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zu Angélique davon sprachen, fiel sie ihnen um den Hals, erstickte fast vor Tränen. Es war beschlossene Sache, sie würde bei ihnen bleiben, in diesem Haus, das jetzt ganz von ihr erfüllt war, verjüngt durch ihre Jugend, frohgestimmt durch ihr Lachen. Doch schon beim ersten Schritt versetzte sie ein Hindernis in Bestürzung. Der Friedensrichter, Herr Grandsire, bei dem sie sich erkundigt hatten, erklärte ihnen, daß eine Adoptierung völlig unmöglich sei, weil das Gesetz verlangt, daß der zu Adoptierende großjährig ist. Als er ihren Kummer sah, riet er ihnen dann zu dem Ausweg, die amtliche Vormundschaft zu übernehmen: jede Person über fünfzig Jahre kann durch einen gesetzlichen Akt einen Minderjährigen unter fünfzehn Jahren an sich binden, indem er sein amtlicher Vormund wird. Die Altersvorschriften waren erfüllt, sie gingen mit Freuden darauf ein; und es wurde sogar vereinbart, daß sie ihr Mündel dann testamentarisch adoptieren würden, wie das Gesetz es gestattet. Herr Grandsire nahm sich des Antrags des Ehemannes und der Bevollmächtigung der Ehefrau an und setzte sich dann mit dem Leiter des Fürsorgeamtes, dem Vormund aller Fürsorgezöglinge, in Verbindung, dessen Zustimmung man erlangen mußte. Ein Termin fand statt, schließlich wurden die Papiere in Paris bei dem eigens dafür bezeichneten Friedensrichter hinterlegt. Und man wartete nur noch auf das Protokoll, das die Erteilung der amtlichen Vormundschaft bestätigte, als die Huberts nachträglich Bedenken bekamen.

      Hätten sie sich nicht, bevor sie Angélique also adoptierten, bemühen müssen, ihre Familie ausfindig zu machen? Falls die Mutter noch lebte, woher nahmen sie dann das Recht, über die Tochter zu verfügen, ohne völlige Gewißheit darüber zu haben, daß sich wirklich niemand um sie kümmern wollte? Und dann war da im Grunde noch jenes Unbekannte, dieser möglicherweise verderbte Stamm, aus dem das Kind vielleicht hervorging, über den sie sich früher schon Gedanken gemacht hatten und der sie zu dieser Stunde von neuem mit Sorge erfüllte. Sie quälten sich so sehr damit, daß sie nicht mehr schlafen konnten.

      Kurz entschlossen reiste Hubert nach Paris. Das war ein aufregendes Ereignis in seinem ruhigen Dasein. Er belog Angélique, er sagte ihr, seine Anwesenheit in Paris sei zur Regelung der Vormundschaft notwendig. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden hoffte er alles zu erfahren. Doch in Paris verflossen die Tage, bei jedem Schritt richteten sich neue Hindernisse auf, er verbrachte dort eine Woche, wurde von einem zum anderen geschickt und lief ganz verstört und fast unter Tränen die Straßen ab. Im Fürsorgeamt empfing man ihn zunächst äußerst schroff. Die Vorschrift der Behörde besagt, daß die Kinder bis zu ihrer Volljährigkeit nicht über ihre Herkunft unterrichtet werden. An drei Vormittagen hintereinander schickte man ihn wieder fort. Er mußte hartnäckig bleiben, sein Anliegen in vier Büros auseinandersetzen, sich heiser reden, indem er sich als amtlicher Vormund vorstellte, ehe ein Abteilungsleiter, ein großer Hagerer, sich gnädigst bereit fand, ihn darüber zu unterrichten, daß genaue Unterlagen völlig fehlten. Die Behörde wußte nichts, eine Hebamme hatte das Kind AngéliqueMarie eingeliefert, ohne die Mutter zu nennen. Verzweifelt wollte er schon die Rückreise nach Beaumont antreten, als ein Gedanke ihn ein viertes Mal zu dem Amt zurückführte und ihn um Einsichtnahme in den Geburtsschein bitten ließ, der ja den Namen der Hebamme tragen mußte. Das war wiederum eine schwierige Angelegenheit. Endlich wußte er den Namen, Frau Foucart, und er erfuhr sogar, daß diese Frau im Jahre 1850 in der Rue des DeuxEcus gewohnt hatte.

