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Das schmale Fenster. Friedrich Haugg
Читать онлайн.Название Das schmale Fenster
Год выпуска 0
isbn 9783844253658
Автор произведения Friedrich Haugg
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Nach einer weiteren guten Stunde näherten sie sich Nizza, wie ihr GPS-Plotter mitteilte. Zu sehen war das nicht. Es gab nur eine Linie, hinter der plötzlich alles dunkel war. Das Meer.
Martin holte alles früher Gelernte aus der Ablage in seinen Arbeitsspeicher und schaltete den Kopfhörer von Intercom auf Funk. Da Maurus alles mithören konnte, musste es sich sehr professionell anhören.
„NCE Tower, NCE Tower, here SWA 573 no ILS, 10 miles final.“
Der Tower antwortete tatsächlich:
„SWA 573, wind 075 with 3 knots, gusting 4, QNH 1032, cleared to land runway 01 left.“
„QNH 1032 cleared to land, runway 01 left,“ bestätigte er die Freigabe zur Landung und musste nicht rätseln, was runway 01 war, weil es nur diesen gab.
Ein Pilot richtiger Flugzeuge eichte jetzt zur Sicherheit den Höhenmesser auf die barometrische Druckangabe QNH und schaltete auf das automatische Landesystem ILS und ließ das Flugzeug alles selbst machen oder das Flugzeug sagen, was er zu tun habe. Sein Flugzeug sagte nichts und dachte wohl eher süffisant: 'Nun sieh mal zu, wie du runterkommst'. Prompt flog er auch etwas zu tief an und wurde vom Tower korrigiert. Der 'Approach' war dann auch mehr eine Art Achterbahn statt zielgerechtes Heruntergleiten, was Maurus' Gesichtsfarbe wieder ins Grünliche changieren ließ. Das Aufsetzen war aber vorbildlich, schließlich hatte er weit mehr Platz als in Buochs und ein freies Feld auf der ins Meer gebauten breiten Piste.
Beim Ausrollen und Einbiegen in die Parkposition, für deren Finden ein altes 'Follow me' – Fahrzeug sich als sehr nützlich erwies, fing Martin schon wieder gleich an zu planen. Schließlich sollte ja auch das Weitere einigermaßen professionell ausgehen. Er erinnerte sich, wo die Schalter für die Leihwagen waren und überlegte, welche Fahrzeugklasse für einen Vorstandvorsitzenden noch gerade angemessen war. Für die etwa einstündige Fahrt nach St.Tropez brauchte er keine navigatorische Unterstützung, die Strecke kannte er, was ihn sehr beruhigte.
Sie stiegen aus und waren umringt von fünf Blaumännern mit der Aufschrift Nice Cote d'Azur und einem unauffälligen Herren in dunklem Anzug. Maurus beachtete nur diesen und winkte Martin, ihm zu folgen. Der Herr öffnete die Tür einer Limousine, die auf dem Vorfeld stand. Sie fuhren los und hielten zu Martin's Überraschung nach hundert Metern schon wieder an. Er stieg aus, weil Maurus auch ausstieg und fand sich vor der offenen Tür eines Hubschraubers wieder.
Der Flug übers Meer war hauptsächlich dunkel, zu sehen war nur die ununterbrochene Lichterkette an der Küste. Nach einer knappen halben Stunde wurde der Hubschrauber langsam und senkte sich auf einen kleinen Asphaltkreis im Nirgendwo. Das mit dem Herren und dem Auto wiederholte sich gleichartig. Martin bewunderte die Feinplanung, A-Hörnchen hätte es nicht besser machen können.
Schon bald kamen sie auf vertraute Straßen und Martin wusste jetzt, dass sie tatsächlich in St.Tropez waren. Vor dem Hotel Sub hielt der Wagen an.
„Checken Sie ohne Eile ein, Herr Hohenstein, um 21 Uhr treffen wir uns dann im L'Escale.“ Le Sub war gut (und teuer und gar nicht mondän), nur etwas laut, weil die Zimmer direkt auf die Flaniermeile vor der Jachtparade des alten Hafens gingen. Martin hatte noch ein wenig Zeit, ging hinunter ins Cafe de Paris und genehmigte sich in nostalgischer Versunkenheit ein Affligem, das süße, belgische Bier, das es wahrscheinlich nur hier gab und auch nur hier schmeckte. Es war die zweite Septemberwoche, so dass die protzigen mehrstöckigen Jachten noch die Aussicht versperrten und den Blick lenkten auf vollkommen gelangweilte Superreiche und deren Anhang, die einsam und verlassen auf den Decks Champagner von weiß gekleideten Stewards oder -essen serviert bekamen, die auch gleich wieder im Nichts verschwanden, um die Einsamkeit und Leere nicht zu stören. Gut und gerne ein paar Tausend Euro pro Tag drücken die ab, dachte Martin, nur um hier zu liegen. Er bedauerte diese Leute fast, weil sie, wie Kinder mit zu viel Spielzeug, gar nichts mehr mit sich anfangen konnten.
