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waren komplett in zwei Waggons eingesperrt. Wahrscheinlich hielten es die Zug- und Gruppenführer für unbedenklicher, wenn Verbrecher jeglicher Art von Kzlern getrennt untergebracht waren.

       Tage später geriet der Zug nach Überfahren der Grenze zur Ukraine unter Partisanenbeschuss, dem einige Waggoninsassen zum Opfer fielen, etliche andere wurden verwundet. Viele Opfer hatte nach Abfahrt des Transports in Hamburg im Übrigen auch die Verpflegung gefordert. Neben Brot bestand sie hauptsäch­lich aus fetter Wurst und viel Speck. Diese anfangs sehr be­grüßte, aber ungewohnte Nahrung war den an erbärmliche Schmalkost gewöhnten Mägen der Häftlinge ganz und gar nicht bekom­men. So war es nicht verwunderlich, dass sich vie­le Männer in Krämpfen wanden und alles, was sie geges­sen hatten, wieder von sich gaben. Andere wiederum erreichten den Fäkalienkübel nicht rechtzeitig. Es muss nicht genauer be­schrieben werden, welche Maßnahmen getroffen wurden, wenn der Zug Zwischenstopps einlegte. Jedenfalls mussten dann nicht nur Kübel entleert, Wasser und seltener Kohle nachge­bunkert und Pferde versorgt, sondern auch Menschen entsorgt werden. In den ersten Haltezeiten war dann durchgesickert, dass nicht nur ehemalige KZ-Insassen der gehaltvollen Nah­rung zum Opfer gefallen waren. Vorteil danach für die Männer, die das erste große fette Fressen halbwegs über­standen. Sie verfügten über mehr Platz, wenn sie nach dem nächsten Halt ihre toten Kameraden aus den Waggons entfernt hatten. Der Ge­stank hingegen war das Unerträglichste, dem sie ausgesetzt wa­ren. In dem Waggon, in dem Hasso und Georg untergebracht waren, hatte es nur einen Verpflegungstoten gegeben, achtzehn Erkrankte erholten sich wieder.

      Georg Mohr schlug alle paar Stunden als Teppichersatz seine Wehrmachtdecke auf, ließ sich auf die Knie fallen und betete gen Mekka. Ob jeweils die Richtung stimmte, darüber dis­kutierte man gelegentlich. Jedenfalls legte Georg Mohr keinen Wert mehr darauf, unbemerkt zu seinem Gott zu sprechen. Manch einer bewunderte ihn sogar und fühlte Ruhe in sich auf­kommen; und niemandem kamen lästernde Bedürfnisse in den Sinn.

      Ziel des Sträflingszuges war die Stadt Charkow in der Ukraine.

      Es war um die Mittagszeit, als der Transport sein Ziel erreichte. Niemand hatte sich gemerkt, wie viele Wochen oder Tage sie unterwegs gewesen waren, niemand kümmerte es. Auf dem weiten Gelände neben einem Vorortbahnhof Charkows begrüßte der Krieg das unweit des Zuges lagernde Bataillon, deren Kompanieführer darauf warteten, was weiterhin mit ihnen geschehen solle. Die Musik des Krieges! Hier war sie nicht das gelegentliche Ge­wehrfeuer versteckter Partisanen, hier erschreckte sie mit in der Lautstärke sich ständig überschlagenden tiefen, platzenden Tö­nen die gerade unfreiwillig angekommenen Zuhörer. Die ungewohnten Geräusche und der Anblick der Zerstö­rungen und des östlichen Horizonts wühlten in den Sträflingssoldaten fast panische Ängste vor dem noch für sie Unbekannten auf, hinterlie­ßen zudem das Ge­fühl, als zittere der Boden unter ihren Stie­feln. Kein lautes Reden war zu hören, die Männer lauschten und hingen ihren Gedanken nach, wobei sie dorthin starr­ten, wo sich für sie der Krieg zwar noch fern, aber in brutaler Deut­lichkeit offenbarte. Flackernde, blitzen­de Lichtkaskaden untermalten die Melodie des Krie­ges und grüßten in teuflischer Verzückung herüber: eine Aufführung des Grauens auf brennender Bühne. Den Männern wurde offenbart, was sie erwartete, hier verfolgten sie eine Ouvertüre des Dramas. Sie lagerten ohne Waffen und Munition. Sollten sie mit Steinwürfen den Feind bekämpfen? Sie wollten beides nicht: weder Waffen und Muni­tion empfangen noch mit Steinen werfen. Unweit von ihnen lagen die Bahnhofsgebäude fast sämtlich in Schutt und Asche und soweit erkennbar, auch Teile der diesseitigen Vorstadt. Und als die Dämmerung langsam herauf­stieg, verstärkte sich der ge­spenstische Anblick, wenn stehen gebliebene Schornsteine ver­brannter Häuser, überwiegend ehemalige Holzbauten, sich zu­ckend vor dem Glut wabernden Horizont erhoben, so als lebten sie und jemand versuche mit starker Hand, auch sie zu stürzen.

      Bis in die Innenstadt Charkows hätte der Zug nicht fahren können, denn nur bis hier hatten deut­sche Pioniere demolierte Gleise gegen noch brauch­bare ausgetauscht. Zu Pionierarbeiten wurden im Übrigen bald auch Angehörige von Bewährungsein­heiten eingesetzt.

