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Der Mann, der bis zu den Wagen gekommen war, nahm die Taschen und Schachteln der Frauen entgegen. Da es ihm nicht schnell genug ging, trat er Elisabeth Stephan fluchend in den Bauch, drehte sich anschließend zu seinen Kumpanen und stapfte davon. Elisabeth fiel um, und blieb gekrümmt stöhnend im Schnee liegen. Ihre Tochter Liesel rannte schreiend hinter dem Wagen hervor zu ihrer Mutter, ohne auf die Gefahr zu achten. Werner und sein Bruder Erich sprangen vom fünften Wagen nach hinten runter in den Schnee. Werner sprang dabei fast einem ungefähr gleichaltrigen, bildhübschen und unbekanntem Jungen auf die Füße. Dann sahen sie, genau zwischen ihren Hinterrädern, den alten Seilermeister aus Neukuhren hocken, er versuchte zu sehen, was dort wenige Meter vor ihnen ablief. Unmittelbar hinter dem Alten lagen die Leichen von mehreren Soldaten wild durcheinander unter der Schneedecke. Der Treck war gerade mit seinen schweren Wagen um ein paar Zentimeter an ihnen vorbeigerollt bevor sie anhielten. Als der Mann mit den Wertgegenständen sah, dass da noch ein Mädchen war, drehte er sich wieder zu ihnen um und schrie Liesel an, zu ihm zu kommen. Liesel kniete dort, wo ihre Mutter zusammengebrochen war, und hörte den Mann schreien. Sie war wie betäubt und noch bevor sie aufstehen und sich auf den Weg machen konnte, krachte ein Schuss. Der Mann, der dabei war Erna auszuziehen, fiel auf die Seite und schrie wie am Spieß. Erna stürzte durch den plötzlich befreiten Ruck nach hinten, und rollte sich durch den Schnee weg von dem Mann. Die anderen beiden Fremden richteten ihre Karabiner verwirrt auf die wehrlosen Frauen, als ein zweiter Schuss fiel. Dieser traf den Mann, der bisher nur dabei gestanden hatte, in den Bauch, er fiel mitsamt seinem Gewehr nach hinten und krümmte sich zusammen. Der Mann mit den Taschen schoss mit seinem Karabiner in der rechten Hand auf die Frauen und rannte Richtung Wald davon. Da er aber die linke Hand, und den ganzen Arm voller Taschen und Schachteln hielt, konnte er nur mit der einen freien Hand schießen. Er bekam den schweren Karabiner aber gar nicht hoch genug, um ihn in die richtige Position für einen gezielten Schuss zu bringen. Der Schuss ging zum Glück deswegen nur unweit vor ihm in den Boden. Der Mann rannte anschließend mit Taschen und Schachteln und seinem Karabiner in der Hand, durch den Schnee in die Richtung, von wo sie vorhin hergekommen waren, und kam vielleicht zehn Meter weit in seinen dicken Wintersachen, als nochmals zwei Schüsse krachten. Beide Male wurde der Mann getroffen und fiel in den Schnee. Eine der Schachteln öffnete sich dabei und ein Schwall Schmuck und Gold verteilte sich im Schnee. Der schreiende Mann, der Erna angefasst hatte, stöhnte nun leise im Schnee und wälzte sich hin und her. Das Blut kroch unter seinem dicken Mantel hervor, und färbte den Schnee in einem hässlichen Rot. Durch das Wälzen im Schnee verbreiterte der sterbende Mann die Blutspur wie ein skurriles Gemälde. Hinter dem dritten Wagen kamen ein alter Mann und ein Junge hervor. Beide hielten Gewehre in den Händen. Der Seilermeister und Werner sahen, was ihre Kugeln angerichtet hatten. Der Alte sagte zitternd. „Das hat gesessen, Jungchen“, und dann schluchzte er hemmungslos. Sein alter Körper bebte. Werner zitterte auch am ganzen Körper wie Espenlaub, war kreidebleich und fing an zu würgen. Er war gerade mal neun Jahre alt und hatte soeben mitgeholfen, drei Männer zu töten. Die Tränen schossen ihm nur so aus den Augen. Dann ließ er den schweren Karabiner in den Schnee fallen und sackte zusammen. Die Gewehre, mit denen sie geschossen hatten, gehörten den toten deutschen Soldaten, bei denen der Treck stehen geblieben war. Ohne darüber nachzudenken hatte der alte Mann den toten, schlaffen Händen zwei Gewehre entwunden, eines Werner in die Hand gedrückt und damit unter dem Wagen hindurch auf die Angreifer geschossen. Der alte Pahlke hatte noch kurz gesagt. „Du nimmst den Wachhund, ziel genau in die Mitte, dann hast du ihn. Ich nehme den Lorbas bei dem Mädchen aufs Korn. Ich schieße zuerst. Komm Junge, jetzt gilt es.“ Nach den ersten Schüssen, sahen sie den bepackten mühsam davonrennen. Sie luden beide gemeinsam die Karabiner durch und schossen fast gleichzeitig im nächsten Moment hinterher. Dass er selbst in dieser Situation, wo das Blatt sich gegen ihn gewendet hatte, nicht mal seine Beute fallen lassen wollte, sollte dem Mann wohl jetzt das Leben kosten. So endete Werners Kindheit.

