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Füße wieder auf ihre Sohlen zurückfallen und Slama, gleichsam heimgekehrt aus einem fremden Gebiet, in das er eine überflüssige und leider erfolglose Entdeckungsfahrt unternommen hat, sich wieder umwendet und mit rührender Hoffnungslosigkeit in den blitzblauen Augen die schlichte Mitteilung macht: »Bitte um Entschuldigung, ich find's leider nicht!«

      »Das macht nichts, Herr Slama!«, tröstet der Leutnant. Der Wachtmeister aber, als hätte er diesen Trost nicht gehört oder als hätte er einem Befehl zu gehorchen, der, von höherer Stelle ausdrücklich erteilt, keine Milderung mehr durch ein Eingreifen Niederer erfahren könne, verläßt das Zimmer. Man hört ihn in der Küche hantieren, er kommt zurück, die Flasche in der Hand, holt Gläser mit matten Randornamenten aus der Kredenz und stellt eine Karaffe Wasser auf den Tisch und gießt aus der dunkelgrünen Flasche die zähe, rubinrote Flüssigkeit ein und wiederholt noch einmal: »Erweisen mir die Ehre, Herr Baron!« Der Leutnant gießt Wasser aus der Karaffe in den Himbeersaft, man schweigt, es rinnt mit starkem Strahl aus dem geschwungenen Mund der Karaffe, plätschert ein wenig und ist wie eine kleine Antwort auf das unermüdliche Fließen des Regens draußen, den man die ganze Zeit über hört. Er hüllt, man weiß es, das einsame Haus ein und scheint die beiden Männer noch einsamer zu machen. Allein sind sie. Carl Joseph hebt das Glas, der Wachtmeister tut das gleiche, der Leutnant schmeckt die süße, klebrige Flüssigkeit. Slama trinkt das Glas mit einem Zug leer, Durst hat er, merkwürdigen, unerklärlichen Durst an diesem kühlen Tag. »Rücken jetzt zu den X-ten Ulanen ein?«, fragt Slama. »Ja, ich kenne das Regiment noch nicht.« »Ich habe einen bekannten Wachtmeister dort, Rechnungsunteroffizier Zenower. Er hat mit mir bei den Jägern gedient, hat sich dann transferieren lassen. Ein nobles Haus, sehr gebildet. Er wird die Offiziersprüfung sicher machen. Unsereins bleibt, wo er gewesen ist. Bei der Gendarmerie sind keine Aussichten mehr.« – Der Regen ist stärker geworden, die Windstöße heftiger, es prasselt immer wieder an die Fenster. – Carl Joseph sagt: »Es ist überhaupt schwer, in unserm Beruf, beim Militär mein' ich!« Der Wachtmeister bricht in ein unverständliches Lachen aus, es scheint ihn außerordentlich zu freuen, daß es schwer ist in dem Beruf, den er und der Leutnant ausüben. Er lacht ein wenig stärker, als er möchte. Man sieht es an seinem Mund, der weiter geöffnet ist, als das Lachen erfordert, und der länger offenbleibt, als es dauert. Also ist es einen Augenblick so, als könnte sich der Wachtmeister aus körperlichen Gründen allein schon schwer entschließen, zu seinem alltäglichen Ernst zurückzufinden. Freut es ihn wirklich, daß er und Carl Joseph es so schwer im Leben haben? »Herr Baron belieben«, beginnt er, »von ›unserm‹ Beruf zu sprechen. Bitte, es mir nicht übel zu nehmen, bei unsereinem ist es doch etwas anders.« Carl Joseph weiß nichts darauf zu erwidern. Er fühlt (auf eine unbestimmte Weise), daß der Wachtmeister eine Gehässigkeit gegen ihn hegt, vielleicht gegen die Zustände in Armee und Gendarmerie überhaupt. Man hat in der Kadettenschule nie etwas darüber gelernt, wie sich ein Offizier in einer ähnlichen Lage zu benehmen hat. Auf jeden Fall lächelt Carl Joseph, ein Lächeln, das wie eine eiserne Klammer seine Lippen herabzieht und zusammenpreßt; es sieht aus, als geize er mit dem Ausdruck des Vergnügens, den der Wachtmeister so unbedenklich verschwendet. Das Himbeerwasser, auf der Zunge soeben noch süß, schickt aus der Kehle einen bittern, schalen Geschmack zurück, man möchte einen Cognac darauf trinken. Niedriger und kleiner als sonst erscheint heute der rötliche Salon, vielleicht vom Regen zusammengepreßt. Auf dem Tisch liegt das wohlbekannte Album mit den steifen, glänzenden Messingohren. Alle Bilder sind Carl Joseph bekannt. Wachtmeister Slama sagt: »Gestatten gefälligst?«, und schlägt das Album auf und hält es vor den Leutnant hin. In Zivil ist er hier photographiert, an der Seite seiner Frau, als junger Ehemann. »Damals war ich noch Zugführer!«, sagt er etwas bitter, als hätte er sagen mögen, daß ihm dazumal bereits eine höhere Charge gebührt hätte. Frau Slama sitzt neben ihm in einem engen, hellen Sommerkleid mit Wespentaille wie in einem duftigen Panzer, einen breiten, weißen Tellerhut schief auf dem Haar. Was ist das? Hat Carl Joseph noch niemals das Bild gesehn? Warum scheint es ihm denn heute so neu? Und so alt? Und so fremd? Und so lächerlich? Ja, er lächelt, als betrachte er ein komisches Bild aus längst vergangenen Zeiten und als wäre Frau Slama ihm niemals nahe und teuer gewesen und als wäre sie nicht erst vor ein paar Monaten, sondern schon vor Jahren gestorben. »Sie war sehr hübsch! Man sieht's!«, sagt er, nicht mehr aus Verlegenheit, wie früher, sondern aus ehrlicher Heuchelei. Man sagt etwas Nettes von einer Toten, im Angesicht des Witwers, dem man kondoliert.