Eine Lücke gab es im Hafen. Er dachte schon, die Konjunktur wäre eingebrochen und hätte einige in den Ruin getrieben. Neugierig schlenderte er hin. Und da lag sie: Genie of the Lamp, sein Traum seit Jahrzehnten. Ein Traum, den er nie verwirklicht wissen wollte, um ihn nicht zu verlieren. Die Wally-Jacht war der Gegenentwurf zu den schwülstigen Motorjachten. Das Deck, am Heck nur leicht eingewölbt, eine einzige edle Mahagonifläche. Keine Beschläge, keine Winschen, kein Tauwerk störte den freien Blick. Nur ein riesiger Mast, in dem das Großsegel versteckt war und daran große LCD-Anzeigen für die wichtigsten nautischen Größen. Er sah, dass nur 2 Knoten Wind aus Nordwest herrschte, dass der Bug Richtung Nord zeigte und die Tiefe unter dem Kiel 3 Meter betrug und dass die derzeitige Geschwindigkeit Null war. Im gleichen, tief dunklen Grün wie die Außenhaut des Schiffs, der Stoff für zwei quadratische Sonnenschirme über einer eleganten Sitzgruppe. Sonst war da nichts, Menschen auch nicht. Die Beleuchtung so raffiniert, dass der Minimalismus geradezu aufdringlich die anderen Monsterschiffe ins Lächerliche zog. Er bekam Gänsehaut, so schön war der Anblick. Zu seiner Beruhigung dachte er daran, dass 'Gegenentwurf' nur für das Design galt, die Kosten waren maßstabsgerecht zu den Motorjachten.
Es war Zeit fürs Essen. Na ja, Essen war vielleicht nicht der angemessene Ausdruck. Das L'Escale kannte er schon viele Jahre. Es war ein zwar edles, aber sehr familiäres Lokal für die Spezialitäten des Meeres (nicht unbedingt des Mittelmeeres) gewesen, in dem er mit Susanne lernte, dass es tatsächlich ein großes Vergnügen sein kann, teilweise rohe Tiere zu verspeisen. Das dreistöckige Plateau L'Escale mit Austern satt, verschiedenen Muscheln, Meeresschnecken, Scampi, Garnelen, Krebsen und Nordseekrabben war legendär. Die Essigsauce zu den Austern gab es nur hier so perfekt abgestimmt. Vor ein paar Jahren ging das Lokal an die graue gastronomische Eminenz St.Tropez's über. Sie hieß nur 'Joseph' und hatte mittlerweile eine Reihe von Lokalen und vor allem in der Nachbarschaft des L'Escale eine VIP-Lounge. Das ist das, was Frankreich noch gebraucht hatte, damit die betuchten Gäste überall auf der Welt das identische Ambiente vorfänden und sich nicht an etwas anderes gewöhnen müssten. Das L'Escale hatte sich nicht sehr verändert, nur alles war jetzt Reinweiß, der Boden aus feinem, weißen Sand (wie praktisch zum Reinigen) und der Blick auf die Karte und die Tische sagte ihm, dass die Portionen kleiner waren und die Preise sich verdoppelt hatten. Auch schien ihm das Servicepersonal nun auf Augenhöhe mit den Gästen zu sein, der Gesichtsausdruck auf überheblich arrogant trainiert.
Er wurde hereingebeten, als ob man wüsste, wohin er wollte und war - ein wenig peinlich - der Erste. Kurz darauf kamen einige vornehme, ihm unbekannte Herren, die sich ihm vorstellten und bewundernd auf die Schulter klopften und deren Namen er gleich wieder vergessen hatte. Er hätte sich besser vorbereiten sollen, dann würde er wenigstens wissen, wer von ihnen für ihn wichtig sein könnte. Dann kam auch Maurus, der alle herzlich wie alte Freunde begrüßte. Im Schlepptau – er traute seinen Augen nicht – Frank. Wie um alles in der Welt kam Frank dazu, hier anwesend zu sein und er wusste auch davon nichts. Das war nicht gut, bewertete er die Situation sicher sehr richtig.
„Ich habe Herrn Dr. Thomsen dazu gebeten, weil MOS Smith von Pfizer hier ist und er sich vielleicht mit ihm ganz gut austauschen kann. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.“ Das war sehr vage von Maurus. MOS hieß wohl Master of Science, wusste Martin gerade noch. Also der Abschluss, bei dem Studenten nie das Studentenleben kennen lernten, sondern schulartig in Rekordzeit ihren Grad erlangten ohne links und rechts schauen zu können. Und das soll jetzt überall eingeführt werden. Wegen der Kompatibilität. Die ganzen MOSs und BOSs taugten nichts und konnten noch nicht einmal was dafür.
„Aber das ist doch ganz selbstverständlich und kann von großem Nutzen sein,“ Martin hatte nicht das Gefühl, dass er selbst es war, der diese Worte von sich gab.
„Viele Grüße von Miriam,“ waren Franks zweite Wort an ihn und versetzten ihm schon wieder einen Stich.
„Danke, Frank, lange nicht gesehen. Wie geht es Miriam?“
„Danke, gut. Wir sind mittlerweile ein gutes Team“. Der nächste Stich. Wenn es so weiter gehen würde, wäre der Abend gänzlich im Eimer.
„Das