ТОП просматриваемых книг сайта:
Ackerblut. Andre Rober
Читать онлайн.Название Ackerblut
Год выпуска 0
isbn 9783748594956
Автор произведения Andre Rober
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Auch wenn wir Ihnen hier im Schwarzwald solch spektakuläre Fälle nicht bieten können, so bin ich doch zuversichtlich, dass Sie sich hier wohlfühlen werden. Die Stadt und Regio bieten auch in der Freizeit…«
Sarah schaltete ab. Wie immer ihr neuer Vorgesetzter jetzt die Vorzüge Südbadens beweihräuchern würde, sie wollte alles selbst herausfinden und erkunden. Vielmehr musterte sie ihre Kollegen und erkannte an deren Mienen, dass auch sie ganz offensichtlich den Worten des Chefs kein Interesse entgegenbrachten. Karen Polocek, mit deren Blicken sich die ihren trafen, lächelte verschmitzt und verdrehte leicht die Augen nach oben. Sarah grinste wissend zurück. Als Gröber schließlich nach zwei Minuten fertig war, sah sie sich genötigt, aufzustehen und ihm für den herzlichen Empfang zu danken und auch ihrerseits der Zusammenarbeit freudig entgegenzusehen. Dann war die Vorstellung beendet und Gröber ließ die Ermittler allein.
Es war der Wasserwerfer, dessen
Einsatz die Stimmung bei der Demonstration eskalieren ließ. Anfangs wurden die Teilnehmer von dem kalten Strahl nur in die Flucht geschlagen. Jetzt war die Wasserfontäne, die gezielt auf die Personen gerichtet wurde, welche sich den Polizeihundertschaften näherten, so hart und konzentriert, dass die Menschen förmlich weggespült wurden. Kleidung zerriss, mit aufgeschlagenen Knien und gebrochenen Rippen traten die Getroffenen den Rückzug an. Manch einer konnte nur noch durch den Matsch kriechen, um zurück in den Schutz der skandierenden Menge zu gelangen. Der Uniformierte in der ersten Reihe, dem die Demonstranten mehrfach sehr nahegekommen waren, blickte skeptisch auf den gepanzerten Wasserwerfer. Immer wieder lösten sich einige Menschen aus dem Pulk, deren Versuch, sich den Einsatzkräften zu nähern, sofort mit einem Schwall Wasser abgestraft wurde.
Warum musste die Situation derart entgleiten? fragte sich der Polizist. Die Demonstration bot zwar einiges an Konfliktpotential, war bis zu diesem Zeitpunkt aber friedlich verlaufen. Und das Anliegen der aufgebrachten Menge war durchaus hehr.
Gegen die Sammlung privater Daten!
Stopp dem Zugriff der Geheimdienste!
Keine totale Überwachung!
Recht auf Anonymität!
Das Volk wird verkauft!
Mein Privatleben gehört mir!
Die Plakate und Banner waren mannigfaltig und zielten al-le auf dasselbe Thema ab: die zunehmende Überwachung der Kommunikation und des öffentlichen Raumes sowie die Speicherung der Daten seitens der Behörden. Entfacht worden war die Diskussion, als die EU-Länder als Reaktion auf die Anschläge auf die Züge in Madrid weitgehende Maßnahmen angekündigt hatten. Neben der Vorratsdatenspeicherung, dem Ausbau der öffentlichen Überwachung und des verbesserten Informationsaustausches zwischen den Geheimdiensten, war es auch die Neuausrichtung des Joint Situation Center kurz JSC, die den Unmut der Kritiker hervorrief. Der Polizist war gut informiert. Allzu gerne wäre er auf der anderen Seite der sich immer mehr verhärtenden Fronten, denn auch seiner Meinung nach war die Konzentration und Vernetzung von privaten Daten eine sehr diffuse, jedoch ernstzunehmende Bedrohung der freien Gesellschaft. Insofern konnte er nicht verstehen, warum in dieser Härte gegen die Demonstranten vorgegangen wurde. Jenseits der schlammigen Wiese waren auch Mütter mit Kinderwagen, Jugendliche, ältere Menschen, ein Querschnitt aus allen Bevölkerungsgruppen, die mit ihrer Anwesenheit und ihrer Stimme der Sorge um eine Zukunft in Freiheit und ohne staatliche Kontrolle Ausdruck verleihen wollten.
