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Lowlife. Julian Wendel
Читать онлайн.Название Lowlife
Год выпуска 0
isbn 9783750211179
Автор произведения Julian Wendel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ich merkte, wie das löchrige Rettungsboot, in dem ich bisher mehr oder weniger nur vage daher geschaukelt wurde, sich langsam aber bis zum völligen Unvorhandensein auflöste… Von Bord gegangen… Vom Bord eines sinkenden Narrenschiffes, jedoch noch immer in den Fluten treibend… Es war an der Zeit, den hereinflutenden Taumel zu genießen, ohne den ich mir zumeist viel zu verloren dort drinnen vorkam… Entaktogener Schwindel… Schwindel… Schon bald befand ich mich auf dem Kamm einer Welle… Und ich bahnte mir einen Weg durch die Menge, die vor meinen umherirrenden Blicken langsamer und schwerer wurde… Spürte, dass es nur noch einen geringen Moment brauchen würde, bis ich mich von den Fluten ins Ungewisse tragen ließe… Solange, bis die Welle brechen und langsam abebben, bis das Wasser versickern würde… Oder mich hinaustreiben und verschlucken.
…
Solange die Zeit, solange der Raum, die Körper, der Schwindel, vor meinem geistigen Auge zappelten, wie der Leib eines gepfählten Schweins im Kampf mit dem Tod, vergaß ich mich wie ich es mir schon seit langer Zeit nicht mehr für möglich vorgestellt hatte und machte meine Schritte, so ruhig und befangen, wie es mir zu eigen geworden ist, inmitten des Getümmels… Links, Rechts und dann irgendwie so weiter… Für einige Augenblicke konnte ich mir vorstellen, ich würde sterben. Aber nicht am Tod, denn am Tod stirbt man bekanntlich nicht. Man stirbt an Langeweile und Gleichgültigkeit… An einem Risus Sardonicus der Seele… Diesen Ungefühlen, die mich so oft direkt zum Zynismus führten.
Leider merkt man immer erst, dass man besser allein sein sollte, wenn es bereits zu spät ist… Es ließ sich auch nicht zurückverfolgen, wie ich hineingeraten war… Eine Erinnerung auszuheben, wenn man nichts und niemanden hat, kann eine große Anstrengung bedeuten… Was taugt eine solche Ausgrabung, täte man sie allein?… Waren wir acht oder zehn Leute in der weitläufigen, aber nach oben hin gedrungenen Dachwohnung?… Es war nicht genau auszumachen, denn immer wieder gingen welche zum Ficken oder Stoff holen raus. Einige verschwanden ganz und andere kamen hinzu. Die Gespräche verliefen nicht viel anders, als ich es auf derartigen Veranstaltungen schon oft genug erlebt hatte… Vielleicht etwas prätentiöser und besser geordnet… Musste da irgendwie hereingerutscht sein, mit zwei Leuten, die ich flüchtig kannte, die aber nach Augenblicken schon wieder verschwunden waren. Kaum angekommen, wurde es offensichtlich… Die hatten vor einer Weile erst angefangen, daher gelang es ihnen, halbwegs zusammenhängende Sätze über die Lippen zu bringen. Gleichwohl blieb es süffisantes, groß tönendes Geschwätz von Leuten, die sich für zwei oder drei Wochenenden miteinander arrangiert hatten. Stammtischgelaber und Halbwissen… Zuerst angeregt, dann beinah feindlich, zum Schluss nur noch nervtötend. Und dabei so bemüht… Und jeder hatte Recht und keiner hatte Recht, nichts konnte bewiesen werden, alles drehte sich schwindelnd im Kreis… Vorsichtshalber nahm ich mit meiner inneren Stimme vorlieb. Die hatte ihre Ordnung behalten. Die Zähne beschäftigt, malträtierten ein bisschen das Kaugummi… Und ich folgte deren Reden, und wie sie sich antörnten. Irgendjemand fing dann vom Zustand der Menschheit an… Hatte sich wohl umgesehen und gedacht, es wäre an der Zeit für eine Bestandsaufnahme. Dann beugte sich ein anderer vor und damit ging es ungefähr so weiter… Die erste Revolution wäre die Domestizierung des Feuers gewesen. Dieses gebändigte Feuer habe die Nacht verbannt… Sie ausgetrieben… Die Menschheit habe aus kleinen, verschworenen Gemeinschaften bestanden, an der Schwelle zu dem, was man später einmal Zivilisation nennen würde… Beim blutenden Arschloch, dachte ich… Ist das dein Ernst? Willst du jetzt etwa einen Vortrag beginnen? Auf diese Weise? Gleich mit der Menschheit in der Wiege beginnen?… Ich war kaum gespannt wohin die Reise gehen mochte… »Wir waren so wenige«, fuhr er fort… »Dass wir versuchen mussten, zwecks des Erhalts unserer Art, so etwas wie Helden zu sein…«
Mehrere Unterhaltungen fanden gleichzeitig statt und während ich mir von dem bröseligen Tabak, der auf dem Tisch auslag, eine Zigarette drehte, dachte ich, dass wenn man überhaupt von Helden sprechen konnte, es sich nur um lächerliche, angstgeplagte Helden handeln konnte, deren offen ausgelebte Hässlichkeit und Selbstsucht immer wieder zum Vorschein kam… Unvermeidlich, unwiderlegbar… Angst als natürliche Eigenschaft und Triebwerk aller sogenannten Heldentaten… Die Angst ein Nichts zu sein… Und daneben ein paar Helden für die Schublade… Fast schon eine Verbeugung wert… Ich hielt meinen Mund und zündete