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oben angesprochene Papptafel in das Fenster gestellt, mit dem deutlichen Aufruf: NUR MIT DEM KOMMUNISMUS EIN NEUES, BLÜHENDES DEUTSCHLAND!

      Hasso könne ja bei seiner Gesinnung bleiben, gab sich der Kapitän verständnisvoll, er könne es aber nicht dulden, sie in Verbindung mit seinem Haus, mit seiner Familie zu setzen. Die noch vorhandenen Nachbarn und alle jene, die seit ewigen Zeiten mit ihm und seiner Familie in gutem Einvernehmen lebten, würden dafür nicht das geringste Verständnis aufbringen, obwohl, nein, das verhehle er nicht, mancher von ihnen höchstwahrscheinlich ebenfalls dem Kommunismus zugetan sei. Denn Nicht der Russe habe ihre schöne Stadt zum Trümmerhaufen gemacht und zig Tote gefordert, sondern die Alliierten. Mit ihm, also mit Hasso, hinge ihm schnell ein Ruf an, der in seine Kreise ganz und gar nicht hineinpasse. Von der irrsinnigen Nazi-Vergangenheit habe er – »... und auch du, mein Junge ...« – die Schnauze gestrichen voll ... Und nun den Kommunismus begrüßen? Stalin, Molotow und Konsorten ...?«

      Hasso entfernte die Papptafel, stellte sie aber immer wieder auf. Er hielt auch fest an seiner Gesinnung, die in Wahrheit bei ihm irgendwann in keine grundlegende Überzeugun mündete, sondern nur vorübergehender Natur war. Es war, um dies Thema abzuschließen, in Hassos Lebenslauf der einzige Zeitabschnitt, in dem er glaubte, sich politisch betätigen zu müssen. Das traf auf viele Studenten zu. Unmittelbar nach dem Zusammenbruch Deutschlands stand der Kommunismus etlichen Bevölkerungsschichten ziemlich nahe. Es war auch nicht unbedingt mit dem Wissen und der Erkenntnis bei den meisten Menschen zu rechnen, wie menschenverachtend und grausam sich der Kommunismus in seinem Herrschaftsbereich entwickelt hat. Man konnte sich leicht mit den Thesen von Marx und Engels anfreunden, soweit wissende Männer und Frauen fähig waren, öffentlich den Kommunismus als Heilsbringer zu propagieren. Von den verbrecherischen Praktiken eines Joseph Stalin bereits all die Jahre vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion war wenig bekannt. In den Besatzungszonen in Deutschland – die sowjetische ausgeschlossen – wurden demokratische Parteien nicht lange nach dem Krieg neu ins Leben gerufen. Und die rot orientierten Studenten? In ihnen wird im Verlauf ihrer sich entwickelnden Reife und spätestens nach Ablegung des Staatsexamens ein rigoroses Umdenken stattfinden. Berufsfindung, Berufsausübung und das Geldverdienen werden in den Vordergrund treten. Natürlich sind dergleichen Entwicklungsstadien in den Reihen der Intelligenz zu verfolgen, die extrem radikalen Gruppierungen spielen für die meisten von ihnen aber keine Rolle mehr.

      Eine neue Bleibe fand Hasso bald. Mit drei anderen Medizinstudenten bezog er ein Zimmer, das in normalen Zeiten für höchstens zwei Personen eingerichtet wäre. Die engen Verhältnisse störten Hasso nicht, er hatte jahrelang andere Lagerstätten überstehen müssen.

      Doch wie war es ihm eigentlich gelungen, sich ohne nachgewiesenes Abitur für ein Studium eintragen zu lassen? Er besaß keinerlei Nachweise. Vater Eugen, in den Hamburger Bombennächten in Berlin, hatte nichts aus seiner ehemaligen Wohnung retten können, weder Familienpapiere noch Schulzeugnisse. Und genau diese Misere kam Hasso sehr entgegen. Somit wurde ihm aufgetragen, eine ausführliche eidesstattliche Erklärung abzugeben. Darin führte er an, während eines sowjetischen Fliegerbeschusses infolge seiner Flucht aus Königsberg (!) seine persönlichen Unterlagen verloren zu haben, darunter auch das Abiturzeugnis. Lückenlos verfasste er seine eidesstattliche Erklärung indes nicht: Er verschwieg KZ und Desertion nicht, aber seinen Einmarsch in Hamburg 1945 auf einem britischen Panzer. Er zog seine Kriegserlebnisse verharmlosend in die Länge, verschwieg seine letzten Einsätze in Belgien und Holland und ließ sie als Fahnenflüchtiger in Königsberg enden, wo ein Verwandter von ihm Ausweis und Zeugnis für ihn aufbewahrt habe. Lassen wir es dabei bewenden. Ungereimtheiten von vorn bis hinten – Hasso war ein Meister fantastischer Erfindungen –, doch niemand interessierte es, schon gar nicht nach Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung, auf welche Art und Weise eine Person Krieg und Kriegsende überstanden hatte. Hasso konnte seinen Immatrikulationsantrag mit der eidesstattlichen Erklärung noch dadurch untermauern, indem er nur wenige Tage nach Antragstellung der Hochschulleitung ein behördliches Dokument vorlegte, das ihn als Opfer des nationalsozialistischen Regimes auswies. Diesen Ausweis, den er möglichst ständig bei sich führen sollte, hatte er früher als erwartet in Empfang nehmen können.

