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es außer dem Bahnhof nur einen Gasthof und drei Häuser. Das Gasthaus konnte nichts erübrigen, „Das Brot ist für die Gäste!“ Blieb nur das Bahnhofsrestaurant. Auch hier zögerte der Wirt, aber als er hörte, dass da ein Wiener und eine Dresdnerin vor ihm standen war er so erstaunt, dass er Brötchen und Wurst herbeizauberte. „Dass sich so etwas zusammengefunden hat!“ Er konnte es gar nicht fassen.

      Schließlich kam der Zug zum Brocken aus Wernigerode. Er ächzte aus allen Nähten aber schaffte es schließlich zur Spitze. „Nein, diese Aussicht! Wie herrlich.“ Der Sturm zerrte an den Sachen, aber dieser Blick. „Hier hatte auch Goethe gestanden.“

      Gern hätten Marie und Ernst noch eine Weile in die Weite geschaut und sich Hexengeschichten erzählt, aber der Vater mahnte bereits wieder zum Aufbruch. Bergab ging es über quer liegende Äste und Felsblöcke, steil, ohne Wegweiser. Die Blaubeeren am Weg mussten daran glauben und landeten in begierigen Mündern. Tief im Wald fanden sich eine Quelle und einen prima Rastplatz. Das Schild: „Abkochen im Walde streng verboten!“ hatte man bewusst übersehen und ließ sich am Feuer auf der Zeltbahn nieder. Selma deckte den provisorischen Tisch, Paul war Koch, Ernst Wasserträger und Marie spähte in die Runde, damit sie keiner überraschte. Bald saßen sie im Kreis und löffelten die Erbsensuppe. Danach gab es Kaffee, extra stark, um bei Ernst bestehen zu können. Aber der schüttelte sich wieder und verschmähte das „Gesöff“. Ein „Einspänner“ sei ihm lieber.

      Die Sonne meinte es gut und die letzten Tage war der Schlaf zu kurz gekommen. Bald lagen Paul und Ernst ausgestreckt im Gras, Selma und Marie auf der Zeltplane. Nach zwei Stunden gab es noch einen Kaffee, alle erfrischten sich an der Quelle, dann ging es bergab Richtung Bad Harzburg. Der Weg war steinfrei, also leicht zu begehen, und schon klangen wieder Lieder durch des Waldes Stille. „Das Wandern ist des Müllers Lust…“, und „Im Frühtau zu Berge wir zieh’n Valera…“Alles was man so drauf hatte. Zwischendurch erzählte Ernst von seinem Beruf, seiner Mami, den Mitmenschen und dem Garten. Es war eigentlich das erste Mal, dass sie ernsthaft miteinander redeten. Dabei verloren sie die Eltern aus den Augen. Erst ein Jodler von Ernst führte sie wieder zusammen.

      Im „Molkenhaus“ gab es erfrischende Buttermilch. Dann ertönte zartes Glöckchengebimmel. Braune Kühe, alles braune, strebten von den saftigen Wiesen dem Abhang zu. Der Viehhirt in seiner Kutte stapfte gemächlich hinterher, sein Schäferhund an der Seite. Jede Kuh fand ganz allein den Weg zu ihrem Stall.

      In Bad Harzburg war schon wieder Eile geboten, der Zug nach Goslar fuhr um Sieben. Dort kam man im Dunkeln an und musste sich doch noch ein Nachtlager suchen. Durch das Rosentor betraten sie die Stadt und gingen suchend die Bahnhofstraße entlang. Da sprach sie ein Mann an; „Suchen die Herrschaften Quartiere?“ Ein freudiges „Jaaa“ scholl ihm entgegen. Er führte sie zu einem neuen Einfamilienhäuschen. „Bitte sehr, das ist mein Heim. Ich kann Ihnen zwei Zimmer anbieten, 2 RM pro Bett.“ Da gab es kein Überlegen. Der Mann war ohne Arbeit und versuchte durch Zimmervermietung über die Runden zu kommen. In der Veranda servierte die Hausfrau Kaffee, und Selma packte die Brote aus. Endlich konnten sie mal wieder duschen. Es wurde halb zwölf, ehe Ernst im ersten Stock verstaut wurde. Die Familie war in Erdgeschoss untergebracht. Es gab keine Diskussion darüber, dass Marie bei den Eltern schlafen musste. Trotz ihrer 20 Jahre.

      Am nächsten Morgen wurde Marie vom Plätschern des Vaters am Waschtisch munter. Die Sonne schien ins Zimmer, aber sie war noch sehr müde. Erst die strengen Worte des Herrn Papa: „Hau’n bisschen hin. Es ist schon sieben!“ brachten sie auf die Beine. Auch Ernst war schon munter. „Deine Guckerln schaun noch ganz trüb aus“, begrüßte er sie.

      Nach dem Frühstück führte sie der Gastgeber durch die alten Gässchen Goslars, zur Kaiserpfalz und zum Rathaus. Im Huldigungszimmer wurde die silberne Bergkanne aus dem Jahr 1477 bewundert. Auf einem Teich beim Festungsturm am Zwingerwall glitten majestätisch zwei Schwäne über das Wasser. Beim Anblick der Menschen änderten sie ihren Kurs und schwammen lautlos auf sie zu. Leider umsonst, sie bekamen keine Mahlzeit und schwammen beleidigt davon. Es gab noch sehr viel zu sehen, aber wieder musste ein Zug erreicht werden.