      Da begannen die Laufereien von neuem. Dieses Stück der Rue des DeuxEcus war abgerissen, kein Krämer in den benachbarten Straßen erinnerte sich an Frau Foucart. Hubert sah im Adreßbuch nach: der Name war nicht mehr darin zu finden. Er fand sich damit ab, weitersuchen zu müssen, er las alle Aushängeschilder und ging zu jeder Hebamme in die Wohnung hoch; und damit hatte er Erfolg, er hatte das Glück, an eine alte Frau zu geraten, die gleich losschrie:

      Wie! Und ob sie Madame Foucart kennte! Eine so verdienstvolle Person, die soviel Unglück gehabt hätte! Sie wohne Rue Censier, am anderen Ende von Paris.

      Er lief dorthin.

      Durch die Erfahrung belehrt, hatte er sich vorgenommen, hier diplomatisch vorzugehen. Doch Frau Foucart, eine wuchtig auf kurzen Beinen stehende gewaltige Frau, ließ ihn die Fragen, die er sich vorher zurechtgelegt, nicht in schöner Reihenfolge vor ihr ausbreiten. Sowie er die Vornamen des Kindes und das Datum der Einlieferung bei der Fürsorge verlauten ließ, legte sie von selber los, erzählte sie die ganze Geschichte, entlud sich ihr ganzer Groll in einem Schwall von Worten.

      Ach, die Kleine lebte! Na, sie konnte sich schmeicheln, ein tolles Luder zur Mutter zu haben! Ja, Madame Sidonie, wie man sie, seit sie Witwe war, nannte, habe sehr angesehene Verwandte, ein Bruder sei Minister, wie erzählt wurde, was sie jedoch nicht hinderte, die übelsten Geschäfte zu machen! Und sie setzte ihm auseinander, auf welche Weise sie sie kennengelernt hatte, als das liederliche Weibsbild in der Rue SaintHonore einen Handel mit Obst und Öl aus der Provence62 unterhielt, nachdem sie und ihr Mann aus Plassans nach Paris gekommen waren, um ihr Glück zu versuchen. Fünfzehn Monate nach dem Tode des Ehemanns hatte sie eine Tochter bekommen, ohne recht zu wissen, von wem sie sie eigentlich hatte, denn sie war herzlos wie eine Rechnung, kalt wie ein Wechselprotest, gleichgültig und brutal wie ein Gerichtsvollzieher. Einen Fehltritt verzeiht man, aber so eine Undankbarkeit! Hatte nicht sie, Frau Foucart, nachdem der Laden durchgebracht war, sie während ihres Wochenbettes ernährt, hatte sie sich nicht so weit aufgeopfert, daß sie ihr das Kind vom Halse schaffte, indem sie die Kleine zur Fürsorge brachte? Und zum Lohn war es ihr, als sie ihrerseits in Verlegenheit geraten, nicht einmal gelungen, das Kostgeld für einen Monat zurückzukriegen, ja nicht einmal fünfzehn Francs, die sie ihr ohne Quittung geliehen hatte. Heute hatte Madame Sidonie in der Rue du FaubourgPoissonnière einen kleinen Laden und drei Zimmer im Zwischenstock inne, wo sie unter dem Vorwand, Spitzen zu verkaufen, alles mögliche verkaufte. Ach ja, ach ja, eine Mutter von der Sorte sollte man besser gar nicht erst kennen!

      Eine Stunde später schlich Hubert um Frau Sidonies Laden herum. Er erblickte dort flüchtig eine magere, bleiche Frau ohne Alter und ohne Geschlecht, angetan mit einem abgetragenen schwarzen Kleid, das Spuren von allen Arten verdächtiger Gewerbe aufwies. Die Erinnerung an ihre durch einen Zufall geborene Tochter hatte wohl niemals dieses Trödlerinnenherz erwärmt. Heimlich zog er Erkundigungen ein, erfuhr Dinge, die er niemandem wiedererzählte, nicht einmal seiner Frau. Doch zögerte er noch, ging er ein letztes Mal an dem geheimnisvollen schmalen Laden vorbei. Sollte er sich nicht zu erkennen geben, eine Einwilligung zu erreichen suchen? Ihm als ehrenhaftem Manne oblag es, zu entscheiden, ob er das Recht hatte, so das Band für immer zu durchtrennen. Jäh drehte er dem Laden den Rücken zu und kehrte am Abend nach Beaumont zurück.

      Hubertine hatte soeben bei Herrn Grandsire erfahren, daß das Protokoll für die amtliche Vormundschaft unterzeichnet war. Und als Angélique sich Hubert in die Arme warf, sah er wohl an der flehenden Frage in ihren Augen, daß sie begriffen hatte, was der wahre Grund seiner Reise gewesen. Da sagte er zu ihr lediglich:

      »Mein Kind, deine Mutter ist tot.«

      Weinend umarmte Angélique beide voller Leidenschaft. Niemals wieder wurde darüber gesprochen. Sie war ihre Tochter.

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