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ist oft der Tatsache geschuldet, dass sie ihrerseits es von ihren Mentoren so vorgelebt bekommen haben. Oft spielen bei dieser Führungssozialisierung allerdings auch individuelle seelische und biografische Themen eine maßgebliche Rolle.

      Gegen charismatische Führungskräfte ist ganz und gar nichts einzuwenden – im Gegenteil, wir brauchen mehr von diesem Menschen in der Wirtschaft, denn sie sind den charakterlosen Kennzahlenreitern allemal vorzuziehen. Ein charismatisches Auftreten wird allerdings allzu oft mit einem dogmatischen verwechselt. Und wer gelernt hat, dass er ab einer bestimmten Position im Unternehmen schalten und walten darf, wie es ihm beliebt, der verwechselt oft Verhandlungssituationen und interne Konflikte mit seinen persönlichen Egothemen.

      Führungskräfte stehen in der Regel im Schnittpunkt diverser externer Anspruchshaltungen, die sich auf ihre Persönlichkeitsentwicklung auswirken: eigener Ehrgeiz und Karrieredruck, das Verantwortungsdogma vonseiten des Chefs, die Pflichten als Familienernährer und meist auch noch sehr intime Themen, die oft bis in die Kindheit zurückgehen und den Charakter geprägt haben (etwa die Erwartungshaltung eines „erfolgreichen“ Vaters). Sie alle schlagen sich unbewusst auf den persönlichen Führungsstil nieder. Das ist nur allzu menschlich – hilfreich für ein freies, beseeltes Arbeiten oder gar wirtschaftlich im Sinne des Unternehmens ist es ganz und gar nicht.

      Vor kurzem hatte ich einen Coachee – nennen wir ihn Martin – der in genau jene Art von Wertekonflikt verwickelt war und davon auf vielfältige Weise beeinflusst wurde. Die verschiedenen Wertmuster, mit denen er biografisch konfrontiert worden war, hatten sich bei ihm zu einem regelrechten Knoten in der Seele verdichtet, den er selbst nicht mehr zu entwirren in der Lage war.

      Martin war in einem sehr konservativen Elternhaus aufgewachsen und hatte zwar eine sehr behütete Kindheit erlebt, dafür aber auch sehr wenige Freiheiten kennengelernt. Sein Vater hatte ihm früh eingeimpft, dass aus ihm einmal „etwas werden müsse“. Nach einem hervorragenden Studienabschluss hatte er schnell eine Stelle in einem eigentümergeführten mittelständischen Unternehmen gefunden.

      Der Eigentümer des Unternehmens wurde bald zu einem persönlichen Mentor und integrierte ihn regelrecht in seine Familie. Er verstärkte damit allerdings auch genau jene antrainierte Erwartungshaltung, die Martin von seinem Vater mitbekommen hatte und von der er sich nie hatte befreien können. Martins Frau hatte ihn früh zur Vaterschaft gedrängt, obwohl Martin keine innerliche Bereitschaft dazu fühlte – es schien ihm einfach die logische biografische Konsequenz, dem Begehren seiner Frau nachzugeben, nachdem das Gehalt stimmte und der Job sicher schien. Beruflich war er von morgens bis abends damit beschäftigt, für den alternden Unternehmer die Fäden zusammenzuhalten, und versuchte darüber hinaus weitgehend unreflektiert, seinen Mitarbeitern ein Mentor nach dem Vorbild seines Chefs zu sein. So war er schon mit Ende dreißig ein zwar erfolgreicher, aber auch seelisch ausgezehrter Mann. Er hatte – ganz im Sinne des Verantwortungsdogmas – innerlich die Verantwortung dafür übernommen, das Unternehmen in eine erfolgreiche Zukunft zu führen, indem er das Erbe des alten Patriarchen fortführte.

      Als er zu mir kam, sah Martin sich gerade erstmals mit einer Aufgabe konfrontiert, der er sich nicht mehr gewachsen fühlte: Er hatte erkannt, dass das Unternehmen mit der stolzen, traditionsorientierten Art des Wirtschaftens, für die der Eigentümer stand, nicht mehr überlebensfähig war. Der junge Manager sah sich dennoch in der Verantwortung, den Spagat zu leisten. Dabei begann er erstmals zu ahnen, dass die Werte, denen er sein Leben lang gefolgt war, nie seine eigenen gewesen waren, und begann sich äußerst unwohl in seiner Haut zu fühlen. Dass er kurz vor dem Führungskollaps stand, fiel ihm erst auf, als einige seiner besten Mitarbeiter sich frustriert von ihm abwendeten und bald darauf das Unternehmen verließen, weil sie sich Martins Ansprüchen nicht mehr gewachsen sahen. Sie konnten mit seinem zunehmend inkongruenten, die realen Möglichkeiten des Unternehmens überschätzenden Führungsstil nicht mehr umgehen.

