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»Du bist wohl nicht ganz richtig im Kopf, deinem lieben Mann das Getränk wegzunehmen!«

      Der Hund steht daneben und bellt wild drauf los.

      »Das wagst du nicht noch mal! Ich warne dich, du Trunkenbold! Das nächste Mal hetzte ich Hans auf dich!«

      »"Hans, Hans!", immer nur: "Hans!" Was hat der Scheißköter in der Küche zu suchen!«, entgegnet Anton entnervt.

      »Das ist meine Küche! Und ich bestimme, ob mein Hund darin ist oder nicht!«

      »So was! Dem Ehemann das Einzige wegzunehmen, was er noch hat, meine Medizin.«

      »Schämst du dich nicht vor dem Jungen?! Ihm so ein schlechtes Beispiel zu geben!«, versucht sie ihm jetzt deutlich zu machen, obwohl besagter bei dieser Szene nicht dabei ist.

      »Ist doch dein Junge! Wo steckt der Strolch überhaupt? Treibt sich wohl schon wieder draußen rum! Was?«

      »Hermann ist bei einem Freund.«

      »Ach, bei einem Freund! Ganz wie sein Vater damals, was? Er ist ihm ja auch wie aus dem Gesicht geschnitten!«

      »Nu’ hör aber auf! Du wirst noch mal mein Sargnagel sein, wenn du so weitermachst!«

      Immer wieder zieht es Anton zu dem geheimgehaltenen Grab. Ihm ist, als wenn eine magische Anziehungskraft davon auf ihn ausstrahlen würde. Er steht traurig davor und muss an vergangene, glücklichere Zeiten vor dem Krieg denken, die er mit seinem dort liegenden Freund verbracht hat. Es kommt ihm fast vor, als ob der Tote ihm diese Erinnerungen erzählen würde, gerade so, als wenn er ihm damit etwas ganz Bestimmtes sagen will.

      »Guten Tag, Herr Brunisch!«, ruft plötzlich eine fremde Männerstimme von weitem.

      Anton blickt sich, aus seinen Erinnerungen gerissen, um. Nun sieht er eine hünenhafte Erscheinung hinter dem Gartenzaun auf dem Grundstück stehen, das früher Hans Kuchenbäckers war. Die einfach gekleidete Gestalt wird, trotz ihrer zwei Meter und drei, von Anton für kaum über einundzwanzig Jahre geschätzt. Pechschwarzes Haar, dunkelbraune fast ebenfalls schwarze Augen sowie ein beinahe athletischer Oberkörper sind weitere Merkmale. Der an der verborgenen Grabstätte so unerwartet Angesprochene geht auf den freundlich lächelnden Mann zu: »Guten Tag!«

      »Ihre Frau hat mir schon erzählt, dass sie nun erst aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt sind. Na, da möchte ich Ihnen alles Gute wünschen.«

      »Recht schönen Dank. Sind Sie der Neffe von Hans Kuchenbäcker?«

      »Ja. Oh, Entschuldigung, dass ich mich nicht vorgestellt habe. Kuchenbäcker, Peter Kuchenbäcker. Für Ihren Sohn muss es sicher auch ein komisches Gefühl sein, mit elf oder zwölf erst den Vater kennen zu lernen. Tja, so ist das mit dem Krieg. Sie haben sicher auch viel durchgemacht, nicht wahr?«

      »Ja, das kann man mit Gewissheit sagen. Also, ich sag’s Ihnen ganz ehrlich: Wenn ich gewusst hätte, dass es so schlimm wird, dann hätte ich mir gleich die Kugel gegeben.«

      »Na, Kopf hoch, Herr Brunisch. Nun haben Sie es ja überstanden. Herr Brunisch, ich wollte Sie noch was fragen: Ihr Hermann hat mir erzählt, dass Sie mit meinem Onkel ganz gut befreundet waren. Nun ist es ja so, dass er seit ‘43 als vermisst gilt. Aber man hat ihn nie gefunden. Sie wissen sicher auch nichts Näheres darüber, oder?«

      »Nein, leider nicht. Wir haben uns während der Militärzeit aus den Augen verloren. Tut mir Leid, dass ich Ihnen da nicht weiterhelfen kann.«

      »Da kann man nichts machen. Immerhin werden ja noch weit über eine Million vermisst. Ich dachte, jetzt, wo Sie auch nach so langer Zeit noch gekommen sind ... Denn die Russen haben ja 1950 schon behauptet, alle deutschen Gefangenen freigelassen zu haben. Und dann stellte sich heraus, dass sie doch noch Abertausende hatten, die sie als Arbeitssklaven behalten wollten. Gott sei Dank hat euch Meister Adenauer endlich herausgehauen! Halten Sie es da nicht auch für möglich, dass mein Onkel doch noch lebt und von denen festgehalten wird?«

