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ist eine Rückgabe an das nördliche Königreich deshalb ein völlig verwegener Gedanke. Bis heute.

      Horst schaute auf sein Smartphone, strich den Startbildschirm nach rechts, um die »News« zu sehen, und wurde bombardiert – von »BILD« und »Focus«, »Spiegel online« und dem »Flensburger Tageblatt«:

      »Dänische Separatisten sprengen Hindenburgdamm«

      »Späte Rache am Reichskanzler«

      »Bahnverkehr nach Sylt eingestellt«

      »Berufspendlern droht teure Nacht unter Promis«

      Und nun? Der Gegenzug aus Husum würde ihn wieder mit nach Hamburg nehmen, soviel war klar. Doch es war gerade erst halb acht. Weder hatte er eines seiner beiden Brote gegessen, noch den Apfel. Er würde viel zu früh wieder zuhause sein, ganz außerhalb des Fahrplanes.

      Eine SMS seines Fahrdienstleisters gab ihm die nötige Struktur zurück: »Bitte zügig Erstattungsanträge an die Fahrgäste verteilen. Viel Glück!«

      Als Horst den in zaghaftes Sonnenlicht getunkten Bahnsteig betrat, wurde er gelöchert mit Fragen:

      »Wann geht es weiter?«

      »Was ist passiert?«

      »Wer zahlt mir meinen Verdienstausfall?«

      Das war Horsts Stichwort.

      »Meine sehr verehrten Damen und Herren«, versuchte er sich Gehör zu verschaffen, »selbstverständlich kommt die Deutsche Bahn für alle Unannehmlichkeiten auf. Bitte füllen Sie dazu einen Erstattungsantrag aus. Sofern meine Exemplare nicht ausreichen sollten, erhalten Sie weitere am Schalter im Bahnhofsgebäude.«

      Die Antwort der Reisenden ging unter im Quietschen der Räder des aus Husum einlaufenden Gegenzuges. Horst war völlig verschwitzt und mit seinen Nerven am Ende. Ein Albtraum.

       Zug I | Waggon 3

      Noch nie hatte Horst so viele Menschen und Züge gleichzeitig in Lunden gesehen. Es herrschte das reinste Chaos. Als der Zug aus Husum einrollte, wäre es beinahe zur nächsten Katastrophe gekommen, weil sich ein Übertragungswagen des NDR kurzfristig auf dem Bahnübergang festgefahren hatte. Mit vereinten Kräften der zusehends aufgebrachten Fahrgäste gelang es jedoch, den LKW in einen Vorgarten zu schieben, wo die zehn Radio- und Fernsehredakteure, Kameraleute, Cutter, Tontechniker und Assistenten umgehend mit Kaffee und Kuchen der Anwohner versorgt wurden. Über der gespenstisch dunstigen Szenerie kreiste ein Hubschrauber von n-tv, der von einem weiteren der Polizei über dem Hindenburgdamm vertrieben worden war.

      Unterdessen hatte der Dorfpolizist von Lunden alle Hände voll zu tun. Zwei Dutzend Autos standen kreuz und quer vor dem Bahnhof und erhielten nun vorschriftsmäßig Strafzettel für falsches Parken. Ein örtliches Abschleppunternehmen, das im Auftrag des ADAC tätig war, kam ihm zur Hilfe, um für einen Rettungswagen des Deutschen Roten Kreuzes Platz zu machen. Die Sanitäter wollten offensichtlich zu dem älteren Ehepaar, das Horst im Zug angesprochen hatte. Der Mann saß auf einem weißen Campingstuhl, der zu einem gerade öffnenden Imbisswagen gehörte, und fasste sich mit der rechten Hand an die Brust. Zusammen mit dem örtlichen Pastor traf auch ein Leichenwagen ein – sicher ist sicher.

      Während Horst noch nach der Feuerwehr und dem Technischen Hilfswerk Ausschau hielt, hörte er zufällig das Gespräch zweier junger Männer mit an, der eine mit einem Fotoapparat ausgestattet, auf dem ein Aufkleber »dpa« klebte, der andere mit einer kleinen Videokamera, auf dessen Rücken schlicht »Presse« stand. Letzterer wusste offenbar mehr als alle anderen und berichtete von einem »Terror-Camp« der dänischen Separatisten auf Rømø.

