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n schejner lauer Sommeroabend, nejch?!"

      Langsam drehe ich mich um. Ich bin eine aufgeschlossene Person. Unter anderen Umständen hätte ich ihm ein herzliches Lächeln geschenkt, wäre fröhlich auf eine oberflächliche Unterhaltung eingegangen. Aber nicht unter diesen Umständen.

      Er muss erst Anfang 20 sein. Er trägt volles Haar, welches er mit etwas Wachs locker nach hinten gekämmt hat - nicht versnobt. Leger. Der Mondschein enttarnt sein Gesicht als makellos. Keine Fältchen, die aus seinem Leben erzählen.

      Ich sehe ihn schon viel zu lange ausdruckslos an. Mir ist nach keiner Unterhaltung, ich bin längst für keine Ablenkung zu haben. Ich möchte nur die Leere genießen. Kurz nicht von dem Schock und der Trauer übermannt zu werden, wieder atmen zu können, ist beinahe ein Genuss. Eine Pause, die ich mir nicht nehmen lassen möchte.

      Also stehe ich auf und verschwinde in der Dunkelheit.

      Kapitel 6

      "Sehr gerne, Frau ..."

      Sie schaut mich über ihre wieder-moderne schmale Brille an. Die Haare mit einer Klemme hochgesteckt, die gut hätte aus den 80ern stammen können. Das halbdurchsichtige Kastanienbraun, welches sich unentwegt mit dem Karamell mischte. Aber in ihrer Uniform und preziös geschminkt, wirkt sie dennoch elegant.

      "Frau Hanau", erkenne ich auf ihrem Namensschild. In goldenen matten Buchstaben eingraviert. Auf einem schwarz-glänzendem Hintergrund.

      "Entschuldigen Sie!", reißt sie mich aus meinen Gedanken.

      "Auf welchen Namen geht das bitte?"

      Sie spricht vorsichtig. Fast wie mit einem Kind. Ich muss fürchterlich aussehen! Verheult, zerzaust, einsam. So wie ich mich fühle.

      "Auf Tha...", meine Stimme bricht.

      "Auf Thaler, bitte. Maria Thaler", flüstere ich.

      "Natürlich, Frau Thaler. Ihre Zimmernummer ist 301. Darf Ihnen Herr Meisinger mit dem Gepäck helfen", sie deutet auf einen freundlich lächelnden jungen Mann hinter mir. Er sieht mich mit einer Mischung aus Mitleid und Ermutigung an.

      Ich trage noch immer die Einkaufstüten.

      Kapitel 7

      3 Uhr morgens.

      Habe ich überhaupt geschlafen?

      Ich wälze mich im Bett, suche nach dem warmen Fleck, der mir sagt, dass er nur kurz auf Toilette ist, dass ich alles geträumt habe. Langsam, nur ganz langsam öffne ich die Augen. Als ob ich damit rückgängig machen könnte, die Augen geöffnet zu haben sowie ich erkenne, dass er nicht da ist.

      Er ist nicht da. Tränen rinnen heiß meine Wangen hinunter. Tom, Tom! Komm her! Halte mich! Flüstere mir ins Ohr, dass du bei mir bist, dass du mich nie verlässt. So, wie du es immer getan hast, wenn ich einen Alptraum hatte.

      Ein dicker Kloß schnürt mir die Kehle zu. Ich versuche die Schmerzen, die er auslöst, zu schlucken. Ich träume von deinen Händen, wie sie mir durch die Haare fahren, wie du mich auf die Stirn küsst und mich in deinen Arm nimmst. Mein Kopf hat perfekt in deine Armbeuge gepasst.

      Ich sehne mich so nach dir. Ich wollte niemals ohne dich sein. Wie konntest du mir das antun?

      Mein Kissen ist in warmen Tränen getränkt. Ich verfalle in lautes Schluchzen. Aus meiner Kehle kommen herzzerreißende Laute: langgezogene Klagerufe, über die ich jegliche Kontrolle verliere. Ich verliere selten die Kontrolle über mich selbst, aber jetzt ist es mir völlig egal, ob mich wer hört. Es ist mir egal, ob sich irgendwer von meinem Weinen gestört fühlt. Die einzigen Menschen, die mir nicht egal waren, haben mir mein Herz rausgerissen und es in Stücke zerfetzt. Ich möchte die Wut darüber nur zu gern an jemandem auslassen.

      Irgendwann ist nur noch mein Schnaufen zu hören, meine Nase, die ohne mein Zutun immer wieder Sauerstoff in meine Lungen pumpt, in unregelmäßigen Abständen. Mein Körper macht, was mein Verstand ihm am liebsten verbieten möchte.