      Dass er die Hochschulleitung belogen hatte, kümmerte ihn nicht im Geringsten, Ausweis und Einschreibung empfand er als Genugtuung für gestohlene und lebensbedrohende Jahre. Außerdem war mit seinen Aussagen niemandem Schaden zu-gefügt worden, vielleicht, um der Wahrheit zu dienen, nur der Behörde, die der Bevölkerung die Lebensmittelkarten zuwies. Denn es war geregelt, beispielsweise nazigeschädigten Studierenden nicht nur Gebührenfreiheit zu gewähren, sondern auch zusätzliche Lebensmittelkarten auszuhändigen, wie sie Schwerstarbeitern, Kriegsversehrten oder Schwerkranken zustanden. Zudem durften diese Personen öffentliche Verkehrsmittel kostenfrei benutzen.

      Es ging auf das Ende des ersten Semesters zu. Es war Sommeranfang. Es war längst begonnen worden, den Trümmerschutt aus den Ruinen zu beseitigen. Die Straßen hielt man sauber, und die noch wenigen deutschen Lastkraftwagen, die neben britischen Fahrzeugen das Verkehrsbild abgaben, fuhren mit Holzgas.

      Hasso und seine drei Genossen verbrachten ihre Tage im Hörsaal, manchmal auch, vor oder nach den Vorlesungen, im demolierten Hafengebiet, wo sie sich mit Aufräumarbeiten Geld verdienten. Und sie engagierten sich weiterhin für die kommunistische Partei. Die Zeit der Kartenzuweisungen für Lebensmittel sollte sich noch sehr lange hinziehen, sodass der Bevölkerung nichts anderes übrigblieb, als sich daran zu gewöhnen, bis zum nächsten Zugteilungsbeginn das Einteilen ihrer Ansprüche zu lernen. Manchmal waren die Menschen bei ihrem Einkaufsvorhaben nicht schnell genug zur Stelle, sodass die Dinge, die sie benötigten, ausverkauft waren. Am nächsten Morgen hetzte man dann erneut Richtung Ausgabeläden. Ein zusätzliches Rennen setzte an Samstagen ein, wenn an verschiedenen Plätzen der Stadt zuteilungsfrei Salzheringe und Pferdefleisch verkauft wurden. Auch bei diesen Aktionen gingen viele Menschen leer aus, vor allem alte Leute, die die Ausgabeorte nicht so ohne Weiteres erreichen konnten, war es ihnen aber möglich, dann schreckte sie das Schlangestehen ab. Es wurde in der Stadt aber auch nach Katzen gejagt, was natürlich zur Folge hatte, dass von diesen Tieren bald keines mehr gesichtet wurde. Hamburg ohne Katzen und Hunde, dafür Heere von Ratten und Mäusen, allerdings mehr unter der Stadt.

      Die blühenden Schwarzmärkte weckten natürlich auch bei Hasso und seinen drei Kommilitonen Interesse und Begehrlichkeiten. Zum Tauschen oder Verhökern hatten sie nichts anzubieten, dennoch durchstreiften sie die Trümmergrundstücke und vor allem die Plätze, wo der verbotene Handel blühte. Es belustigte sie, wenn sie verfolgen konnten, wie Polizisten einen Schwarzmarkt gewissermaßen aufrollten und Dutzende von Menschen auf die Ladeflächen von Lastkraftwagen klettern ließen, was einer Verhaftung gleichkommen sollte. Irgendwo wurde die menschliche Fracht wieder abgesetzt, weitere Maßnahmen konnten nicht veranlasst werden. In den Städten waren nicht nur riesige Wohn- und Industrieanlagen dem Bombenterror zum Opfer gefallen, es war auch manches Gefängnis getroffen worden.

       Für Schnaps und Tabak versetzte mancher sein ganzes Hab und Gut. Aus diesen Beobachtungen zog Hasso den Willen, mit seinen drei Genossen nicht länger auf den Märkten nur als Zuschauende zu stehen, und es fiel ihm auch ein, wie das zu bewerkstelligen sei. Aber ob seine Idee tatsächlich realisierbar war, musste sich erst noch beweisen. Dass bestimmte Personengruppen zusätzlich Lebensmittelkarten erhielten, davon profitierte Hasso selbst, was schließlich zu seiner Idee geführt hatte. Die Zuteilung zusätzlicher Lebensmittelmarken war nur mithilfe ärztlicher Empfehlungsschreiben möglich. Berechtigt zur Ausstellung dieser Empfehlungen war auch der Professor, Chef der medizinischen Fakultät, der in diese Aufgabe zwar nicht so stark eingebunden war wie behördlich ausgewählte Ärzte. Er war zuständig für seine gesundheitlich angeschlagenen Studierenden, die minderbemittelt zusätzliche Kräfte sammeln müssen.

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