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fiel auf den Tisch und Annabelle sah hoch: Ein junger Mann, sehr elegant gekleidet und ausgesprochen gut aussehend, mit dunkelblonder Windstoßfrisur, grünen Augen, markanten Zügen und einer wundervoll gebundenen Krawatte, verbeugte sich vor John.

      „Ach, Sir Ernest? So ein Zufall… Verzeihung – Mama, Annabelle, das ist Sir Ernest Pendleton, mit dem ich mich heute im Club sehr angeregt unterhalten habe. Sir Ernest, meine Mutter, Lady Horbury“ – Sir Ernest küsste der Dame formvollendet die Hand – „und meine Schwester Annabelle.“

      Sir Ernest verbeugte sich tief vor Annabelle und schenkte ihr dann einen sehr eindringlichen Blick. „Sie sind zum ersten Mal in London, Miss Horbury?“

      „Nein, ich kenne London schon ein wenig. Jetzt sind wir hier, um meine Aussteuer zusammenzustellen.“

      Lady Horbury hatte diese eifrige Antwort mit einer Falte zwischen den Augenbrauen registriert. Diese Falte verstärkte sich noch, als dieser Sir Ernest Annabelle einen eindringlichen Blick zuwarf und murmelte „Wie betrüblich…“

      Annabelle blinzelte verblüfft. „Sie gönnen mir mein Glück nicht?“

      „Oh nein, da haben Sie mich vollkommen missverstanden, Miss Horbury!“

      Annabelle betrachtete ihn mit schief gelegtem Kopf, fragte aber nicht weiter nach – und Sir Ernest äußerte sich auch nicht näher, sondern beschränkte sich auf eine weitere Verbeugung, die alle drei Horburys einschloss.

      „Ein merkwürdiger junger Mann“, stellte Lady Horbury fest, sobald sich Sir Ernest außer Hörweite begeben hatte. „Und du hast ihn im Club kennengelernt?“

      „Das scheint dich zu verwundern?“ John gab den Lakaien ein Zeichen, die sofort begannen, den ersten Gang abzuräumen und dann den zweiten aufzutragen.

      „Ach nein, er erschien mir nur etwas – nun – seltsam. Ich kann selbst nicht sagen, warum eigentlich. Was weißt du denn über ihn?“

      John zuckte die Achseln und äugte erfreut in die Schüsseln, die auf dem Tisch erschienen: „Mein Lieblingsragout! Nicht viel…“

      „Sir, Sie können jederzeit nachbestellen!“, dienerte einer der Lakaien.

      John dankte erheitert und wartete, bis alles aufgetragen war und jeder sich von den auf das Eleganteste präsentierten Schüsseln genommen hatte, dann warf er seiner Mutter einen abwägenden Blick zu.

      „Er hat nicht viel erzählt. Angeblich ist sein Vater ein geadelter Fabrikbesitzer im Norden, der möchte, dass er sich im Süden nach einer Ehefrau umsieht. Oder war´s ein Landgut? Er machte einen recht netten, bescheidenen Eindruck, wie es sich für einen Neuling in der Stadt auch ziemt, scheint aber durchaus gut bei Kasse zu sein. Und er versteht gewandt zu plaudern.“

      „Seine Manieren sind auch recht angenehm“, musste Lady Horbury zugeben. Annabelle aß gemächlich und beschränkte sich aufs Zuhören. Sie hatte diesen Sir Ernest eigentlich auch als durchaus attraktiv empfunden, aber das sagte sie lieber nicht, sonst entrüstete Mama sich nur wieder. Ach, so wichtig war dieser Mann wirklich nicht. Sollte John sich mit ihm doch im Club treffen – sie sähe ihn ja doch nie wieder.

      Und spätestens übermorgen fuhren sie doch wieder nach Hause, vielleicht kam Stephen dann auch zurück und sie konnten spazierengehen und über die Zukunft sprechen…

      „Du bist so still, Belle?“, fragte John in ihre Gedanken hinein. Sie sah erschrocken von ihrem Teller auf.

      „Das sollte keine Kritik sein, Schwesterchen! Bist du müde?“

      „J-ja, ja. Wir waren heute in der Oxford Street und haben Handtücher bestellt.“

      „Und das hat dich so erschöpft?“, fragte er neckend.

      „N-nein. Es ist nur schon recht spät. Zu Hause gehe ich um die Zeit schon schlafen, oder?“

      „Das sind eben die Stadtsitten. Daran gewöhnst du dich.“

      „Nicht in zwei bis drei Tagen“, warf Lady Horbury sofort ein.