Anke Werth konnte sich inmitten der skandierenden Menge kaum bewegen. Das Gedränge war so dicht, dass sie keine Chance hatte, darüber zu bestimmen, wohin sie ihre Schritte lenkte. Immer wenn die Masse versuchte, den kalten, harten Wasserfontänen auszuweichen, wurde sie mitgerissen; mal in die eine, mal in die andere Richtung. Anfangs, als der Kontakt zu den anderen Demonstranten noch eher locker war und sie, einer Art Schwarmintelligenz folgend, selber aktiv in Deckung gegangen war, fand sie das Ganze noch ein wenig belustigend. Ineinander gehakt vermittelten die gemeinsame Bewegung und die Sprechchöre eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl im Kampf gegen einen überlegenen Gegner. Aber jetzt, da sie keine Kontrolle mehr über ihren Körper hatte, missfiel ihr die Situation zusehends. Nur zwei Meter neben ihr konnte sie beobachten, wie eine junge Frau mit einem bunten Kopftuch über ihrem Rastafari scheinbar lautlos schrie und mit den Armen versuchte, sich an den Schultern der sie Umgebenden nach oben zu drücken. Auf ihrem geröteten Gesicht machte sich zusehends Angst, ja fast Panik breit, während sie, genau wie Anke, in dem Getümmel umhergewirbelt wurde. In der Masse wurde die missliche Lage der jungen Frau offenkundig nicht wahrgenommen, nur Anke schien ihr Schicksal nicht gleichgültig zu sein. Ihre Blicke trafen sich. Für Anke war klar: Sie würde sich nicht ohne dieses Mädchen aus dem Gerangel zurückziehen. Unter dem Einsatz ihrer Ellenbogen und mit lautem Schreien arbeitete sie sich das kurze Stück nach vorne. Sie nutzte die erste Chance und griff nach dem Ärmel der ihr unbekannten Frau, die mittlerweile wieder mit beiden Füßen auf dem Boden stand.
»Halt dich fest«, rief sie und versuchte mit ihrem linken Arm eine kleine Lücke offenzuhalten, die sich für einen Moment gebildet hatte. Noch bevor der Wollpullover, in dessen dicke Fasern Anke ihre Finger krallte, der Belastung nachgab, schaffte es der Teenager ihrerseits, Ankes Handgelenk zu fassen. Sofort zog Anke sie zu sich und machte bereits einen Schritt rückwärts, prallte jedoch mit dem Rücken gegen eine Mauer von Demonstranten. Unfassbar! Es gab immer noch jede Menge Menschen, die weiter in die entgegengesetzte Richtung drückten, um an die Front der Auseinandersetzung zu gelangen. Bilder von der Love Parade in Duisburg kamen Anke in den Sinn. Auch in ihr stieg nun Panik auf. Immerhin konnte sie die junge Frau, die um Luft rang und einen Arm auf ihre offensichtlich schmerzende Brust drückte, an der Schulter fassen. Kaum fühlte sie Ankes Umarmung, knickten ihr die Knie ein und sie drohte, zu Boden zu sinken.
»Wir müssen hier raus«, schrie Anke dem Mädchen ins Ohr. Ein dankbarer Blick und eine merklich erhöhte Körperspannung gaben ihr zu erkennen, dass die junge Frau sich nicht aufgegeben hatte. Gemeinsam stemmten sie sich gegen die nachrückenden Demonstranten und Anke tat alles, um die Reihen zu durchbrechen ohne den Kontakt zu ihrem Schützling zu verlieren.
Nach etwa zehn Minuten hatten sie sich durch das Ärgste hindurchgewühlt. Es befanden sich immer noch sehr viele Menschen um sie herum, jedoch mussten sie sich nicht mehr mit den Ellenbogen den Weg bahnen, sondern konnten meist schon mit einem festen Blick die Reihen öffnen und sich gegen den Strom fortbewegen. Erst als sie nur noch vereinzelt auf jemanden trafen, schlugen sie den Weg zum Rand des Feldes an. An einem tiefen Wassergraben sanken sie schließlich Arm in Arm zu Boden. Die junge Frau weinte bitterlich und musste zwischendurch heftig husten. Anke strich ihr über die Rastalocken und sprach beruhigend auf sie ein.
»Ist ja gut, es ist vorbei! Du hast es geschafft!«
Das Mädchen nickte, hob den Kopf und lehnte ihn an Ankes Schulter. Bis auf die verquollenen Augen war sie sichtlich entspannter, die angestrengte Röte war einer der Erschöpfung geschuldeten Blässe gewichen. Anke betrachtete das hübsche Gesicht des Teenagers. Sie war bestenfalls siebzehn Jahre alt, hätte somit Ankes Tochter sein können. Mit ein wenig Stolz über ihre erfolgreiche Rettungsaktion lächelte sie verhalten, während sie weiter Augen, Nase und Mund des Mädchens studierte. Nach einer Weile öffnete sie die Augen und musste ebenfalls lächeln.
»Glaubst du, du bist verletzt? Soll ich dich zu einem Arzt bringen?«, fragte Anke.
Mit einem Kopfschütteln richtete sich die junge Frau auf und setzte sich auf ihre Fersen.
»Ich bin okay«, sagte sie und tastete ihre linke Seite und die Brust ab.
»Ein paar blaue Flecke, fürchte ich, aber mehr nicht.«
Sie lehnte sich ein wenig zurück und sah sich um.
Anke beobachtete