      Das Strafbataillon wartete auf Befehle. Sollte es in dieser Ge­gend Stellung beziehen, um die Rote Armee aufzuhalten? Ei­nerlei, welche Befehle die Sträflingstruppe erreichen sollte, je­dem der hier Lagernden, der halbwegs imstande war, Situati­on und Verhältnisse zu überblicken, wurde schnell klar, am Ende seines Lebensweges angekommen zu sein. Sollten sie nicht nur mit ihren Körpern den Sowjets Paroli bieten, mussten Waffen und Munition ausgegeben werden. Aber auch dann konnte nicht möglich sein, die angreifenden Sowjets auch nur für eine Stunde aufzuhalten, denn kaum jemand wusste mit Ka­rabiner und Handgranaten umzugehen. Nun, Waffen und Muni­tion wurden nicht verteilt, lagerten nach wie vor in einem Wag­gon. Die Lokomotive indes stand weiterhin unter Dampf. Bald fuhr ein geschlossener Kübelwagen vor, vom Bataillonsstab angefordert, der Waffen und Munition übernahm. Danach setz­te der Zug zurück, um an einem Weichenbereich die Lokomotive abzukoppeln und als Zugmittel wieder anzukoppeln.

      Fast gleichzeitig erreichte ein Befehl das Bataillon, nicht in die vorgesehenen, bereits in die von den Vorgängern gebauten Stellungen zu marschieren, sondern sich sofort auf den Weg in die nicht weit entfernte Kleinstadt Charlowka zu machen, wo es weitere Befehle abzuwarten galt. Also formierte sich die Einheit und marschierte kilometerweit durch die dunkler wer­dende Nacht. Hassos Füßen bereitete der Marsch ziemliche Probleme. Georg Mohr klagte er, mit seinen Plattfüßen nicht mehr lange durchhalten zu können, doch er nahm sich zusam­men. Als der Morgen dämmerte, hatte das Bataillon sein Ziel erreicht. Es war fast ausschließlich durch lichte Birkenwälder marschiert, in denen der Kübelwagen problemlos vorankam. Er war der Einheit mit vielen Stopps gefolgt und dadurch dem Ri­siko ausgesetzt, im richtigen Augenblick von dem Marschkör­per von Partisanen abgetrennt zu werden.

      Auf dem ersten Blick waren keine Zerstörungen in Charlow­ka wahrzunehmen. Doch von den Einwohnern waren anschei­nend nur wenige in ihren Holzhäusern geblieben. Ferner Kriegslärm, wie am Rande der Großstadt Charkow, war nur schwach zu hören, auch nur dann, wenn keine Motorengeräu­sche in den Ort drangen. Unweit des Stadtrandes ver­lief eine der sogenannten Rollbahnen, eine äußerst breite das Gelände zerfurchende Streckenführung, verursacht von Vormärschen und Nachschubeinhei­ten deutscher Verbände. Trotz rasanter Er­folge der Wehrmacht traten natürlich auch Situationen ein, in der gebietsweise die Rote Armee zurückschlug, wie seit Kurz­em am Rande Charkows und anderswo. Einige Hundert zerfetzt­e deutsche Soldaten zusätzlich waren für die Nazi-Führung keine erhabene Sache.

      Erst im Februar 1943 raubte der Unter­gang der VI. Armee, der sich ab Herbst 1942 angebahnt hatte, dem Führer und seinen Generälen den Schlaf. Und es waren nicht wenige Verbandsführer, die das als einen Anfang vom Ende deuteten ... aber nur für sich oder in einem bestimmten Kreis.

       In der Zeit der Ankunft des Strafbataillons herrschte auf der Roll­bahn nur wenig Verkehr. Bis vor zwei Tagen hatte in dieser Stadt und vor allem vor dem östlichen Stadtrand bereits reguläre deutsche Infanterie in Stellung gelegen, bis die Soldaten dann plötzlich abgezogen wurden. An diesem Tag sollte das Strafbataillon die Infanteris­ten vorerst ersetzen. Da die Stadt ziemlich menschenleer war, durften sich die Soldaten vorerst in den Häusern ein­quartieren. Hasso und Georg Mohr fanden Unter­kunft in einem einstöcki­gen Holzhaus, das noch von einer Familie bewohnt wurde, der zwei alte Männer, vier junge und zwei alte Frauen sowie zwei Kinder angehörten. Die beiden Besetzer fühlten sich alles andere als wohl in ihrer Haut, den ukrainischen Hausbewohnern erging es nicht anders. Nach Einmarsch der Wehrmacht in ihr Land hatten sie, wie fast alle ihre Landsleute, gehofft, von den Deutschen vom Stalinregime befreit und eigenständig zu werden, was ihnen anfangs auch vermittelt worden war. Doch nach nur kurzer Zeit verdrängten Enttäu­schung und Zorn ihre Hoffnungen: Die Ukraine war für die Deutschen ebenfalls Feindge­biet. Dennoch sahen Tausende von Ukrainern ihren Kampf ge­gen das Sowjetregime erst am Anfang, was der Wehr­macht sehr gelegen kam. 1943 stellte die SS aus willigen Ukrainern die 14. Waffen-Grenadier-Division auf (SS-Division-Galizien), die aber, aus gutem Grund, nicht in der Ukraine ein­gesetzt wurde.

      Kaum Quartier genommen, sollte die Einheit den Ort wieder verlassen. Der Grund war, dass die Sowjets mit plötzlichen Ar­tillerieschlägen die vorge­lagerten deutschen Stellungen am Westufer des Do­nez' gesprengt und dann den Strom überquert hatten. Bei ihrem folgenden Vormarsch

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