      „Das werden wir sehen“, widersprach John, „morgen wollt ihr doch zu den Modistinnen, nicht wahr? Und abends gehen wir ins Theater. Ich bin sicher, wir finden auch für übermorgen noch etwas Hübsches.“

      „Den Pantheon Bazaar!“, rief Annabelle sofort. „Und Astley´s Amphitheater!“

      John grinste und seine Mutter seufzte geschlagen, erholte sich aber sehr schnell wieder: „Du wirst eine standesgemäße Wäscheausstattung benötigen, die werden wir übermorgen oder auch schon morgen besorgen.“

      Annabelle nickte mäßig begeistert – Hemden und Nachhemden, wie aufregend konnte das schon sein? Noch mehr langweiliges weißes Leinen mit einer kleinen Spitzenkante am engen Kragen. Wie es sich für eine anständige Dame ziemte – hatte sie nicht genügend solcher Nachthemden?

      „Brauche ich auch Häubchen?“

      „Du meinst, weil du dann unter denselben sein wirst?“, frotzelte John.

      „Nein, du Schäfchen, das hat noch Zeit. Wenn dein erstes Enkelkind unterwegs ist, vielleicht. Oder hast du mich schon einmal mit einem Häubchen gesehen?“

      Das musste Annabelle zugeben.

      Ihre Mutter tätschelte ihr die Hand. „Morgen werden wir schon etwas Nettes für dich finden, da musst du keine Angst haben!“

      Kapitel 4

      Tatsächlich ließ sich der nächste Vormittag recht erfreulich an, als Mutter und Tochter nach dem üppigen Frühstück, in ihren besten Vormittagskleidern, ihren besten Hüten und mit einem hübschen Retikül am Handgelenk, sich auf den Weg machten – heute nicht zu Fuß!

      In der Conduit Street gab es bei Madame Lacroix eine große Wäscheauswahl, von der sich Annabelle zunächst nicht allzu viel versprach, weil sie an ihre Überlegungen vom Vorabend, öde Leinenhemden betreffend, dachte.

      Madame Lacroix begrüßte die Damen – deren untadelige Herkunft und Aufmachung sie mit unfehlbarem Blick sofort erkannt hatte – sehr herzlich, ohne kriecherisch zu wirken, und nickte, als Lady Horbury ihr ihre Wünsche auseinandersetzte.

      „Leib- und Nachtwäsche für eine junge Braut also… ich denke, da werden wir rasch das Passende finden.“ Ihr Blick streifte die skeptische Miene Annabelles. „Sie haben Zweifel, Miss Horbury?“

      Annabelle bestritt dies etwas lahm und Madame Lacroix klatschte in die Hände, woraufhin zwei junge Mädchen erschienen, sehr hübsch in rosa Kleider mit weißen Schürzen und weiß-rosa Häubchen gekleidet. All dieser Aufwand für Leinenhemden? Hätte man so etwas nicht gleich mit diesen Massen von Handtüchern erwerben können?

      „Jeanne, Marie, bringt bitte die Nachtgewänder in…“ - sie warf Annabelle einen taxierenden Blick zu – „in Blau und Lavendel.“

      Jeanne und Marie knicksten. „Bien sur, Madame!“

      Annabelle, deren Gouvernante ihr ein recht erträgliches Französisch beigebracht hatte, verbiss sich mit Mühe ein Kichern. Wie konnten zwei junge Französinnen denn einen so abscheulichen Akzent haben?

      Ansonsten wirkten sie durchaus fähig; im Handumdrehen waren sie zurück und schleppten zwischen sich eine gewaltige – passend mit hellblauem Stoff bezogene – Truhe, die sie auf einen niedrigen Tisch wuchteten, bevor sie sie mit großer Geste öffneten.

      „Oh!“, hauchte Lady Horbury entzückt und zog einen lavendelfarbenen Traum heraus, über und über mit cremefarbener Spitze besetzt.

      „Mama?“

      Lady Horbury lächelte ihre entrüstete Tochter an. „Hübsch, nicht? Würde dir das nicht gefallen?“

      „M-mir? Ich dachte, so etwas kommt nur ehrwürdigen verheirateten Frauen zu. Wolltest du das nicht für dich kaufen?“

      „Nun, vielleicht – aber du bist doch in wenigen Wochen auch eine verheiratete

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