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Lausbubengeschichten & Tante Frieda - Teil 1. Ludwig Thoma
Читать онлайн.Название Lausbubengeschichten & Tante Frieda - Teil 1
Год выпуска 0
isbn 9783742772671
Автор произведения Ludwig Thoma
Серия Lausbubengeschichten & Tante Frieda
Издательство Bookwire
Meine Mutter hat gesagt, daß etwas geschehen muß, sie weiß noch nicht, was.
Auf einmal ist ihnen eingefallen, ob ich vielleicht in der Vakanz in die Volksschule gehen kann,
der Herr Lehrer tut ihnen gewiß den Gefallen.
Ich habe gesagt, das geht nicht, weil ich schon in die zweite Klasse von der Lateinschule komme,
und wenn es die anderen erfahren, ist es eine furchtbare Schande vor meinen Kommilitonen.
Lieber will ich nichts mehr anfangen und sehr fleißig sein.
Meine liebe Mutter sagte zu meiner Schwester: »Du hörst es, daß er jetzt anders werden will, und
wenn es für ihn doch so peinlich ist wegen der Kolimitonen, wollen wir noch einmal warten. Sie
kann sich keine lateinischen Worte merken. Ich war froh, daß es so vorbeigegangen ist, und ich
habe mich recht zusammengenommen.
Einen Tag ist es gutgegangen, aber am Mittwoch habe ich es nicht mehr ausgehalten.
Neben uns wohnt der Geheimrat Bischof in der Sommerfrische. Seine Frau kann mich nicht
leiden, und wenn ich bloß an den Zaun hinkomme, schreit sie zu ihrer Magd: »Elis, geben Sie
acht, der Lausbube ist da ...«
Sie haben eine Angorakatze; die darf immer dabeisitzen, wenn sie Kaffee trinken im Freien, und
die Frau Geheimrat fragt: »Mag Miezchen ein bißchen Milch? Mag Miezchen vielleicht auch ein
bißchen Honig?«
Als wenn sie ja sagen könnte oder ein kleines Kind wäre.
Am Mittwoch ist die Katze bei uns herüben gewesen, und unsere Magd hat sie gefüttert. Da habe
ich sie genommen, wie es niemand gesehen hat, und habe sie eingesperrt im Stall, wo ich früher
zwei Könighasen hatte.
Dann habe ich aufgepaßt, wie sie Kaffee getrunken haben. Die Frau Geheimrat war schon da und
hat gerufen:
»Miezi! Miezi! Elis, haben Sie Miezchen nicht gesehen?« Aber die Magd hat es nicht gewußt,
und sie haben sich hingesetzt, und ich habe hinter dem Vorhang hinübergeschaut.
Dann hat die Frau Geheimrat zu ihrem Mann gesagt: »Eugen, hast du Miezchen nicht gesehen?«
Und er hat gesagt: »Vüloicht, ich woiß es nücht.« Und dann hat er wieder in der Zeitung gelesen.
Aber die Frau Geheimrat war ganz nachdenklich, und wie sie ein Butterbrot geschmiert hat, hat
sie gesagt:
»Ich kann mir nicht denken, wo Miezchen bleibt. Sie fängt doch keine Mäuse nicht? Indes bin ich
geschwind in den Stall und habe die Katze genommen. Ich habe ihr an den Schweif einen
Pulverfrosch gebunden und bin hinten an das Haus vom Geheimrat am Zaun und habe den Frosch
angezündet. Dann habe ich die Katze freigelassen. Sie ist gleich durch den Zaun geschloffen und
furchtbar gelaufen.
