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spürt. Beginnt damit die Reise?

      __4__

      Frank war bisher einmal in England gewesen. In London. Vor einem Jahr. Da war er noch sechzehn. Er wollte damals unbedingt in die Tate. Er kaufte teure Flugtickets und landete in Heathrow. In der Stadt hatte er ein Hotelzimmer in der Innenstadt gebucht. Er wollte einmal übernachten, um genügend Zeit für die Tate zu haben. Seine damalige Freundin war mit. Uli. Den Flug hatte er ihr bezahlt. Frank sollte in ein paar Tagen siebzehn werden. Uli war schon achtzehn. Sie hatte einmal in der Mittelstufe wiederholt und war in seine Klasse gekommen. Sie checkte federführend in dem Hotel ein. Und er tat das, wofür er sich nicht besonders anstrengen brauchte: daneben stehen und älter aussehen, als er war. Frank war vor allem groß. Und sein Gesicht war so geschnitten, das er zwar jung, aber seriös aussah. Auf keinen Fall minderjährig. Was er zu dem Zeitpunkt war. Er hatte sich zudem sauber und gut abgestimmt gekleidet. Er wußte, das er so und mit Uli leichter zurecht kam.

      Danach gingen sie in einen nahen Pub und tranken Bier. Anschließend kam der erste von zwei Besuchen in der Tate. Frank wollte das splitten. Wegen der Fülle. Und das war tatsächlich notwendig. Es gab den neuen Turner Saal und es gab eine temporäre Rothko Ausstellung, ebenfalls in einem eigenen Saal. Und man schaffte schon kaum die dauerhaften Exponate an einem Tag. Außer man lief und nickte sie einfach ab.

      Frank sah von der Dauerausstellung die Hälfte. Unter anderen ein Pollock Bild, das mit einer dicken roten Kordel vor Berührung geschützt werden sollte. In jedem Saal saß ein uniformierter Aufseher in eine der Ecken auf einem Stuhl. Frank paßte es genau ab, das Bild einmal kurz mit den Fingerspitzen zu berühren, als der Typ in die entgegengesetzte Richtung guckte. Frank kam sich vor wie ein dummer Teenager, der einmal das Objekt seiner Begierde berühren mußte. Das machte diese Stadt. Er spürte es. Hier war er Teil von etwas. Frank konnte es nicht benennen. Es war nicht allein das Historische dieser gewaltigen Metropole. Nicht allein der Boden, auf dem man stand. Nicht die ehrwürdigen Gebäude. Nicht diese um ihn versammelte Kunst. Es war der Zusammenschluß von allem. Dieses verdammte Bild hatte Pollock gemalt. Es stammte von ihm. Er hatte es berührt. Das war erregend. Auf unbestimmte Art. Hier wurde Zeit aufgehoben. Authentizität hergestellt. Durch Raum. Das war London. Das spürte er. Seine Freundin konnte ihm nicht folgen. Sie lachte. Und war froh, als sie endlich wieder draußen waren, auf der Straße, in der Luft, im Trubel.

      Für sie war die Erregung eine ganz andere.

      Er verstand das sogar.

      Für ihn war Kunst manchmal etwas Besonderes.

      Für seine Freundin die Stadt selbst.

      Geschäfte, Restaurants, Menschen. Der ganze Moloch. Sie gingen die Marsham Street ab, sahen Westminster Abbey, liefen durch Whitehall und kamen zum Trafalgar Square. Unweit davon lag die National Gallery mit der National Portrait Gallery und Frank überlegte tatsächlich einen Moment, ob sie sich nicht aufteilen sollten. Er in die Gallery und sie Richtung Covent Garden. Vereinbarter Treffpunkt in sechs Stunden da und da. Aber er sagte nichts davon. Er ging mit ihr. Denn immerhin waren sie zusammen.

      Aber er würde Morgen noch mal seinen Tate Auftritt haben. Morgen käme die andere Hälfte der regulären Ausstellung dran und Rothko und Turner. Dazu waren sie hier. Nur dazu.

      Abends im Hotelzimmer genoß er dennoch den Luxus daumendicker, makellos weißer Handtücher im großzügigen Bad. Sie hatten die doppelte Größe normaler Handtücher. Er benutzte sie zum Duschen genauso wie das hauseigene Gel, das sogar noch besser war als seines zu Hause. Er hatte es nicht mitgenommen. Er kannte solche Hotels. Früher war er mit seinen Eltern und seiner Schwester gereist.