      Während die Eltern schon die Plätze belegt hatten, standen Ernst und Marie noch Händchen haltend und lachend auf dem Bahnsteig. Ein älterer Herr beobachtete sie eine Weile und sagte dann bärbeißig: „Nun nehmt doch endlich Abschied. So schwer wird das wohl nicht sein:“ Er erntete nur ein weiteres Lachen und die zwei stiegen erst ein, als der Bahnhofsvorsteher die Kelle hob.

      In Hannover nutzte man die vier Stunden Aufenthalt zu einem kurzen Stadtbummel durch die Knochenhauerstraße mit den schönen mittelalterlichen Fachwerkbauten, bestaunte Markt und altes Rathaus. Die Zeit war wieder mal zu kurz. Außerdem hatten alle Hunger. In einem vornehmen Restaurant fielen sie in ihrer Wanderkluft auf, Ernst in kurzen Lederhosen, Marie im Dirndl, Selma mit Strickjacke und Paul in Knickerbockern. Aber immerhin mit Schlips. Den band er selbst bei größter Hitze um. „Für einen Polizisten in Zivil gehört sich das.“

      Weiter ging es mit dem Zug nach Soltau, wo eingekauft wurde. Die Leute waren verschlossen und redeten nur das Nötigste. Die Fremden wurden von den Heidemenschen argwöhnisch beobachtet. Hier gab es nicht viele Touristen, schon gar nicht solche mit solch komischer Kleidung und der eigenartigen Sprache. Zuhause würden sie was zu erzählen haben.

      Nächstes Ziel war Wintermoor. Im Zug schliefen alle. Die Strecke war auch zu eintönig. Im „Heidehof“ konnte man sich endlich mal wieder waschen. Das tat gut, auch wenn das Wasser durch das Moor ganz braun war. Im Garten gab es Abendbrot mit Käse und Westfälischem Schinken. Paul genehmigte sich eine Zigarre, einen „Friedhofsspargel“, wie Ernst despektierlich bemerkte.

      Ein Abendbummel schloss sich an. Die Weite und das Rauschen der Birken und Heidebüsche legten sich auf die Gemüter. Hier konnte man Löns erst so richtig verstehen. Ganz leise klang ihr Gesang, voller Schwermut, aber in inniger Umarmung. „Es dunkelt schon in der Heide, nachhause lasst uns geh’n …“ Und schon an der Haustür sangen sie gedämpft: „Steh‘n zwei Stern am hohen Himmel, leuchten heller als der Mond…“ Das konnte nur mit einem Kuss enden. Einem? Ernstl wollte noch ein Busserl und noch eins. Dann verschwand jeder in seinem Zimmer, aber am offenen Fenster dachte Marie noch lange an ihn und versuchte sich über ihre Gefühle klar zu werden.

      Am nächsten Morgen war die Schwermut verflogen. Ein lustiges „Grüß Gott“ von Ernst brachte die Heiterkeit zurück. Am Horizont zogen Wolken auf und verhießen Regen. Paul schaute besorgt aus dem Fenster, hatte er doch auch für heute ein großes Wanderprogramm. Ernst, der Schelm, fragte mit ernster Miene: „Herr Wirt, wie schaut’s mit dem Wetter aus?“, wo doch alle selbst das Unheil sehen konnten.

      Unverdrossen marschierte das Quartett los, den Rucksack mit Broten und Äpfeln auf dem Rücken. Ringsum rosenrotes Heidekraut, so weit man sehen konnte, Blüte an Blüte. Es duftete schwer und süß. Die Füße versanken mit jedem Schritt im feinen gelben Sand. Ernst war der erste, dann folgten alle seinem Beispiel und zogen Schuhe und Strümpfe aus. Kein Mensch begegnete ihnen, es war ja auch mitten in der Woche. Natürlich erschollen wieder fröhliche Lieder „… leuchtet die Sonne, ziehen die Wolken, klingen die Lieder weit übers Meer.“

      Als es dann anfing zu regnen, war man froh über einen kurzen Schauer, der die Schwüle nahm, aber als er stärker wurde rettete sich die kleine Wandergruppe unter einen großen Kugelbaum auf einer Anhöhe. Die Unterbrechung wurde genutzt um zu frühstücken.

      Nachdem Frau Holle sich ausgeweint hatte ging es weiter mit Schnaderhüpferln. Jeder sang einen Text und alle den Refrain. Auch Ernst hatte einen Beitrag.

       „Juchhe und Juchhu, weil ma’s Leb’n no ham, seids lusti, mir komma so jung nimma zam! Holladihia, holladiho, a echter Weaner is allweil so.

      Und mit Blick auf Paul

       „Zwölf Polizisten und fufzehn Schandarm, san siemzwanz’g Spitzbuam wann’s zamkettelt warn.

      Oben auf dem Wilseder Berg stand an einer Orientierungstafel eine andere Wandergruppe. Griesgrämige alte Damen, ein Taschentuch über den Kopf gebunden. Sie konnten sich über den Weg nicht einigen. Ein „Grüß Gott. Kemma aushelfen“ von Ernst erhellte die Gesichter. Er kam

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