      Persönliche Wertekongruenz, diese harte Lektion musste Martin im Coaching lernen, ist nicht erblich, sondern allein durch persönliche Erfahrung, unerschöpfliche Neugier und die Bereitschaft zum Scheitern zu erlangen. Martin hatte die Wertmuster und die Führungsdogmen seines Vaters und seines Mentors übernommen und schlitterte nun in einer Wirtschaftswelt auf die Katastrophe zu, die grundlegend anders war als die, in der sich die beiden alten Herren ihre Sporen verdient hatten. Innerlich war er frustriert, unzufrieden, schlicht unglücklich.

      Geschichten wie die von Martin gibt es viele in der Wirtschaft – auch oder gerade die harten Hunde in den Chefetagen sind nicht frei von solchen Problemen. Wenn sich die innere Werteinkongruenz von Führungskräften auf deren Führungsstil auswirkt, kann das dramatische Folgen für Unternehmen haben – ganz zu schweigen von einer Wirtschaft, die aufgrund des besonderen Ehrgeizes solcher dogmatischer Persönlichkeiten geradezu von derartigen Wertekonflikten dominiert wird.

       Worst-Practice-Beispiel 1: Blatter und wie er die Welt sah

      Ein besonders abschreckendes Beispiel für die Folgen, die eine egomanische Alleinherrschaft und aufgeblasenes Machtgebaren in Unternehmen oder, wie in diesem Beispiel, einer Organisation haben kann, ist die FIFA unter Sepp Blatter.

      Im Mai 2011 wurden aus FIFA-internen Quellen Korruptionsgerüchte im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2022 an Katar laut, in die auch der FIFA-Boss selbst verwickelt sein sollte. Blatter legte das Feigenblatt der Moral an und zerrte die vermeintlich Verantwortlichen vor die FIFA-interne Ethikkommission. Vizepräsident Jack Warner und Mohamed Bin Hammam, der bei der anstehenden Vereinspräsidentschaftswahl gegen Blatter antreten wollte, wurden vorläufig von ihren Ämtern suspendiert; Bin Hammam trat zudem höchst überraschend von seiner Kandidatur zurück. Blatter jedoch wurde freigesprochen, obwohl Bin Hammam ausgesagt hatte, der Schweizer habe von der Korruption gewusst. Auf einer Pressekonferenz hatte Blatter sogar noch die Nerven zu behaupten, es gäbe keine Krise bei der FIFA, obwohl der Korruptionsskandal weltweit die Schlagzeilen beherrschte. Wenige Tage später wurde der Patriarch erneut zum Präsidenten gewählt.

      Was in diesen Tagen intern bei der FIFA tatsächlich stattgefunden hat, lässt sich nur mutmaßen – im Sinne werteorientierter Führung kann man jedoch klar sagen, dass hier alles falsch gemacht wurde, was man nur falsch machen kann.

      Die FIFA als größter Verein der Welt definiert sich als „Fußballfamilie“. Blatter verwendete diese Formulierung sogar, als er ankündigte, die „Probleme werden wir innerhalb unserer FIFA-Familie lösen“. Die Positionierung als „Familie“, die sich durch gemeinsame Werte definiert, wurde zum Dogma, als er gegen jede Transparenz beschloss, die Klärung eines so massiven ethischen Verstoßes wie eines Korruptionsskandals unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchzuführen. Zudem blieb Blatter eine klare Positionierung schuldig, als sich weigerte, zu den Vorwürfen gegen seine Person Stellung zu nehmen.

      Egal, ob Blatter an der Korruption teilhatte oder nicht – der moralische Makel wird an ihm als Führungsperson haftenbleiben, die FIFA unter seiner Ägide immer den Beigeschmack eines unsauberen Vereins haben. Die Werte einer Fußballgemeinschaft, die Werte des friedlichen, gleichberechtigten, internationalen Zusammenhalts und der gemeinsamen Leidenschaft für den fairen Wettkampf wurden hier aufs Massivste verletzt. Sogar die interne Ethikkommission, eigentlich für die Wahrung dieser Werte zuständig, hinterließ den Eindruck eines zahnlosen Tigers unter Blatters Fuchtel.

      Es ist ein Extrembeispiel für die Wertekultur sogar der alten Schule, wenn familiäre Werte missbraucht werden, um ohne Rücksicht auf das Ansehen der Organisation ein Patriarchat zu führen. Blatter hat sich im Verlauf des Skandals auf eine Stufe mit Demagogen wie Silvio Berlusconi gestellt: Er hat sich egogetrieben sein eigenes System geschaffen und Schwache um sich geschart, um mit allen Mitteln seinen Machterhalt zu betreiben. Selbst in maximal dynastisch versuppten Unternehmen der alten Schule in der freien Wirtschaft wäre ein so extrem werteverachtendes Verhalten heute intolerabel und Blatter längst weg vom Fenster. Es ist eine Frage der Zeit, bis sich die Gemeinschaft von Fußballbegeisterten, die letztlich die wirklichen Werte der FIFA lebt, gegen ihn wendet.

       Leitbilder: Ein Kompass ohne Magnet

      Beizukommen ist der egogesteuerten Unternehmensführung – neben der persönlichen Entwicklung, der sich jede einzelne

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