüsterte Faline.

      »Wie höflich er immer war«, fuhr der Waldkauz fort, »wie freundlich; wie angenehm im Umgang, wie verständig! Er hatte freilich auch eine bessere Erziehung genossen als dieser dreiste Bursche, der Geno ...«

      »Soll das ein Vorwurf sein?« fragte Faline.

      »Nein ... n... nein!« stotterte der Waldkauz.

      »Erziehung«, sprach Faline ruhig, »halten Sie so viel von Erziehung? Man warnt die Kinder vor Gefahren, die sie nicht kennen, weil sie noch nichts erlebt haben. Man behütet sie, man sorgt sich um sie. Mehr hat man früher auch nicht leisten können; mehr zu leisten ist heute ebenso unmöglich. Drüber weg wird doch ein jeder das, was er im Kern seines Wesens eigentlich von Anfang ist. Höchstens kann das Beispiel etwas Einfluß wirken, aber selten. Oft zeigt sich das Gegenteil.«

      »Ja, das Gegenteil! Da haben Sie recht! Nehmen Sie Ihren Sohn. Wenn ich Bambi fragte, ob ich ihn erschreckt habe, antwortete er jedesmal sehr höflich: ›Ja‹, und ich hatte meinen Spaß; es war unterhaltend.« Der Waldkauz verdrehte sentimental die Augen; gleich darauf rollte er sie grimmig. »Ihr Sohn hat auf meine Frage frech ›Nein‹ gesagt und mich noch dazu unverschämt ausgespottet.«

      »Oh, dann ist er sicher sehr erschrocken«, begütigte Faline.

      »Warum leugnet er also?«

      »Er hat sich eben geschämt.«

      Der Waldkauz war mit diesem Erfolg zufriedener, als er sich anmerken ließ. »Ich habe ihn an seinen Vater erinnert, wie artig der erschrocken ist. Aber da wurde ich beschimpft.«

      »Geno hat seinen Vater verteidigen wollen«, erwiderte Faline sanft.

      »Na, lassen wir das. Es war peinlich«, grollte der Waldkauz, »... diese Jugend ...«

      »Jugend ist immer ein großer Vorzug«, erklärte Faline.

      »Ein großer Vorzug«, höhnte der Waldkauz, »ein Vorzug, der mit jedem Tag kleiner wird. Alle müssen einmal alt werden oder vorher sterben.«

      Er sah einen dicken Nachtfalter, breitete die Schwingen, haschte ihn und entschwebte.

      Als sie beim ersten blassen Dämmerschein des Morgens ihrem Schlafplatz zueilten, trat ihnen Bambi entgegen.

      Gurri sprang munter an ihm empor. »Vater! Vater!«

      Schweigend legte ihm Geno die junge Stirne an die Flanke.

      Und Faline sagte demütig: »Zum Gruß.«

      »Hört mich an, Kinder«, redete Bambi beinahe feierlich, »sehr bald werde ich eure Mutter zu mir holen. Sie muß lange bei mir bleiben. Versteht ihr mich?«

      »Wir kommen mit der Mutter zu dir«, Gurri war vorlaut.

      »Das verbiete ich«, gelassen wies Bambi sie zurecht.

      »Warum denn?« etwas verschüchtert erlaubte sich Gurri dennoch diesen Einspruch.

      »Keine Fragen stellen«, gebot der Vater ruhig, »ich kann euch nicht brauchen.«

      »Auch die Mutter kann uns nicht brauchen?« Von Neugier gestoßen, wagte Gurri noch einmal, sich zu melden.

      Mild kam die Antwort: »Auch die Mutter nicht, mein Kind.«

      Die Geschwister schauten die Mutter an, aber da Falinens Blick liebevoll in Bambis Augen versunken war, wurden die Kinder von einer seltsam fremden Empfindung und von Bangigkeit ergriffen.

      Bambi redete weiter: »Ihr zwei werdet allein sein.«

      Gurri zitterte. »Ganz allein?«

      »Allein miteinander«, sagte der Vater, »ihr seid besser dran als andere Kinder, die keinen Bruder oder keine Schwester haben. Haltet euch zusammen.«

      Geno ließ sich stockend vernehmen: »Werden wir lange ... allein ...?«

      »Das weiß ich nicht genau, mein Sohn.«

      Faline schwieg dauernd weiter und sah Bambi zärtlich ins Antlitz. Den Kindern schien sie wie verwandelt.

      »Merkt gut auf«, sprach der Vater, »wenn ihr allein seid, ohne Obhut der Mutter, müßt ihr doppelt wachsam sein und zehnfach vorsichtig. Ihr müßt euch wie Erwachsene betragen und doch nie vergessen, daß ihr als Kinder noch keine

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