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lieber Herr Insp... mein lieber Herr Rhode, hier wird mir ganz deutlich, dass Sie von Frauen nichts verstehen.“

      „Das weiß ich selbst, aber erläutern Sie es den Interessierten doch bitte an diesem Fallbeispiel.“

      Sie deutete auf die Tote. „Eine Frau würde nie Rattengift nehmen.“

      „Gutgut.“ Ich wartete. „Ich warte.“

      „Herr Rhode, was macht Sie denn stutzig? Wittert der große Kriminalist etwa einen Mord?“ Ihr Tonfall war für meinen Geschmack drei Nummern zu höhnisch und mein Geschmack liegt normalerweise weit über dem Durschnittshöhnischen. „Was würden Sie denn machen, wenn Sie Selbstmord begehen?“

      „Einen Abschiedsbrief hinterlassen, vielleicht?!“

      „Vielleicht hat sie das ja?!“

      „Vielleicht klären wir das?!“ Ich sah mich nach jemandem um. Da niemand da war, sah ich niemanden. Ich wollte mich schon hochbeamen lassen, als ich eines Mannes gewahr wurde, aber es war, wie in jedem guten Film, nur mein Spiegelbild. Dann kam jedoch ein Mann in Nichtzivil und fragte, was die Situation rettete: „Möchten Sie jetzt mit dem Gatten der Toten sprechen?“

      „Wunderbar!“ meinte ich, was mir die üblichen bösen Blicke einbrachte. „Ich meine, äh, ja.“ Wir folgten dem Herrn und betraten das Wohnzimmer. Auf dem Sofa, in Tränen aufgelöst wie sich das gehört, saß, so vermutete ich, der Mann der Toten, nunmehr Witwer. „Guten Tag, mein Name ist Rhode“, stellte ich mich vor und er blickte auf. „Äh, und das ist meine Kollegin Frau... Fräulein Fischer.“

      „Frau Fischer!“ berichtigte sie.

      „Äh, ja.“

      „Nickel, Gernot Nickel.“ Er wischte sich die Tränen aus den Augen.

      „Herr Nickel, es tut mir leid, aber ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.“ Eine Routinefloskel.

      „Fragen Sie...“ Er schüttelte den Kopf auf die Art, als könnte er es noch immer nicht begreifen. Ein Klischee.W

      „Sie haben Ihre Frau gefunden...?“ Eine übliche Begebenheit.

      Er nickte. „Ich... ich war bei der Arbeit... im Büro“-das-sicherlich-mit-meinem-kaum-zu-vergeleichen-war-bzw-eher-umgekehrt „...als sie anrief. Sie hat... sie hat gesagt, es... es hätte keinen Zweck mehr... und sie... und sie würde sich das Leben nehmen.“ Eine stammelnde Erzählung – war mir auch schon geradezu annährend fast immer an irgendeiner Stelle eines Falles vorgekommen.

      Er versank wieder in sich selbst.

      „Wann war dieser Anruf etwa?“ Eine Hintergrundfrage.

      „Nachmittag... Ich war zum Mittagessen...“ Eine Aufzählung: Er erzählte, dass er zum Mittagessen außer Haus gewesen wäre. Sie hätten eine Pizza gegessen und dann wäre er zur Arbeit zurückgefahren. Er arbeitete in einer Bank, sagte er, wo sie ihn dann am Nachmittag angerufen habe, gegen halb vier. Sie habe gesagt, sie wolle sich das Leben nehmen, er jedoch habe dies nicht ernst genug genommen, gleich einen Krankenwagen zu rufen, sondern sei sofort nach Hause gefahren, aber unterwegs im Verkehr stecken geblieben. Und dann habe er die Leiche seiner Frau vorgefunden – zu spät. Nun mache er sich schreckliche Vorwürfe, dass er sie nicht ernst genug genommen hatte.

      „Herr Nickel, ich weiß, das ist keine nette Frage, aber... führten Sie eine glückliche Ehe?“ Was sollte er wohl darauf antworten? Angesichts der Tatsache, dass sich seine Frau umgebracht hatte, war eine Antwort wie „Wir waren noch so verliebt wie am ersten Abend, als wir uns auf der Fete auf den ersten Blick ineinander verliebt haben und wussten, dass unsere Liebe ewig halten würde!“ selbst für die schlechtesten Krimiautoren (naja, für die Autoren von Südstaatenepen war sie vielleicht akzeptabel) unwahrscheinlich, zumindest aber unglaubwürdig.

