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seiner Heimat seit 1897 hier in München. Er fühlte sich hier so wohl, im Kreise seiner Freunde Walter, Fritz, Erich und Adolf. Allesamt Maler, Künstler wie er. Mit ihnen konnte er über die neuen Wege in der Kunst diskutieren. Es gab in dieser Zeit so große Umwälzungen in der Kunst, in der Politik, in der Gesellschaft. Er war jetzt 37 Jahre, in den besten Mannesjahren. Mitglied der ‚Secession‘, Mitbegründer der Künstlervereinigung „Die Scholle“. Er arbeitete mit am Wochenblatt ‚Jugend‘, viele Titelbilder und Illustrationen stammten von ihm. Die Staatsgalerie Dresden und die Neue Königliche Pinakothek München hatten Werke von ihm angekauft. Im Vorjahr hatte er von unterschiedlichen Institutionen mehrere Medaillen für seine Werke verliehen bekommen. Er wählte eine große Leinwand mit Bedacht aus, prüfte das Licht und wartete voller Ungeduld auf seine Muse, seine Göttin: Cara!Cara Sophia, sechzehn Lenze jung, eine Schönheit, deren zarter Schmelz der Jugend ahnen ließ, wie schön dieses Mädchen als Frau sein würde. Sie stammte aus einem bürgerlichen Hause. Der Vater war Leiter einer kleinen, gerade gegründeten Sparkasse in der Kleinstadt Grafing vor den Toren Münchens. Mit seinen Studienkollegen aus der Münchener Akademie der Künste war er – der nur „Der Italiener“ genannt wurde, weil er aus Bozen stammte – immer wieder ins Voralpenland gereist. Dort hatten sie Landschaftsbilder gefertigt, Aquarelle, Farbstiftstudien, die Natur studiert und neu interpretiert. Impressionismus, Expressionismus, die paneuropäische Bewegung des Jugendstils – alles war im Aufbruch, Umbruch. Und er mitten drin. Die Belle Époque ging ihrem Ende zu, und er wollte in der bildenden Kunst seinen Platz festigen. Er würde ein berühmter Maler sein. Er wollte so reich werden und so berühmt wie Franz v. Lembach, der vor zwei Jahren gestorben war, aber seine Epoche geprägt hatte. Oder wie Friedrich von Kaulbach, der mit seinen 56 Jahren der Platzhirsch in der Münchener Kunstszene war. Aber nun waren sie dran, die Jungen, die Wilden, die Erneuerer, die noch nicht in edlen Villen residierten, die aber fest vorhatten, die alten Platzhirsche, die Beherrscher der Münchner Kunstszene, die Lokalmatadore vom Thron zu stoßen – und er stand am Anfang einer glänzenden Karriere, davon war er überzeugt. Er hatte seit vorigem Jahr einen eigenen Kunsthändler in München, Franz Josef Brakl, ein ehemaliger Opernsänger und ehemaliger Direktor des Gärtnerplatztheaters. Der hatte zusammen mit seinem Freud Thannhauser einen Kunsthandel gegründet. Brakl & Thannhauser in der Goethestraße 64, einen Steinwurf von seiner neuen Wohnung in der Pettenkofer Straße 35. Sie stellten alle Werke der Künstlergruppe „Die Scholle“ aus und bewarben sie. Außerdem konnte die ganze Gruppe in Wien in den Räumen der Wiener Secession ausstellen, 150 Gemälde. Natürlich konnte auch er als Künstler etwas für seine Bekanntheit tun. Er hatte etwas gelernt aus den Berichterstattungen der Vergangenheit. So wurde in verschiedenen Blättern „Ein Befremden“ gegenüber neuer Kunst ausgedrückt. Der Zeitungsschnipsel lag noch irgendwo herum.21.8.1904 „Der Kunstverein ist heute wieder eröffnet worden, und zwar mit einer Kollektion Bilder der französischen Künstler Gauguin und Vincent van Gogh - Werke, welche nicht verfehlen, Aufsehen oder vielmehr Befremden zu erzeugen."Das hatte seine Wirkung auf ihn nicht verfehlt. Er hatte mit seinem Gemälde Bacchanale ganz gezielt einen Skandal ausgelöst auf der IX. Internationalen Kunstausstellung im Glaspalast, da er kalkuliert hatte, dass nicht nur das Münchner Publikum Anstoß nehmen würde, sondern die ‚Lex Heinze‘ – eine Art Pornografie-Paragraph – angewendet werden würde. Das Bild wurde zuerst angenommen und musste dann aufgrund des öffentlichen Drucks abgehängt werden. Der Künstler als Opfer der Zensur? Oder doch Pornografie? In einem großen, fast quadratischen Format 114 x 115 cm wurden drei nackte Frauen von aggressiven, aber vermenschlichten, um nicht zu sagen vermännlichten Tiergestalten wie Eisbär, Leopard, Gepard und einem hinzueilenden Bären bedrängt. Es gab eindeutige Posen! Das Presseecho war wie beabsichtigt gewaltig, „Skandal!“, „Sodomie!“ oder „Pornografie!