      Er fühlt sich sofort befreit und von der Toten geschieden, als wäre alles, alles ausgelöscht. Einbildung war alles gewesen! Das Himbeerwasser trinkt er aus, steht auf und sagt: »Ich werde also gehn, Herr Slama!« Er wartet auch nicht, er macht kehrt, der Wachtmeister hat kaum Zeit gehabt, aufzustehn, schon stehn sie wieder im Flur, schon hat Carl Joseph den Mantel an, streift mit Wohlbehagen den linken Handschuh langsam über, dazu hat er plötzlich mehr Zeit, und wie er »Na, auf Wiedersehn, Herr Slama!« sagt, vernimmt er selbst mit Befriedigung einen fremden, hochmütigen Klang in seiner Stimme. Slama steht da, mit gesenkten Augen und mit ratlosen Händen, die auf einmal leer geworden sind, als hätten sie bis zu diesem Augenblick etwas gehalten und soeben fallen gelassen und für immer verloren. Sie reichen einander die Hände. Hat Slama noch etwas zu sagen? – Egal! – »Vielleicht ein anderes Mal wieder, Herr Leutnant!«, sagt er dennoch. Ja, er wird es wohl nicht ernstlich glauben, Carl Joseph hat das Angesicht Slamas schon vergessen. Er sieht nur die goldgelben Kanten am Kragen und die drei goldenen Zacken am schwarzen Ärmel der Gendarmeriebluse. »Leben Sie wohl, Wachtmeister!«

      Es regnet noch immer milde, unermüdlich, mit einzelnen föhnigen Windstößen. Es ist, als hätte es schon längst Abend sein müssen, und es könnte immer noch nicht Abend werden. Ewig dieses schraffierte, nasse Grau. Zum erstenmal, seitdem er Uniform trägt, ja, zum erstenmal, seitdem er denken kann, hat Carl Joseph das Gefühl, daß man den Kragen des Mantels hochschlagen müßte. Und er hebt sogar für einen Augenblick die Hände und erinnert sich, daß er Uniform trägt, und läßt sie wieder fallen. Es ist, als hätte er eine Sekunde lang seinen Beruf vergessen. Er geht langsam und klirrend über den nassen, knirschenden Kies des Vorgartens und freut sich seiner Langsamkeit. Er hat's nicht nötig, sich zu beeilen; nichts ist gewesen, ein Traum war alles. Wie spät mag es sein? Die Taschenuhr ist zu tief geborgen unter der Bluse in der kleinen Hosentasche. Schade, den Mantel aufzuknöpfen. Bald wird es ohnehin vom Turm schlagen.

      Er öffnet das Gartengitter, er tritt auf die Straße. »Herr Baron!«, sagt plötzlich hinter ihm der Wachtmeister. Rätselhaft, wie unhörbar er gefolgt ist. Ja, Carl Joseph erschrickt. Er bleibt stehn, kann sich aber nicht entschließen, sich sogleich umzuwenden. Vielleicht ruht der Lauf einer Pistole genau in der Mulde, zwischen den vorschriftsmäßigen Rückenfalten des Mantels. Grauenhafter und kindischer Einfall! Fängt alles aufs neue an? »Ja!«, sagt er, immer noch mit hochmütiger Lässigkeit, die wie eine mühselige Fortsetzung seines Abschieds ist und ihn sehr anstrengt – und macht kehrt. Ohne Mantel und barhäuptig steht der Wachtmeister im Regen, mit dem nassen, zweiflügeligen Bürstchen und dicken Wasserperlen an der blonden, glatten Stirn. Er hält ein blaues Päckchen, kreuzweis mit silbernem Bindfaden verschnürt. »Das ist für Sie, Herr Baron!«, sagt er, die Augen niedergeschlagen. »Bitte um Entschuldigung! Der Herr Bezirkshauptmann hat's angeordnet. Ich hab's damals gleich hingebracht. Der Herr Bezirkshauptmann hat's schnell überflogen und gesagt, ich soll's persönlich übergeben!«

      Es ist einen Augenblick still, nur der Regen prasselt auf das arme, blaßblaue Päckchen, färbt es ganz dunkel, es kann nicht länger warten, das Päckchen. Carl Joseph nimmt es, versenkt es in die Manteltasche, wird rot, denkt einen Moment daran, den Handschuh von der Rechten abzustreifen, besinnt sich, streckt die Hand im Leder dem Wachtmeister hin, sagt »Herzlichen Dank!«, und geht schnell.

      Er fühlt das Päckchen wohl in der Tasche. Von dort her, durch die Hand, den Arm entlang, quillt eine unbekannte Hitze auf und rötet noch stärker sein Angesicht. Er fühlt jetzt, daß man den Kragen aufmachen müßte, wie er früher geglaubt hat, ihn hochschlagen zu müssen. Der bittere Nachgeschmack des Himbeerwassers ist wieder im Mund. Carl Joseph zieht das Päckchen aus der Tasche. Ja, es ist kein Zweifel. Das sind seine Briefe.

      Es müßte jetzt endlich Abend werden und der Regen aufhören. Es müßte sich manches in der Welt verändern, die Abendsonne vielleicht noch einen letzten Strahl hierherschicken. Durch den Regen atmen die Wiesen den wohlbekannten Duft, und der einsame

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