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Seele.«

      »Jetzt hat sie ihn geschnappt!« sagte Trublot leise. »Der Dreh mit der Sonate.«

      Octave mußte sich erheben und stand jetzt in der Nähe des Klaviers. Wenn man die einschmeichelnde Zuvorkommenheit sah, mit der Frau Josserand ihn umgab, so schien es, als lasse sie Berthe einzig und allein für ihn spielen.

      »›An den Ufern der Oise‹«, erklärte sie. »Es ist wirklich hübsch ... Nun, wohlan, mein Liebling, und sei nicht aufgeregt. Herr Mouret wird nachsichtig sein.«

      Das junge Mädchen fing ohne, jede Aufregung an, das Stück zu spielen. Im übrigen ließ ihre Mutter sie nicht mehr aus den Augen, sie sah dabei aus wie ein Unteroffizier, der bereit ist, einen Verstoß gegen die Dienstvorschrift mit einer Ohrfeige zu ahnden. Sie war verzweifelt, daß das durch fünfzehn Jahre tägliches Tonleiterüben kurzatmig gewordene Instrument nicht die Klangfülle vom großen Flügel der Familie Duveyrier hatte; und ihrer Meinung nach spielte ihre Tochter niemals laut genug.

      Schon beim zehnten Takt hörte Octave, der eine andächtige Miene aufsetzte und bei den Bravourläufen mit dem Kinn wackelte, nicht mehr hin. Er betrachtete die Zuhörer, die höflich zerstreute Aufmerksamkeit der Herren und das gekünstelte Entzücken der Damen, jene ganze Abspannung, wie sie Leute empfinden, die wieder sich selbst überlassen sind, die wieder von den tagtäglichen Sorgen erfaßt werden, deren Schatten in ihre müden Gesichter steigt. Mit weit aufgerissenem Mund und blutdürstig fletschenden Zähnen träumten Mütter in einem unbewußten Sichgehenlassen sichtlich davon, daß sie ihre Töchter unter die Haube brächten; das war die Sucht in diesem Salon, eine rasende Gier nach Schwiegersöhnen, die diese Spießbürgerinnen bei den asthmatischen Klängen des Klaviers verzehrte. Die Töchter, die sehr müde waren, schliefen ein, hatten den Kopf zwischen die Schultern eingezogen und vergaßen, sich gerade zu halten. Octave, der eine Geringschätzung für junge Mädchen hegte, interessierte sich noch mehr für Valérie; sie war entschieden häßlich in ihrem merkwürdigen, mit schwarzem Atlas besetzten gelben Seidenkleid; und unruhig, trotz allem verlockt, kam er immer wieder auf sie zurück, während sie mit unstet umherirrenden Augen, durch die schrille Musik gereizt, das verzerrte Lächeln einer Kranken aufsetzte.

      Aber eine Katastrophe trat ein. Es hatte geklingelt, ein Herr kam ohne jede Behutsamkeit herein.

      »Oh, Herr Doktor!« sagte Frau Josserand mit zorniger Stimme.

      Doktor Juillerat machte eine entschuldigende Handbewegung und blieb an Ort und Stelle stehen.

      In diesem Augenblick hob Berthe mit langsamer werdendem und ersterbendem Anschlag eine kleine Phrase hervor, die von der Gesellschaft mit beifälligem Gemurmel begrüßt wurde. Ah, entzückend! Köstlich! Frau Juzeur verging vor Wonne, fühlte sich gleichsam gekitzelt. Hortense, die neben ihrer Schwester stand und die Seiten umblätterte, verharrte störrisch im prasselnden Regen der Töne und lauschte angestrengt auf das Geläute der Türglocke; und als der Doktor eingetreten war, hatte sie vor Enttäuschung eine so heftige Handbewegung gemacht, daß sie soeben eine Seite auf dem Notenhalter zerrissen hatte. Aber jäh erzitterte das Klavier unter Berthes zerbrechlichen Händen, die wie Hämmer drauflosschlugen: es war das Ende der Träumerei in einem betäubenden Getöse wütender Akkorde.

      Es entstand Unschlüssigkeit. Man erwachte. War es zu Ende? Dann brachen die Komplimente los. Wunderbar! Ein außergewöhnliches Talent!

      »Das gnädige Fräulein ist wirklich eine erstklassige Künstlerin«, sagte Octave, der in seinen Betrachtungen gestört wurde. »Niemals hat mir jemand ein solches Vergnügen bereitet.«

      »Nicht wahr, mein Herr?« rief Frau Josserand entzückt aus. »Sie macht ihre Sache ganz gut, das muß man doch zugeben ... Mein Gott, wir haben ihr ja auch nichts versagt, der Kleinen: sie ist unser Schatz! Alle Talente, die sie sich gewünscht hat, hat sie ... Ach, Herr Mouret, wenn Sie sie erst kennen würden ...«

      Von neuem erfüllte verworrener Stimmenlärm den Salon. Seelenruhig nahm Berthe die Lobreden entgegen; und sie entfernte sich nicht vom Klavier, wartete, bis ihre Mutter sie von ihrer Fron entband. Schon erzählte diese Octave, auf welche erstaunliche und schmissige Art und Weise ihre Tochter »Die Schnitter«, einen brillanten Galopp, vorzutragen pflege, da versetzten dumpfe und ferne Schläge die Gäste in Aufregung. Seit einem Weilchen waren die Stöße immer heftiger geworden, als sei jemand mit aller Anstrengung dabei, eine Tür einzuschlagen. Alle verstummten und blickten einander fragend an.