“ waren in den wütenden Artikeln oft genutzte Wörter - ganz so, wie er es vorausgesehen hatte. Leo Putz war in aller Munde, und die Ausstellung gut besucht wie nie. Im Anschluss an die Schau hatte die Königliche Pinakothek München das Bildnis eines weiblichen Akts von ihm angekauft, und außerdem war er mit der Goldmedaille II. Klasse ausgezeichnet worden, zusammen mit seinem Freund Walter Püttner. Eine neue Zeit war angebrochen. Bahnbrechende Erfindungen wie Telefonie und Automobilismus revolutionierten das Leben. Das Aufkommen der Fotografie ab 1860 zwang die Maler, sich neu zu definieren, denn es endeten nun die Jahrhunderte der Malerei als Mittel der Dokumentation. Welche Bedeutung wollte man der Malerei nun geben? Seit mehr als vierzig Jahren, seit dem Beginn des Impressionismus diskutierten die Künstler die neuen Inhalte der Malerei. Ganz Europa war im Umbruch, im Aufbruch, das Zeitalter der Jugend war angebrochen – von Finnland bis Spanien und von Russland bis Frankreich. Industriell hergestellte Produkte ersetzten teure Einzelanfertigung. Massenhaft hergestellt schufen sie nicht nur Arbeitsplätze und Einkommen für Tausende von Menschen, sie erlaubten auch den weniger begüterten Menschen nun den Besitz von schönen Dingen. Verelendung und Armut der Arbeiterklasse und eine aufstrebende Mittelschicht, für die Herr Thonet aus Wien oder ein Henry van der Felde Dinge entwarfen. Eine Zeit geprägt von Widersprüchen und Erfindungen. Er diskutierte viel mit seinen Malerfreunden, aus dem Münchner Kreis.Fritz Erler kannte er aus seiner Akademiezeit, viele seiner Malerfreunde hatten sich zu der „Gruppe G“ zusammengeschlossen. Sie verstanden sich als Avantgarde, auch wenn alle damals die Malerei noch studierten, die meisten bei Professor Paul Hoecker. Nach vielen, endlos durchdebattierten Nächten, nach Absinth-Gelagen und enormen Zigarettenkonsum gründete sich die Künstlervereinigung „Die Scholle“, aber das war nun auch schon wieder sieben Jahre her. Im November 1899 – er war erst 1903 beigetreten. Die Anlehnung an den Bauernstand war bewusst gewählt, er hatte hier heiß mit debattiert: Jeder bebaue seine Scholle, eine, die man freilich nur auf der inneren Landkarte finden kann. Er wollte das Kunstdiktat eines Franz v. Lembach überwinden. Junge Künstler mussten ausstellen können! Ein Maler will und muss seine Werke ausgestellt sehen. Mit Franz Josef Brakl hatte er einen wirklich geschäftstüchtigen Kunsthändler, der ihn protegierte. Leo wusste, dass er auf dem Weg war, ein erfolgreicher, geachteter, hofierter und auch gut bezahlter Künstler zu werden. Ein gutes Leben zu führen, ein hohes Ansehen zu genießen hatten sicher etwas für sich, aber was Leo antrieb, war sein hoher Anspruch, die individuelle Erfahrung des Wesentlichen darzustellen. Dem widmete er sich mit Hingabe und Leidenschaft.Cara Sophia war eine solche Erfahrung. Leos Themen waren der Mensch und die Natur. Trotz aller Verschiedenheit der Künstler, die sich in der Gruppe regelmäßig trafen, heftig diskutierten und gelegentlich Malreisen unternahmen, war ihr gemeinsames Anliegen der Naturlyrismus.Während er wartete, sah er seine Skizzenblätter durch, aber er wusste schon, wie er sie malen würde. Es mussten zwei Gemälde werden, eines für die gut situierten Eltern, die ihn beauftragt hatten; die erwarteten natürlich ein sittsames Portrait der Tochter. Und ein anderes, das die volle Schönheit, den zarten Schmelz, die Wahrheit der Jugend darstellte: Ein Halbakt, den Rücken im Vordergrund, leicht gedrehte Haltung, die zarte Bauchwölbung und die knospenden Brüste sichtbar, den Blick über die entblößte Schulter dem Betrachter zugewandt. Die Leinwand war schon mit Gutta grundiert und geschliffen, so dass er einen perfekt vorbereiteten Malgrund hatte, eine ganz glatte Fläche. Kein Leinwandfaden würde irgendetwas vergröbern, den filigranen Pinselstrich stören. Er hatte im Vorfeld unzählige Skizzen angefertigt, Studien der zarten Gesichtszüge mit Bleistift gefertigt, mit Pastellkreide die feingliedrigen Hände studiert, die schwere Lockenpracht mit schnellen Strichen aufs Blatt geworfen. Diese Jugend, diese Schönheit, das Knospende – das war, was er festhalten wollte: Seine individuelle Erfahrung des Wesentlichen, dem er hier begegnet war. Es läutete, was ihn aus seinen Gedanken riss, er hastete zum Fenster, öffnete und rief auf die Pettenkofer Straße hinunter: „Ich eile“. Sein lichtdurchflutetes Atelier war im Rückgebäude untergebracht. Cara Sophia trug ein rauschendes Seidenkleid in kräftigem Kornblumenblau, welches so vorzüglich ihren rosigen Teint unterstich und die kastanienbrauen Haare leuchten ließ. Leo war begeistert. Er geleitete sie galant die Treppen hoch und dann über den Innenhof in sein Atelier. Er bot ihr Tee und Kaffee an. Sie war so jung, so aufgeregt, dass sie vom Markt Grafing mit der königlich Bayerischen Staatsbahn nach München fahren durfte, was die Eltern erlaubt hatten. Schließlich war ein Portrait etwas ganz Besonderes, nur begüterte Leute konnten sich solch eine Auftragsarbeit leisten. Leo Putz war noch kein ganz berühmter Maler, aber er studierte an der renommierten Münchener Kunstakademie und hatte einen günstigen Preis vorgeschlagen. Da hatten die Eltern zugestimmt. Anfangs wollte die

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