      Er besah sich im Spiegel über dem ausladenden blitzsauberen Waschbecken, das er jetzt gleich entweihen würde. Er war dünn. Seine Brust wirkte zu flach. Die Haare darauf waren im Spiegel nicht zu sehen. Aber er bekam so etwas wie ein Kreuz. Seine Schultern bewirkten eine gut proportionierte Form des Oberkörpers. Er machte keinen Sport. Er aß wenig. Jetzt hatte er nur zuviel Pints intus. Zwei Ale, zwei Lager. Er war erschöpft vom Laufen durch die Stadt und von dem Bier.

      Er putzte sich die Zähne.

      Dann ging er zu Bett. Uli lag schon darin. Aber sein Pimmel blieb nicht lange genug hart. Ansonsten hatte er nie Probleme. Er brauchte eine Frau nur ansehen und sein Ding stand ab wie ein Metallrohr. Jetzt hatte er zwar eine Erektion, die aber, um im Bild zu bleiben, merkwürdig weich blieb, glühendweiches Eisen. So heiß, aber weich. Seiner Freundin schien das nichts auszumachen. Sie küßte ihn, als sie in dem Bett lagen, auf den Mund, die Stirn, die Wangen, liebevoll, nicht fordernd, zuletzt noch einmal seinen biegsamen Ständer.

      Dann schmiegte sie sich an seine Seite und auf mehr war sie nicht aus. Sie schlief sogar als Erste ein. Erst morgens weckte sie ihn, drängender. Legte sich nackt auf ihn. Das mochte er. So viel Körper wie möglich an seinem. Diese ganze Haut überall. Die Rundungen ihres Hinterns. Uli war üppig gebaut. Und dann ging alles ohne Hinsehen. Alles paßte perfekt. Wie ein langer improvisierter Tanz mit automatisierten Bewegungen. Mit einem eigenen Rhythmus. Mit Drehungen. Gegeneinander verschieben. Harten Griffen. Dem Überfließen reiner Energie. Bis alles Eins war.

      In der Tate lernte er dann, daß es etwas gab, das ihn genauso berührte wie Sex. Dabei war er kein Kunst-Spast, der las, was darüber geschrieben wurde. Der uralte gängige Urteile übernahm. Er konnte einfach nur staunen. Aber erst hier in der Tate sah er, bei seinem zweiten Besuch am zweiten Tag, daß es keine Vermittlung von Malerei gab. Nicht durch Abbildungen in Büchern. Nicht durch Reden oder darüber schreiben. Man mußte einfach nur vor ihr stehen. Vor ihren Bildern. Und dann: Bild und Betrachter. Dazwischen passierte es. Das war der Raum, in dem Kunst stattfand. Alles andere war Gefasel. Der Versuch, mit kleinen Bildchen in Büchern etwas davon wiederzugeben. Das funktionierte nicht. So einfach war das. Ein Bild war dazu da, das man es betrachtete. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.

      Er hatte Tränen in den Augen.

      __5__

       Bei dem Projekt in London geht es darum, nach dem Tod des Malers Francis Bacon dessen vollkommen versifftes und zugemülltes Atelier, so wie er es hinterlassen hat, von seiner Londoner Adresse in der Mews Reece in Kensington nach Dublin, seiner Geburtsstadt, in die Huge Lane Gallery zu verfrachten und dort in einem Glaskasten für die Nachwelt original wieder aufzubauen.

       Bacon hat das Atelier seinem Ex-Liebhaber, dem Kunstkritiker John Edwards hinterlassen, der es wiederum der Kuratorin Mary McGrath überantwortet hat, damit sie dieses Projekt durchführen kann. Damit dies Eins zu Eins geschieht, mit allen Gegenständen, den 100 Leinwänden,

       1500 Fotos,

       70 Zeichnungen,

       1300 Zeitungsausrissen,

       2000 Malutensilien wie Pinseln, Lappen, Dosen, Gläsern,

       Briefen,

       Schallplatten,

       Magazinen,

       werden sie, so, wie sie original herumliegen auf Regalen, Tischen, in Schränken, und vor allem auf dem Boden, zuerst kartographiert, fotografiert und dann archiviert. Dazu sind eine Archäologin, ein Fotograf und ein Archivar engagiert, jeder von ihnen mit Assistent, damit dieses Chaos genauso rekonstruiert werden kann. Bacon hat das Studio dreißig Jahre lang nie aufgeräumt oder saubergemacht, im Gegenteil, er hat sogar die Pinsel an den Wänden oder der Tür abgestrichen. Benutzte Lappen liegen lassen. Sogar als gestalterische Elemente Staub und Dreck mit in die Farben verrührt.

       Peter und Frank bekommen das als eine der Wenigen und Letzten noch einmal in diesem Originalzustand zu sehen. Und Peter ist als Assistent von Perry Ogden angestellt, des Fotografen.

      __6__

      Die Kabine auf der Fähre ist ein Witz.

      Mona

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