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Das Blei der Bosse: Zwei Kriminalromane. Alfred Bekker
Читать онлайн.Название Das Blei der Bosse: Zwei Kriminalromane
Год выпуска 0
isbn 9783742794529
Автор произведения Alfred Bekker
Жанр Языкознание
Серия Extra Spannung
Издательство Bookwire
Dabei war er zunächst heilfroh gewesen, dass er nicht für die Aktion verantwortlich zeichnete, die sich Finish so "grandios" ausgedacht hatte.
Aber inzwischen rechnete er ernsthaft damit, dass er als eine Art Sündenbock herhalten musste. Deshalb hatte Finish ihn auch wahrscheinlich so dringend zu sich gebeten.
Denn die eigentlich Schuldige konnte Chester Finish nicht erreichen. Die war bei der Aktion gleich mit verhaftet worden.
Ja, er hatte verdammte Todesangst, mehr als jemals zuvor in seinem Leben. Und er hatte schon eine ganze Menge erlebt. Nicht umsonst durfte er sich unangefochten "König von Little Italy" nennen.
So nannten sie ihn auf den Straßen, auf denen er einst angefangen hatte.
Seine engen Freunde und Verwandten nannten ihn allerdings anders. Nicht einmal mit seinem amerikanischen Vornamenkürzel Gil, sondern so, wie es in der berüchtigten Mandozzifamilie üblich war, nämlich mit dem italienischen Vornamen. Für sie war er Gilberto.
Als er in der Organisation, die sich hochtrabend "Könige von New York" nannte, bis auf die zweite Stelle aufgerückt war, direkt hinter Silver, hatte das den absoluten Höhepunkt in seiner Karriere bedeutet: Endlich hatte er seiner Meinung nach das erreicht, wozu er als echter Mandozzi sozusagen geboren war.
Gewiss, er war noch nie bescheiden gewesen. Das erwartete auch kein Mensch von ihm. Mandozzi war ein harter, unerbittlicher König in seinem Reich. Er hatte sich rücksichtslos bis ganz nach oben geboxt.
Aber jetzt hatte er diese Todesangst.
Und jetzt wäre er lieber doch wieder dieses kleine Licht irgendwo auf den Straßen von Little Italy gewesen, als das er angefangen hatte. Viel lieber, als einer der großen Bosse zu sein, der vor so einem wie Chester Finish Angst haben musste.
Doch seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. Ganz im Gegenteil. Als sich Gil Mandozzi endlich überwand und eintrat, rekelte sich Chester Finish gerade genüsslich im Chefsessel des toten Glenn T. Silver. Seine großkalibrige Waffe lag vor ihm auf dem Schreibtisch.
Er sah auf und winkte Mandozzi leutselig zu. Dass Mandozzi vergessen hatte anzuklopfen, ignorierte er einfach.
"Hereinspaziert, mein Lieber!", rief Finish fröhlich.
Dies war ja eine ganz neue Seite von diesem Mann!
Gil Mandozzi wusste nicht, wie er die Situation deuten sollte. Deshalb sagte er ein wenig unbeholfen: "Äh, dass uns dieser Trevellian die ganze Zeit über anscheinend ungestört auf der Nase herumtanzen konnte, das lag nicht etwa an unserer Unfähigkeit, wie du jetzt selbst gemerkt hast." Irgendwie kamen ihm die eigenen Worte unpassend vor.
Mandozzi zuckte zusammen, als Chester Finish schallend zu lachen begann. Als hätte Mandozzi einen besonders guten Witz gemacht. Ja, er amüsierte sich köstlich, was Mandozzi nur noch mehr verunsicherte.
Der Italo-Amerikaner verstand die Welt nicht mehr.
"Es ist ja schon gut, Gilberto", sagte Finish und winkte mit beiden Händen ab, "du hast einfach nur gesagt, was alle denken, aber keiner sonst in den Mund zu nehmen wagt."
Er schüttelte den Kopf. "Falsch gedacht, Gilberto, ganz falsch. Gewiss, dieser Trevellian ist ein besonders guter Mann. Das hat er mir beweisen können. Er hat anscheinend auf der ganzen Linie gesiegt. So meinen jetzt alle. Und niemand scheint begreifen zu wollen, dass das Spiel erst begonnen hat."
Für Mandozzi war Finish jetzt endgültig übergeschnappt. Auf seiner Stirn erschien eine steile Sorgenfalte.
"Du sollst durchaus noch deine Chance haben, Gil", meinte Finish jovial. "Im Vergleich zu den anderen hast du einigermaßen gute Arbeit geleistet - bisher. Davon habe ich mich bereits überzeugt. Obwohl, ich werde mich hüten, hier die gleichen Maßstäbe anzulegen wie daheim an der Westküste. Zunächst einmal nicht. Und wenn du so weitermachst, vielleicht sogar von mir zu lernen beginnst, hast du eine reelle Chance, eines Tages in diesem Sessel hier zu sitzen und für mich in New York die Fäden zu spinnen. Ich habe nämlich keineswegs vor, noch lange hierzubleiben. Nur so lange, bis das Spiel mit diesem Jesse Trevellian zu meinen Gunsten entschieden ist."