      »Ich war letzte Woche oben und habe sensationelle Aufnahmen gemacht«, erklärte der drahtige Mittzwanziger großspurig. »Die trainieren da fast direkt neben der Hauptstraße zum Strand richtigen Partisanenkampf, so mit Durch-den-Schlamm-Robben, Schützengräben ausheben und so weiter. Sogar einen der alten deutschen Bunker haben die reaktiviert. Der Anführer von denen nennt sich Snorre, und mit dem ist bestimmt nicht zu spaßen ...«

      Horst hatte genug gehört. »Was für ein Blödsinn«, dachte er auf dem Weg zurück zum Bahnsteig. Er wusste ganz genau, von welcher Ecke der Möchte-gern-Investigator sprach. Immerhin verbrachte Horst zusammen mit Gaby und dem Nachbar-Pärchen schon seit zehn Jahren auf der Nordseeinsel den gemeinsamen Sommerurlaub. Rømø liegt nur 50 Kilometer hinter der deutsch-dänischen Grenze und direkt nördlich von Sylt. Vom Ferienhaus aus konnte Horst immer bestens auf die Heidelandschaft und die Dünen schauen. Auch die deutschen Bunker waren ihm wohl bekannt – aber Partisanen hatte er nie gesehen.

      Nachdem er sich eines aufdringlichen Reporters von »Hallo Deutschland« nur mittels eines Regenschirmes hatte entziehen können (indem er ihn einfach aufspannte), saß er endlich wieder in gewohnter Umgebung – im hinteren Triebwagen der Regionalbahn auf dem Weg nach Süden. Außer Horst hatten auch einige seiner bisherigen Fahrgäste sich entschieden, in den Gegenzug aus Husum einzusteigen, um zurück nach Hamburg zu gelangen. Allerdings hatte Horst schon wieder Pech – statt in einem Zug der Deutschen Bahn, saß er in einem vom Konkurrenzunternehmen »Nord-Ostsee-Bahn« mitsamt eines sehr jungen wie gesprächigen Kollegen.

      »Moin, ich heiße Lukas, ich fahre das erste Mal hier auf der Strecke, eigentlich wollte ich gern nach Sylt, da war ich noch nie, aber dann haben ja diese verdammten Terroristen den ganzen Damm in die Luft gejagt, weisst du wie viele Tote es gab, ich habe gehört, es hat einen ganzen Zug mit in die Nordsee geriss...«

      »Lukas«, warf sich Horst dem Wortschwall entgegen, »ich habe gerade meinen Zug zurücklassen müssen – weisst du, was das für mich bedeutet? Vermutlich nicht, also halte einfach den Mund.«

      Bis Itzehoe hielt der Schock an. Aber mit dem Wechsel von Diesel- auf E-Lok versuchte Lukas erneut, ein Gespräch zu beginnen:

      »Wie heißt du eigentlich?«

      »Horst.«

      »Und wie alt bist du?«

      »Ich bin 43.«

      »Bist du verheiratet?«

      »Ja.«

      »Hast du Kinder?«

      »Nein.«

      »Wohnst du in Hamburg?«

      »Nein.«

      »Wie lange bist du schon bei unserem Verein?«

      Nun wurde Horst hellhörig. »Ach, bist du auch bei den Modelleisenbahnern in Schenefeld Mitglied? Das ist ja toll, erst recht, wo du noch so jung bist! Ich habe dich noch nie bei einer Börse gesehen oder bei einem der Vereinsabende.« Horst war in seinem Element. Seine Augen strahlten plötzlich, und die herabhängenden Mundwinkel nahmen langsam, aber sicher die Form eines richtig freundlichen Lächelns an. »Also ich bin schon seit 20 Jahren dabei – und du? Ich habe eine riesige H0-Bahn im Keller, sechs Lokomotiven, davon zwei richtig wertvolle, und ...«

      Diesmal war es Lukas, der sich dem Wortschwall von Horst entgegenwarf. »Ich glaube, du hast da ‘was falsch verstanden, Horst«, erklärte der junge Blonde mit fast angewidertem Gesichtsausdruck. »Ich spiele ganz bestimmt nicht mit einer Spielzeugeisenbahn! Ich mach’ Kickboxen. - Und jetzt sollte ich dringend noch einmal durch den Zug gehen, bevor alle schwarz nach Hamburg fahren«, lachte und war weg.

      Horst fühlte sich etwas düpiert, aber er genoss die wieder eingekehrte Ruhe trotzdem. Es war mittlerweile zehn Uhr. Horst packte seine beiden Brote und den Apfel aus, dazu die PET-Flasche Wasser und zelebrierte sein ausserplanmäßiges Frühstück. Und obwohl alle Umstände dagegen sprachen, freute er sich auf Gaby, seine Ehefrau.

       Zug 1 | Waggon 4

      »Tenderchen, ich bin schon wieder da!« Keine Antwort. »Der Hindenburgdamm ist gesperrt, deswegen bin ich ausserplanmäßig zurück.« Immer noch keine Antwort.

      Horst wusste zugegebenermaßen nicht, was seine

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