Die Magd hat geschrien: »Frau Geheimrat, Mieze kommt schon.« Und dann habe ich die Stimme
von ihr gehört, wie sie gesagt hat: »Wo ist nur mein Kätzchen? Da bist du ja! Aber was hat das
Tierchen am Schweif?« Dann hat es furchtbar gekracht und gezischt, und sie haben geschrien und
die Tassen am Boden hingeschmissen, und wie es still war, hat der Geheimrat gesagt: »Das üst
wüder düser ruchlose Lauspube gewösen.«
Ich habe mich im Zimmer von meiner Schwester versteckt; da kann man in unseren Garten
hinunterschauen. Meine Mutter und Anna haben auch Kaffee getrunken, und meine liebe Mutter
sagte gerade: »Siehst du, Ännchen, Ludwig ist nicht so schlimm; man muß ihn nur zu behandeln
verstehen. Gestern hat er den ganzen Tag gelernt, und es ist gut, daß wir ihn nicht vor seinen
Kolimitonen blamiert haben.«
Und Anna sagte: »Ach möchte bloß wissen, warum der Herr Amtsrichter nicht stehengeblieben
ist.«
Jetzt ist auf einmal am Eingang von unserem Garten der Geheimrat und die Frau Geheimrat
gewesen, und meine Mutter sagte: Ȁnnchen, sitzt meine Haube nicht schief? Ich glaube gar,
Geheimrats machen uns Besuch.«
Und ist aufgestanden und ihnen entgegengegangen, und ich hörte, daß sie gesagt hat: »Nein, das
ist lieb von Ihnen, daß Sie kommen...« Aber der Geheimrat hat ein Gesicht gemacht, als wenn er
mit einer Leiche geht, und sie ist ganz rot gewesen und hat den abgebrannten Frosch in der Hand
gehabt und hat erzählt, daß die Katze jetzt wahnsinnig ist und drei Tassen kaputt sind. Und daß es
niemand anderer getan hat wie ich. Da sind meiner Mutter die Tränen heruntergelaufen, und der
Geheimrat hat gesagt: »Woinen Sü nur, gute Frau! Woinen Sü über Ohren mißratenen Sohn!«
Und dann haben sie verlangt, daß meine Mutter die Tassen bezahlt, und eine kostet zwei Mark,
weil es so gutes Porzellan war.
Ich bin furchtbar zornig geworden, wie ich gesehen habe, daß meine alte Mutter den kleinen,
alten Geldbeutel herausgetan hat, und ihre Hände waren ganz zittrig, wie sie das Geld aufgezählt
hat.
Die Frau Geheimrat hat es geschwind eingesteckt und hat gesagt, das Schrecklichste ist, daß die
arme Katze wahnsinnig geworden ist, aber sie wollen es nicht anzeigen aus Rücksicht auf meine
Mutter. Dann sind sie gegangen, und er hat noch gesagt: »Der Hümmel prüft Sü hart mit Ühre
Künde.«
Ich habe noch länger in den Garten hinuntergeschaut. Da ist meine Mutter am Tisch gesessen und
hat sich mit ihrem Sacktuch die Tränen abgewischt, aber es sind immer neue gekommen, und bei
Ännchen auch. Das Butterbrot ist auf dem Teller gewesen, und sie haben es nicht mehr essen
mögen. Ich bin ganz traurig geworden, und ich bin fort, daß sie mich nicht gesehen haben.
Ich habe gedacht, wie es gemein ist von dem Geheimrat, daß er das Geld genommen hat, und wie
ich ihm dafür etwas antun muß. Ich möchte die Katze kaputtmachen, daß es niemand merkt, und
ihr den Schweif abschneiden. Wenn sie dann ruft: »Wo ist denn nur unser Miezchen?«, schmeiße
ich den Schweif über den Zaun hinüber. Aber ich muß mich noch besinnen, wie ich es mache,
daß es niemand merkt. Da bin ich wieder lustig geworden, weil ich gedacht habe, was sie für ein
Gesicht machen wird, wenn sie bloß mehr den Schweif sieht. Dann bin ich heim zum Essen
gegangen. Anna ist schon an der Tür gestanden und hat gesagt, daß ich allein essen muß in
meinem Zimmer und daß ich morgen in die Schule gehen muß. Der Herr Lehrer Wagner hat es
angenommen und hat versprochen, daß er mit mir streng ist.
Ich habe schimpfen gewollt, weil es doch eine Schande ist, wenn ein Lateinschüler mit den
dummen Schulkindern zusammensitzt, aber ich habe gedacht, daß meine Mutter so geweint hat.
Und da habe ich mir alles gefallen lassen.
Ich bin am andern Tag in die Schule gegangen.