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Rechten dehnte sich eine Ebene, links stiegen Weideplätze die Hügel hinan, auf denen man Weingelände, Nußbäume, eine Mühle im Grünen bemerkte, und von dort aus kleine Pfade, die im Zickzack über den weißen Felsen führten, der zum Himmelsrand emporragte. Welch ein Glück mußte es sein, Seite an Seite mit ihr, den Arm um sie geschlungen, dort hinaufzusteigen und, während ihr Kleid über die vergilbten Blätter fegte, unter dem Leuchten ihrer Augen ihrer Stimme zu lauschen! Das Boot konnte anhalten, sie brauchten nur auszusteigen; und dennoch war diese einfache Sache nicht leichter, als die Sonne zu bewegen!

      Etwas weiterhin entdeckte man ein Schloß mit spitzem Dach und eckigen Türmen. Ein Blumengarten dehnte sich vor der Fassade; und unter den hohen Linden vertieften die Alleen sich wie dunkle Gewölbe. Er dachte sie sich an der Weißbuchenhecke vorübergehend. In diesem Augenblick sah man eine junge Dame und einen jungen Mann auf dem Altan zwischen den Orangekübeln. Dann verschwand alles.

      Das kleine Mädchen spielte neben ihm. Frédéric wollte es küssen. Es verbarg sich hinter seiner Wärterin; und die Mutter schalt, daß es unfreundlich gegen den Herrn sei, der ihren Schal gerettet habe. War das eine indirekte Einleitung?

      »Wird sie mich endlich ansprechen?« fragte er sich.

      Die Zeit drängte. Wie war eine Einladung zu Arnoux zu erlangen? Ihm fiel nichts Besseres ein, als ihn auf die Farbe des Herbstes aufmerksam zu machen und hinzuzufügen:

      »Bald kommt der Winter, die Zeit der Bälle und Diners!«

      Arnoux jedoch war vollauf mit seinem Gepäck beschäftigt. Die Küste von Surville wurde sichtbar, die beiden Brücken näherten sich, sie kamen an einer Seilerei vorüber, darauf an einer Reihe niedriger Häuser; weiter unten sah man Teerkessel, Holzspähne und Gassenbuben, die im Sande Rad schlugen. Frédéric erkannte einen Mann in einem Wams und rief ihm zu:

      »Beeile dich!«

      Sie landeten. Mit Mühe fand er Arnoux in der Menge der Passagiere, und dieser erwiderte, ihm die Hand schüttelnd:

      »Viel Vergnügen, mein Lieber!«

      Auf dem Quai angelangt, drehte Frédéric sich um. Sie stand dicht am Steuerrad. Er sandte ihr einen Blick, in den er seine ganze Seele zu legen versuchte; sie blieb unbeweglich, als wäre nichts geschehen. Dann rief er, ohne den Gruß seines Dieners zu beachten:

      »Warum hast du den Wagen nicht bis hierher gebracht?«

      Der Mann entschuldigte sich.

      »Welche Ungeschicklichkeit! Gib mir etwas Geld!«

      Und er ging in ein Gasthaus, um zu essen. Eine Viertelstunde darauf verspürte er Lust, wie zufällig in den Posthof einzutreten. Ob er sie noch sehen würde?

      »Doch wozu?« sagte er sich.

      Und der Wagen fuhr mit ihm davon. Die beiden Pferde gehörten nicht seiner Mutter. Sie hatte sie von Monsieur Chambrion, dem Steuereinnehmer, geliehen, um sie dem eignen Wagen vorzuspannen. Isidore, der Tags zuvor aufgebrochen war, hatte bis zum Abend in Bray gerastet und in Montereau übernachtet, so daß die erfrischten Tiere flink dahintrabten.

      Abgemähte Felder zogen sich endlos hin. Zwei Reihen Bäume säumten den Weg ein, wo Kieselsteinhaufen sich aneinander reihten; und nach und nach kam er an Villeneuve-Saint-Georges, Ablon, Châtillon, Corbeil und den übrigen Ortschaften vorüber. Seine ganze Reise kam ihm so deutlich wieder in Erinnerung, daß er jetzt ganz neue Details und intimere Einzelheiten entdeckte. Unter dem letzten Volant ihres Kleides lugte ihr Fuß in winzigen, kastanienbraunen Seidenstiefelchen hervor; das Segeltuchzelt bildete einen Baldachin über ihrem Kopf, und die kleinen roten Quasten der Bordüre zitterten unaufhörlich im Winde.

      Sie glich den Frauen aus romantischen Büchern. Er hätte ihrer Person nichts zufügen, nichts von ihr fortlassen mögen. Das Weltall hatte sich plötzlich erweitert. Sie war der Glanzpunkt, in dem alle Dinge zusammenflossen; – und von dem Schwanken des Wagens eingewiegt, die Lider halb geschlossen, den Blick in den Wolken, überließ er sich einer träumerischen, schrankenlosen Freude.