       Opa ist der Beste

      Ina war vier Jahre alt, als Opa Werner ihr das Fahrradfahren beibrachte. Er hatte in seinem Schuppen unter der Decke ein uraltes, rotes Rad mit schönen breiten Reifen hängen. Ina hatte schon öfters die silberne Klingel daran blitzen gesehen. Aber bisher hatte Opa das Rad noch nie von der Decke abgemacht. Heute sollte der große Tag sein. Opa hatte das Rad schon früh morgens von der Decke gelöst und es auf seiner großen, schweren Werkbank abgestellt. Ina konnte nur richtig auf die Bank drauf schauen, wenn sie sich den kleinen Holztritt, der unter der Werkbank stand, dahin schob und die zwei Stufen hoch kletterte. In der Zeit, wo Opa das Rad herrichtete, bereitete Oma ein Frühstück für alle vor. Opa prüfte die Luft in den Reifen, holte sich die alte Pumpe und pumpte die Reifen auf, bis der Luftdruck genug war. Dann putzte er das Rad noch mit einem alten Lappen, da es unter der Decke ziemlich staubig geworden war. Als er mit seinem Werk zufrieden war, ging er ins Haus zurück um zu schauen wie weit das Frühstück und Ina waren. Das Mädchen wusste noch nichts von seinem Glück. Nach dem Frühstück ging sie mit Opa zum Schuppen und sah ganz erstaunt das Fahrrad an der Tür lehnen. Sofort fiel ihr die glänzende Klingel auf, die sie bisher nur aus der Ferne von unten gesehen hatte. Opa beobachtete ihr Gesicht. Es drückte äußerstes Entzücken aus. Er lächelte, als sie sofort nach dem Lenker griff und sich wie selbst-verständig auf den Sitz drauf setzte. Die Pedale standen ihr natürlich im Wege, sie wusste ja nicht, wofür die zu gebrauchen waren. Opa sagte: „So, Madame, heute lernst du mal Fahrradfahren.“ Schon griff Ina nach der Klingel, aber die gab keinen Ton von sich. Opa zeigte ihr, wo sie drücken musste, damit das glockenhelle Gebimmel erklang. Sie stieß vor Erstaunen einen kleinen, erfreuten Schrei aus. Dann fing sie an zu bimmeln, und hörte ein paar Minuten lang nicht mehr auf damit. Als es selbst Opa zu viel wurde, stoppte er sie kurzerhand, in dem er eine Hand auf die Klingel legte. Schon war wieder alles ruhig. Die Klingel gab nur noch ein leises beleidigtes Knurren von sich. „Komm, sagte Opa.“ Jetzt geht’s los.“ Werner ließ Ina die Füße auf die Pedale stellen und schob sie leicht an. Die Pedale drehten sich, als das Rad losfuhr und Ina krähte vor Freude. Sie fing an, ein paarmal zu treten und merkte, dass sie so vorankam. Opa Werner sagte zu ihr. „Immer langsam, Madame, immer nur langsam. Und wenn du zu schnell wirst, dann hör auf zu treten.“ Aber Ina hörte natürlich nicht auf ihn. Sie fuhr im Kreis, und zog ihn immer größer. Allerdings wurde sie dabei auch schneller. Werner wollte sie schon anhalten, als sie es plötzlich schaffte, nach rechts weg zu kippen. Sie landete genau hinter einem Busch auf der weichen Erde und schrie wie am Spieß. „Opa, hilf mir, Opa, Ina ist gestürzt.“ Und Opa half ihr auf. Er half ihr immer auf. Und er würde ihr solange er lebte, immer wieder aufhelfen.

       Der Unfall

      Immer wieder kam Werner der Moment in den Sinn, in dem ihn der Trainer anrief, und abgehackt sagte: „Kommen Sie schnell, ein Unfall, schnell.“ Diese sechs Worte hatten sich bereits in sein Gehirn gebrannt. Er wusste nicht wer da einen Unfall erlitten hatte, ob vielleicht das Hallendach eingestürzt, oder ein Feuer ausgebrochen sei. Er wusste nur, dass Ina heute dort wie immer beim Training war. Kommen Sie schnell, schnell, schnell. Egal wie schnell Werner im Vereinsheim ankam, er wusste instinktiv, das es nicht schnell genug sein würde. Wie in Trance fuhr er die paar Kilometer durch die Ortschaft zum Vereinsheim mit den Sportplätzen. Seine Gedanken rasten durcheinander. Er sprang aus dem Wagen, kaum dass die Reifen stillstanden, und zog noch im Türöffnen die Handbremse. Er rannte, so schnell er auf seine alten Tage konnte, an mehreren Rettungsfahrzeugen mit zuckendem Blaulicht vorbei zum Trainingsgelände hinter den Sporthallen. Als er ankam und dort um die Ecke bog, sah er einen unglaublich bunten Haufen von Menschen die sich alle um die Stabhochsprung matte scharrten. Auf dem Rest des Platzes, der sonst um diese Zeit immer voll war, bewegte sich im Moment nichts. In der Mitte des Auflaufs sah er die leuchtenden Jacken der Sanitäter. Es würde schlimm sein, was es dort zu sehen gab, dachte er. Er hoffte zwar inständig, dass es nicht so übel sein würde, aber es sah nicht danach aus. Auf einmal öffnete sich die Meute Menschen zu seiner Seite hin, und behutsam schoben die Sanitäter ein dick eingepacktes Bündel heraus. Werner hatte noch nie gesehen, wie ein verletzter Mensch wirklich durch die Sanitäter zu einem Rettungsfahrzeug gebracht wurde. Diese Szene kannte man schließlich aus dem Fernsehen. Dort rannte ja immer jemand neben dem offenen Transportwagen her, der Patient warf sich stöhnend hin und her, einer rief Kommandos zu unsichtbaren Personen, und eine Krankenschwester hielt eine Infusionsflasche in die Höhe, aus unsichtbaren

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