      Mein Kopf liegt schwer auf dem Kissen. Ich liege auf dem Bauch und mein zerknautschtes Gesicht liegt inmitten eines Sees, der mein halbes Gesicht bedeckt. Mein Körper ist bleischwer. Meine Arme kann und mag ich nicht bewegen. Irgendwann schlafe ich vor Erschöpfung ein.

      4:35 Uhr. Ich liege noch immer so wie ich eingeschlafen war. Vor mir ein Lichtermeer. Die Skyline Hamburgs ist wunderschön, aber ich sehe sie in diesem Moment nicht. Ich starre ins Nichts. Meine Augen sind nur halb geöffnet. Sie sind schwer, ich bin müde. Ich möchte schlafen, möchte mich ins Land der Zufriedenheit zurückträumen, aber ich weiß, dass ich kein Auge mehr zumachen würde.

      Mit der letzten Kraft, die in meinem Körper zu verblieben sein scheint, stemme ich mich hoch und lehne mich mit dem Rücken an die Wand, der Blick immer noch steif nach draußen gerichtet.

      Am Horizont macht sich allmählich ein hellerer Streifen breit.

      Ich wende mich ab. Und starre die gegenüberliegende Wand in Grund und Boden.

      Tom, ich liebe dich! Du fehlst mir. Ich möchte nicht ohne dich sein. Du fehlst mir fürchterlich! Ich will in deinen Armen liegen und alle Tränen weinen. Dann sollst du mich noch fester umarmen. Wir werden uns lieben und am nächsten Tag ist alles wieder gut.

      Wie sehr ich mir das wünschen würde. Aber ich befürchte, ich könnte "es" nie vergessen. Ich glaube, ich wäre nie in der Lage, den Betrug auszublenden. Kurzweilig - ja. Aber bin ich bereit, auf Dauer immer wieder damit konfrontiert zu werden?

      Würde ich mir damit nicht das Leben schwer machen? Oder leichter, da es jetzt für mich der einfachste Weg wäre? Natürlich, die Trennung würde bedeuten, dass sich unser Freundeskreis, der so eng miteinander verwoben ist, mehr oder weniger für eine Seite entscheiden müsste. Nicht, dass ich das verlangen würde, aber nach einer Trennung bin ich wohl kaum bereit, auf der nächsten Geburtstagsparty dem Menschen gegenüber zu treten, der mich verletzte, wie noch nie ein Mensch zuvor. Abgesehen vielleicht von Anna.

      Kapitel 8

      Das erste, woran ich mich erinnern kann, wenn ich an Anna denke, ist ihr Lächeln über beide Backen mit nur der Hälfte der Zähne im Mund. Sie sah zum Kreischen aus, aber ich war damals schon neidisch auf sie, da ich noch fast alle Milchzähne hatte. Wir müssen damals knapp 6 Jahre alt gewesen sein, denn die Schuleinführung war die erste Familienfeier, die wir gemeinsam verbrachten.

      Anna ist meine Halbschwester, was wir jedoch erst viele Jahre später erfahren sollten.

      Sie war über Jahre "nur" das Nachbarskind. Da das Durchschnittsalter in der Burgunderstraße jedoch bei mindestens 50 lag, war sie schon früh meine beste Freundin. Wir haben alles zusammen gemacht. Wir haben uns morgens getroffen und uns abends schweren Herzens getrennt, aber selbst dann haben wir uns mit Lichtzeichen noch einander zu verstehen gegeben, dass wir aneinander dachten. Wir waren unzertrennlich. Und auch nach Annas Einzug bei uns sollte sich daran überraschenderweise nichts ändern.

      Antonio – Annas Vater – war mit Anna in die Burgunderstraße gezogen, als sie noch ein Kleinkind war. Er war alleinerziehend und vielleicht war es genau das, was mich von Anfang an mit Anna verband. Auch sie hatte nur ein Elternteil. Mein Vater ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als ich noch keine 2 Jahre alt war. Von Erzählungen und Bildern weiß ich, dass wir einander sehr nahestanden, doch persönliche Erinnerungen habe ich an diesen -mir auf wundersame Weise- so vertrauten Mann keine. Ich denke heute nicht mehr über den Verlust nach, aber wandern meine Gedanken zu ihm, so schmerzt Sehnsucht in meiner Brust.

      Hatte ich -wenn auch nicht immer- meine Mutter an meiner Seite, so hatte Anna den Gegenpart eines Vaters.

      Ich wusste von meiner Mutter. Es gab sie. Aber sie beehrte uns nur selten mit ihrer Anwesenheit. Ich liebte Anna, aber ihr Glück

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