      In Bray wartete er nicht, bis die Pferde Hafer bekommen hatten, er ging voraus, die Landstraße hinauf, ganz allein. Arnoux hatte sie »Marie!« genannt. Er rief ganz laut »Marie!« Seine Stimme verhallte in der Luft.

      Tiefe Purpurfarbe flammte am westlichen Himmel auf. Hohe Kornschober, die sich mitten in den Stoppelfeldern erhoben, warfen riesenhafte Schatten. Fernab in einem Hof fing ein Hund an zu bellen. Von einer grundlosen Unruhe erfaßt, erschauerte er.

      Als Isidore ihn eingeholt hatte, setzte er sich auf den Bock, um zu kutschieren. Seine Schwäche war vorüber. Er war fest entschlossen, sich auf irgendeine Art bei Arnoux einzuführen, in Verkehr mit ihnen zu kommen. Sie führten wohl ein angenehmes Haus, ihm gefiel Arnoux; und dann, wer konnte wissen? Eine Blutwelle stieg ihm ins Gesicht: seine Schläfen hämmerten, er ließ die Peitsche knallen, riß an den Zügeln und trieb die Pferde zu einer solchen Gangart an, daß der alte Kutscher wiederholt ausrief:

      »Langsam! aber langsam! Sie kommen außer Atem!«

      Allmählich beruhigte sich Frédéric und hörte dem Plaudern des Dieners zu.

      Man erwartete den jungen Herrn mit großer Ungeduld. Mademoiselle Louise hatte geweint, weil sie nicht mitfahren durfte.

      »Wer ist Mademoiselle Louise?«

      »Die Kleine von Monsieur Roque, Sie wissen doch?«

      »Ah! Ich vergaß!« erwiderte Frédéric nachlässig.

      Allein die Pferde konnten nicht weiter. Sie hinkten alle beide, und es schlug neun Uhr von Saint-Laurent, als sie auf der Place d’Armes vor dem Hause seiner Mutter anlangten.

      Dieses geräumige Haus mit dem nach der Landseite gelegenen Garten erhöhte noch das Ansehen von Madame Moreau, die die geachtetste Persönlichkeit in der Gegend war.

      Sie entstammte einer alten, jetzt erloschenen Adelsfamilie. Ihr Mann, ein Bürgerlicher, mit dem ihre Eltern sie verheiratet hatten, war infolge eines Degenstoßes während ihrer Schwangerschaft gestorben und hatte sie in unsicheren Vermögensverhältnissen zurückgelassen. Dreimal wöchentlich empfing sie Gäste und gab von Zeit zu Zeit ein gutes Diner. Doch die Zahl der Kerzen wurde vorher berechnet, und sie erwartete mit Ungeduld ihren Pachtzins. Diese Geldverlegenheiten, die sie wie ein Laster verheimlichte, machten sie ernst. Indessen übte sie Wohltätigkeit ohne jede Bitterkeit. Ihre geringsten Almosen waren wie große Spenden. Man zog sie bei der Wahl der Dienstboten zu Rate, bei der Erziehung der jungen Mädchen der Kunst des Einmachens, und Hochwürden stieg auf seinen bischöflichen Reisen bei ihr ab.

      Madame Moreau hegte großen Ehrgeiz für ihren Sohn. In einer Art voraussehender Klugheit liebte sie es nicht, die Regierung tadeln zu hören. Anfangs würde er Protektion brauchen; dann aber dank seiner Fähigkeiten Staatsrat, Botschafter, Minister werden. Seine Erfolge auf dem Gymnasium rechtfertigten diesen Stolz; er hatte den Ehrenpreis davongetragen.

      Als er in den Salon trat, erhoben sich alle sehr geräuschvoll; sie umarmten ihn, und dann bildete sich mit Sesseln und Stühlen ein großer Kreis um den Kamin. Monsieur Gamblin fragte ihn sofort um seine Meinung über Madame Lafarge. Dieser Prozeß, die Sensation der damaligen Zeit, verfehlte nicht, eine heftige Diskussion herbeizuführen. Madame Moreau unterbrach sie jedoch zum Bedauern von Monsieur Gamblin; er hielt sie für den jungen Mann in seiner Eigenschaft als zukünftigen Juristen sehr nützlich und verließ gekränkt den Salon.

      Von einem Freunde des Vater Roque konnte nichts überraschen! Von diesem übrigens kam die Rede auf Monsieur Dambreuse, der soeben die Domaine de la Fortelle erworben hatte. Aber der Steuereinnehmer hatte Frédéric beiseite gezogen, um zu hören, was er von Monsieur Guizets letztem Werk halte. Alle wünschten Einblick in seine Angelegenheiten; Madame Benoit wandte sich direkt an ihn und erkundigte sich nach seinem Oheim. Wie ging es diesem guten Verwandten? Er ließ nichts mehr von sich hören. Hatte er nicht einen jungen Neffen in Amerika?

      Die Köchin meldete, daß das Essen für den jungen Herrn aufgetragen sei. Rücksichtsvoll entfernten sich alle. Als sie allein waren, fragte die Mutter mit leiser Stimme:

      »Nun?«

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