      »Was ist denn das?« wagte Valérie zu fragen. »Das hat vorhin schon gegen Schluß des Musikstückes so geklopft.«

      Frau Josserand war ganz bleich geworden. Sie hatte erkannt, daß Saturnin da mit der Schulter gegen die Tür stieß. Oh, dieser elende Übergeschnappte! Und sie sah ihn mitten in die Gesellschaft hineinplatzen. Wenn er weiterbumste, war wieder mal eine Partie vermasselt!

      »Das ist die Küchentür, die klappt«, sagte sie mit gezwungenem Lächeln. »Adèle kann sie niemals richtig zumachen ... Schau doch mal nach, Berthe.«

      Auch das junge Mädchen hatte begriffen. Sie erhob sich und verschwand. Sogleich hörten die Stöße auf, aber Berthe kam nicht sofort wieder zurück. Onkel Bachelard, der die »Ufer der Oise« in skandalöser Weise durch laute Bemerkungen gestört hatte, brachte seine Schwester vollends aus der Fassung, indem er Gueulin zurief, man öde ihn an und er gehe einen Grog trinken. Beide kehrten ins Eßzimmer zurück, dessen Tür sie geräuschvoll hinter sich schlossen.

      »Der gute Narcisse, immer originell!« sagte Frau Josserand zu Frau Juzeur und zu Valérie, zwischen die sie sich setzte. »Seine Geschäfte nehmen ihn so sehr in Anspruch! Wissen Sie, er hat dieses Jahr an die hunderttausend Francs verdient!«

      Octave, der endlich frei war, hatte sich eilends wieder zu dem auf dem Kanapee eingeschlummerten Trublot gesellt. In der Nähe der beiden stand inmitten einer Gruppe Doktor Juillerat, ein alter Arzt aus dem Stadtviertel, ein mittelmäßiger Mensch, der mit der Zeit aber ein guter praktischer Arzt geworden war und der allen diesen Damen bei der Entbindung beigestanden und alle diese Fräulein behandelt hatte. Er befaßte sich speziell mit Frauenkrankheiten, weshalb er abends in einer Salonecke von den Ehemännern umworben zu werden pflegte, die auf eine kostenlose Konsultation aus waren.

      Eben sagte Théophile zu ihm, Valérie habe am Vortage schon wieder einen Anfall gehabt; sie bekomme dann immer keine Luft, sie klage über einen Knoten, der ihr in die Kehle steige; und auch ihm gehe es nicht gut, aber das sei ja nicht dasselbe. Da sprach er nur noch von seiner eigenen Person, erzählte von seinen Verdrießlichkeiten: er habe Jura zu studieren begonnen, habe es in der Industrie bei einem Gießer versucht, habe es in den Büros des Leihhauses mit der Verwaltung probiert; dann habe er sich mit Photographieren beschäftigt und glaubte eine Erfindung gemacht zu haben, wie nämlich Wagen von ganz allein fortbewegt werden könnten; mittlerweile vertreibe er aus Gefälligkeit Flötenklaviere, eine andere Erfindung eines seiner Freunde. Und er kam wieder auf seine Frau zu sprechen; ihre Schuld sei es, wenn bei ihnen zu Hause nichts klappe; sie bringe ihn um mit ihren dauernden Nervenzuständen.

      »Verschreiben Sie ihr doch etwas, Herr Doktor!« flehte er mit haßentflammten Augen, hustend und greinend in der weinerlichen Wut darüber, daß er nichts zustande brachte.

      Trublot musterte ihn voller Verachtung; und als er Octave anschaute, lachte er kurz im stillen.

      Unterdessen fand Doktor Juillerat nichtssagende und beruhigende Worte: freilich, man werde der lieben gnädigen Frau Erleichterung verschaffen. Schon mit vierzehn Jahren hatte sie in dem Laden in der Rue Neuve-Saint-Augustin keine Luft bekommen; er hatte sie wegen Schwindelanfällen behandelt, die mit Nasenbluten zu enden pflegten; und als Théophile voller Verzweiflung an ihre schmachtende Sanftmut erinnerte, die sie als junges Mädchen gehabt, während sie ihn jetzt mit ihrer Wunderlichkeit peinige und sich ihre Laune zwanzigmal am Tage ändere, begnügte sich der Doktor mit einem Nicken. Nicht allen Frauen bekäme die Ehe gut.

      »Mein Gott noch mal!« murmelte Trublot. »Ein Vater, der dreißig Jahre lang Nadeln und Zwirn verkauft hat und dabei zum Vieh abgestumpft ist, eine Mutter, die das Gesicht ständig voller Pickel hat, und das in einem luftlosen Loch des alten Paris – wie soll denn so was annehmbare Töchter machen?«

      Octave,

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