      »Tja, ich will Ihnen da keine falschen Hoffnungen machen. Ich meine, ich kann es nicht ausschließen, aber ich glaube es eigentlich nicht. Wissen Sie, ich kann auch nicht erklären warum, aber irgendwie fühle ich, dass mein Freund Hans tot ist.«

      »Ja — ja, ich verstehe. Manchmal haben wir wohl alle diese seltsamen Vorahnungen. Ja, dann will ich Sie mal nicht weiter aufhalten, Herr Brunisch.«

      »Ach, Sie haben mich doch gar nicht aufgehalten, Herr Kuchenbäcker. Im Gegenteil: Es war mir eine große Freude, Sie kennen zu lernen. Glauben Sie mir. Wir werden uns sicher noch mal ausführlich unterhalten über Ihren Onkel, wenn ich mich hier erst wieder richtig eingelebt habe und mich an alles gewöhnt habe.«

      »Ja, das glaube ich, dass das nicht einfach ist. Na, dann alles Gute für die Zukunft, Herr Brunisch.«

      »Danke. Auf Wiedersehen, Herr Kuchenbäcker!«

      »Auf Wiedersehen!«

      Aufgeregt berichtet Anton seiner Frau von dem Gespräch: »... Scheint ja ein richtig netter Mann zu sein, dieser Neffe. Genauso nett, wie sein Onkel früher mal war. Hilde, ich grübel’ und grübel’ immer noch darüber und kann es einfach nicht begreifen, wie Hans uns so was antun konnte.«

      »Ach, jetzt geht die Leier wieder los! Kannst du diese alte Sache nicht endlich mal ruhen lassen?!«

      »Reg dich doch nicht so auf, Hilde. Manchmal glaube ich wirklich, dir wäre es lieber gewesen, wenn ich nicht wiedergekommen wäre.«

      Frau Brunisch schweigt bedeutsam.

      Einige Wochen ist Anton jetzt zu Hause. Die Streitereien zwischen dem Ehepaar nehmen immer mehr zu. Als er eines Tages abermals zu tief ins Glas geblickt hat, folgt eine emotionsgeladene Auseinandersetzung:

      »Wo ist Hermann? Ist dein Sohn schon wieder nicht zu Hause?«

      »Was meinst du wohl, warum der Junge so oft weggeht?! Doch nur, damit er dich nicht hier besoffen herumhocken sehen muss!«

      »Rede doch nicht solchen Unsinn, Hilde! Bloß, weil ich ein bisschen trinke?«

      »Phh! "Ein bisschen"! Das ich nicht lache! Du hängst doch fast den ganzen Tag an der Flasche! Das ist doch das Einzige, was du kannst: Saufen! Und sonst nichts!«

      »Ich will dir was sagen, Hilde. Das ist ... bloß, weil ich ... meinen Kummer ertränken muss. Hilde, ich ... ich kann das nicht mehr ertragen hier! Jeden Tag ...jeden Tag werde ich daran erinnert.«

      »Ach, du alter Saufkopf warst doch noch nie ein richtiger Mann!«

      »Was soll das heißen, Weib?«

      »Ich will dir sagen, was das heißen soll! Ich habe es jetzt satt mit dir! Hörst du: endgültig satt! Du kannst hingehen wo der Pfeffer wächst! Der Hans, das war ein richtiger Mann! Damit du es nur weißt: Ich war ganz wild auf ihn! Ich hab’ ihn verführt! Und ich wäre froh gewesen, wenn es anders herum ausgegangen wäre und du jetzt da hinten liegen würdest! So, jetzt weißt du endlich Bescheid, was für ein Versager du eigentlich bist!«

      Nun also erfährt Anton die Wahrheit. Seine Gesichtszüge versteinern sich und laufen vor unbändigem Zorn rot an. Anschließend bricht es aus ihm heraus: »Was! Du ...!« Er springt auf und legt im Affekt seine Hände um ihren Hals!

      Doch dann stockt er: »Nein ... nein, du Hexe! Nicht noch einmal! Noch mal bringst du mich nicht dazu, einen Menschen umzubringen! Selbst dich nicht! Ich ... ich hab’s geahnt! All die Jahre hab’ ich’s gewusst. Hans war genauso ein feiner Kerl wie sein Neffe! Weißt du ... weißt du, was ich jetzt mache?! Ich gehe rüber zu ihm ...«, mit dem Zeigefinger in Richtung des Nachbargrundstückes deutend, »... und sag’ ihm alles!«

      »Bist du wahnsinnig, du alter Säufer!«, entsetzt sich die Offenbarte. Ihr Hund befindet sich gerade hinten im Garten, so dass dieser nicht tätig werden kann.

      »Alle ... alle sollen es wissen, wie du deinen lieben Mann betrogen hast!« Anton torkelt auf die Haustür zu.

      Hildegard Brunisch zieht blitzschnell das Fleischmesser aus der Schublade!

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