"Ein - Spiel?", echote Mandozzi. Er dachte daran, dass es Tote gegeben hatte. So war es ihm berichtet worden: Die Leute hatten sich lieber umbringen lassen, als vernünftigerweise rechtzeitig aufzugeben. Ihre Angst vor Finish war offenbar größer gewesen als ihre Angst, erschossen zu werden... Und dann die vielen Verletzten...
Finish beobachtete ihn amüsiert. "Sieh mal, Mandozzi, du bist für mich so etwas wie ein Rohdiamant, der nur noch richtig geschliffen werden muss. Und allein die Tatsache, dass du hier vor mir erschienen bist, trotz deiner Todesangst, zeigt schon, dass du besonderen Mumm hast, und das imponiert mir an dir. Ganz ehrlich."
Gil Mandozzi hörte es und glaubte kein einziges Wort. Außerdem: Für ihn war es sowieso nicht mehr erstrebenswert, auf diesem Sessel zu sitzen. Weder jetzt, noch in Zukunft. Er hatte selbst gesehen, wie es einem unter Chester Finish erging, falls man mal einen Fehler machte. Gedanken kamen auf wie zum Beispiel: Verdammt, haben wir in New York das überhaupt nötig, uns von so einem Wahnsinnigen von der Westküste so behandeln zu lassen?
Sehr ketzerische und wahrscheinlich tödliche Gedanken, falls sie jemals zum Ausdruck kommen sollten. Es erschien Mandozzi nicht abwegig, dass Finish in einem erneuten Anfall von Wahnsinn die gesamte Führung der Organisation hier in New York umbrachte und anschließend seine eigenen Leute von der Westküste einsetzte, damit die alles neu organisierten.
Finish betrachtete ihn immer noch amüsiert.
Ob er etwas von diesen Gedanken ahnt? fragte sich Mandozzi erschrocken.
"Okay, Gilberto, jetzt berufe die Versammlung ein. Ich werde tun, was ich versprochen habe: Ich erledige das Problem Jesse Trevellian. Aber ich tu es auf meine Weise. Ich will dabei auch meinen Spaß haben. Dieser Trevellian ist ein Spitzenmann. Das ist für mich sozusagen eine Herausforderung ganz besonderer Art, und ich will der Versammlung erklären, was eigentlich geschehen ist. Dass wir das Ganze keineswegs als Niederlage sehen dürfen, sondern als einen wesentlichen Schritt zum spektakulären Endsieg."
"Keine Niederlage?", erkundigte sich Gil Mandozzi fassungslos.
Chester Finish grinste diesmal nur. "Genau erfasst, Gilberto, bravo!"
Na, auf diese Erklärung bin ich ganz besonders gespannt!, dachte Mandozzi. Aber er stellte keine Fragen mehr, sondern war vorerst froh, wieder gehen zu dürfen.
Er tat also weiter, wie ihm befohlen. Für einen Wahnsinnigen, wie er es einschätzte. Aber er sah für sich zur Zeit keine Chance, etwas gegen Finish zu unternehmen.
Falls Finish jedoch glaubte, Mandozzi bereits völlig in der Tasche zu haben, irrte er sich gewaltig. Mandozzi machte vorerst nur gute Miene zum bösen Spiel. Er wartete insgeheim auf seine Chance, und sei sie noch so winzig...
8
Ein Kollege brachte den Reedereibesitzer. Der Kollege war erst kurz in New York. Ich erinnerte mich an seinen Namen: Samuel Gold. Und ich erinnerte mich auch daran, dass er großen Wert darauf legte, mit seinem vollen Vornamen angesprochen zu werden: Samuel, nicht etwa Sam.
Milo tat ihm auch diesmal den Gefallen, während ich in Sichtdeckung blieb: "Hallo, Samuel!"
Seine Augen gingen suchend in die Runde. Anscheinend vermisste er mich. Ich gab ihm heimlich ein Zeichen. Er tippte grüßend an seine Hutkrempe und nickte Milo lächelnd zu.
In seiner Begleitung befand sich ein distinguierter Herr, ungefähr mittelalt, aber schon mit leicht angegrauten Schläfen. Er hatte einen teuren Cashmere-Mantel an und einen kunstvoll um den Hals gewickelten Seidenschal. Seine Miene war verkniffen. Mich entdeckte er nicht. Er war zu sehr mit seinem unterdrückten Zorn beschäftigt.
Als er Mister Jonathan D. McKee sah, begann er wie wild mit den Armen zu gestikulieren. "Das wird noch ein Nachspiel haben, sage