      „Herr... Kommissar“, riet er einfach mal drauflos, „Sie kennen das sicher, in einer Ehe läuft es nicht immer gut...“

      Ich kannte das zwar nicht, jedenfalls nicht aus eigener Erfahrung, aber einen solchen Satz unterbricht man halt nicht mit solchen plumpen Richtigstellungen. Meine Kollegin, Partnerin, zeigte mir durch den Blick, den sie mir zuwarf, dass sie ebenfalls annahm, dass ich das nicht kannte.

      „...aber ich dachte, wir hätten... unsere Differenzen überwunden.“ Er sah, mit tränenzerflossenen Augen, auf. „Ich konnte doch nicht wissen, dass sie...“ Er ließ es ungesagt.

      „Litt Ihre Frau unter Schlafstörungen?“

      „Ja. Sie war deswegen in Behandlung... sie hatte deswegen...“ Es war der Tag des Ungesagtlassens.

      „Der Arzt, bei dem Ihre Frau in Behandlung war...“ folgte ich dem Trend. Er nannte uns, was wir wissen wollten. „Haben Sie noch Fragen an ihn?“ nötigte ich meiner Kollegin eine Entscheidung ab. Sie schüttelte den Kopf und wir gingen. „Na, meine Liebe“, fragte ich, als wir außer Hörweite waren, „wie lautet Ihr Tipp?“

      „Was für ein Tipp? Sie haben den Mann gesehen. Eheprobleme. Vielleicht war die Frau etwas zu sensibel, soll ja auch bei Frauen vorkommen...“

      „Ja, davon habe ich auch gehört.“

      „...und hat sich umgebracht. Und Sie Meisterdetektiv wittern einen Mord dahinter? Lachhaft!“

      „Ich finde es halt originell, dass man seine Selbstmordabsichten neuerdings per Telefon bekannt gibt. Obwohl, sie hätte ja auch faxen können. Oder ein E-Mail schicken!“ Oder eine SMS, wie es heutzutage wahrscheinlich üblich war. Wahrscheinlich nahm man dann seinen Selbstmord auch noch mit der eingebauten Kamera auf… ach, die Fortschritte der modernen Welt! Damals dagegen waren die Dinge noch ein klein wenig anders gewesen… aber eben nicht viel.

      „Vielleicht war sie ja eine von denen, die gerettet werden wollen?“

      „Nicht, wenn man das Verkehrsaufkommen um diese Zeit kennt! Dass ihr Retter im Verkehr stecken bleibt, nein, sowas würde nur Leuten wie mir passieren.“

      „Leuten wie Ihnen? Sie meinen: Männern?“

      „Kann es sein, dass Sie was gegen Männer haben?“

      „Männer?!“ Sie spie das Wort aus. „Männer glauben doch nur, dass sie besser sind als Frauen!“

      „Richtig, ja, das hatte ich vergessen. Und Männer sind in Wirklichkeit alle Ausbeuter, wollen von den Frauen nur Sex, äh, gut, äh, haben keine Gefühle...“

      „Und sie erkennen die Frau nicht an. Es ist jetzt an der Zeit, dass die Frauen den Männern zeigen, dass sie besser sind als sie. Männer glauben, sie können sich alles erlauben.“

      „Das sollen Frauen jetzt auch?“

      „Ja.“ Sie stutzte. „Was meinen Sie?“

      „Ich? Oh, ich habe nicht das Recht, etwas zu meinen. Ich bin eben nur... ein Mann!“

      „Ja... Warum sollen die Frauen nicht an die Macht?“

      „Ich habe nicht gesagt, dass sie es nicht sollen. Ich habe nur gesagt, dass jede fanatische Richtung einseitig ist, dadurch wird sie dumm. Falsch und faschistisch ist es ohnehin und außerdem ist der Weg des knallharten Feminismus, den Sie da bestreiten, ziemlich genau die Art und Weise, die Sie den Männern vorwerfen. Nur eben mit anderem Vorzeichen. Und deswegen finde ich das ganze ziemlich primitiv und oberflächlich. Und unreflektiert dazu!“

      Sie starrte mich, aber, was mich freute, nachdenklich an. Einen Moment schwieg sie, dann meinte Frau Fischer: „Ach.“ Dann schmollte sie, wenn auch etwas nachdenklicher. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass viel zu wenig Leute darüber nachdachten, bevor sie irgendeine leicht faschistoid angehauchte Fanatismusidee übernahmen... aber das lag ja auch irgendwie in der Natur dieser Dinge.

      „Hauen wir hier ab!“ murmelte ich.

      Kurz vor dem Wagen brach sie ihr Schweigen: „Wissen Sie was?“ Ich hob fragend eine Braue. „Ich werde darüber nachdenken. Über das, was Sie gesagt haben!“ Klang ein bisschen zu gut

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