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Ich hatte keine Chance, aber ich habe sie genutzt. Günter Neumärker
Читать онлайн.Название Ich hatte keine Chance, aber ich habe sie genutzt
Год выпуска 0
isbn 9783847660798
Автор произведения Günter Neumärker
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Irgendwie unverständlich ist mir daher die Stimmung zu Hause, als jetzt im Jahre 1949 die offizielle Todesnachricht eingeht. Georg Schunk, der Sanitäter meines Vaters im Lazarett und zugleich ein Bewunderer meines Großvaters, schreibt, dass mein Vater im Lazarett in Tscherepowetz "heimgegangen" sei. Das aber wissen wir doch schon lange, warum jetzt diese Trauer? Erst viel später erzählt mir meine Mutter von ihren diesbezüglichen Visionen, die ja noch Hoffnungen zuließen, die es jetzt aber nicht mehr gibt. So sitze ich mit meiner roten Schürze bekleidet im Schlafzimmer der Großeltern. Während meine Oma, mit dem Brief in der Hand im Bett liegt und weint, freue ich mich von ganzem Herzen, denn nun weiß ich sicher, dass ich mein Trampel Auto bekomme. Ja, Mutti bestätigt es mir sogar. Dann geht sie raus, es hat geklingelt.
Kurze Zeit später kommt meine Mutter mit einer Reiterfigur aus Ton ins Schlafzimmer zurück, und meine Oma sagt: “Haben sie es Dir doch gegeben.“ Jenes Pferd war eines von zwei Exemplaren aus dem Jahre 500, die aus Mongolischen Prinzengräbern kamen.
Der Bruder meiner Oma, Onkel Heinrich, Mann von Tante Grete und Vater von Onkel Heinz, war Sportflieger. In den 30er Jahren ging er als Pilot nach China. Von der Luft aus sollte der Gelbe Fluss neu vermessen werden. Dort bekam er die Figuren geschenkt.
Nach Deutschland zurückgekehrt, musste er beim Aufbau der Luftwaffe mitwirken und stürzte dabei tödlich ab.
Dieses Pferd nun gefiel meinem Vater am besten. Als er in den Krieg zog, versprach Tante Grete ihm, dass er es nach seiner Rückkehr erhalten werde, und nun bekam meine Mutter das Pferd, obwohl mein Vater nicht mehr zurückkommen wird.
Der Zauberstab
Tante Ruth möchte Diakonisse werden. „Marburger Schwester“. So reist sie heute ganz früh ins Mutterhaus nach Marburg, um sich vorzustellen. Gestern Abend hat sie mich gefragt: „Was soll ich Dir denn mitbringen?“ Das war nun eine schwere Frage, weil ich viele Wünsche habe, und nun sollte ich mich für einen entscheiden. Da fiel mir eine geradezu geniale Lösung ein. Wenn ich einen Zauberstab hätte, könnte ich mir doch alle meine Wünsche selbst erfüllen. Also wünsche ich mir einen Zauberstab, und Tante Ruth verspricht mir feste, dass sie mir diesen Wunsch erfüllen werde.
Nun liege ich in meinem Bettchen und erwarte sehnsüchtig ihre Ankunft. Da kommt die gute Tante herein, allerdings mit leeren Händen. „Leider“, so sagt sie mir, „hatte das Geschäft schon geschlossen, als ich dort einkaufen wollte.“ Schwer enttäuscht fange ich bitterlich an zu weinen und frage sie, warum sie denn nicht zuerst in das Geschäft gegangen sei. Daran habe sie nun leider nicht gedacht. Ich habe mir nie wieder einen Zauberstab gewünscht.
Tante Käthe
Am häufigsten von meinen Paten sehe ich meine Patentante Käthe. Sie ist mit Onkel Paul-Walter, dem älteren Bruder meiner Mutter, verheiratet. Beide wohnen in Steimelhagen, und das ist nicht sehr weit von Waldbröl entfernt.
Tante Käthes Eltern, Ewald und "Gustchen" Krämer, betreiben eine Landwirtschaft. Von dort stammen auch die Hühner, die wir in Waldbröl halten. Als uns eines davon starb, brachte uns der Onkel Paul-Walter in seiner Aktentasche auf dem Motorrad ein neues mit.
Urlaub in Steimelhagen
Mit Tante Ruth habe ich jetzt einige Tage Urlaub in Steimelhagen gemacht. Neben Krämers und Schäfers gab es noch einen Knecht auf dem Hof. Auch kam in dieser Zeit Tante Martha aus Berghausen zu Besuch. Sie war mit Tante Käthes Bruder verlobt, der ebenso wie mein Vater, im Krieg geblieben ist. Ich werde sie noch häufiger sehen.
Heute nach dem Frühstück gehen Tante Ruth und ich nach Holpe, denn unser Aufenthalt ist vorbei. Es ist ein steiler Fußweg dort hinunter. Zwischen Holpe und Waldbröl verkehrt der Postbus. Bevor der aber kommt, fragt Tante Ruth den Paketwagen, ob er uns mitnähme. Das tut er. Hinter dem Fahrer und Beifahrer steht ein einfacher Holzhocker. Darauf setzt sich Tante Ruth und nimmt mich auf ihren Schoß. Im Dach des Postautos ist ein Loch, und ich frage mich, ob das wohl aus dem Krieg stammt.
Christas Taufe
Heute fahren wir wieder nach Steimelhagen, diesmal mit dem Zug bis Volperhausen. Dort erwartet uns schon Onkel Paul-Walter. Er ist mit dem Fahrrad gekommen, das er nun neben sich herschiebt. Seine Tochter soll heute getauft werden.
Die Taufe findet oben im Wohnzimmer der Schäfers statt, und es ist unser Opa, der das Kind auf den Namen: Christa Anette Ursula, tauft. Zur Feier des Tages habe ich wieder meinen blauen Samtanzug an.
Patmos
Patmos ist ein christliches Erholungsheim in der Nähe von Siegen. Und weil der Georg Herbstferien hat, fährt Tante Ruth mit uns zwei Jungens dort hin. Der Postbus bringt uns früh nach Schladern, und von dort fahren wir mit dem Zug weiter.
Unterwegs, kurz bevor wir in einen Bahnhof einfahren, kneift mich die Tante in den Arm. Zugleich fragt sie: „Wie heißt dieser Ort?“ Mehr aus Schreck, als aus Schmerz, denn natürlich hat sie nicht feste gekniffen, schreie ich: „AU!“, und Tante Ruth sagt. „Richtig.“
In Geisweid vor dem Bahnhof wartet Herr Hartmann mit einer Kutsche auf uns. Wir Jungens dürfen vorne auf dem Kutschbock sitzen, und ab geht die Fahrt.
Patmos ist eine große Anlage mit eigener Landwirtschaft, die von Herrn Hartmann verwaltet wird, einer Gärtnerei, einer Krankenstation und einer eigenen Kirche. Patmos hat eine Insellage inmitten von Feldern und Wäldern.
Heute besuchen Georg und ich die Gärtnerei, und der Gärtner öffnet ein Frühbeet, in dem Radieschen wachsen. Er deckt aber nur einen Teil des Beetes auf. Damit ich aber auch an die Radieschen ran komme, knie ich mich auf den Glasrahmen. Natürlich weist mich der Gärtner sofort auf die Gefahr hin und fordert mich auf, da herunter zu gehen. Doch genau in diesem Augenblick breche ich ein. Zack, habe ich eine große Fleischwunde und humpele zur Krankenstation. Dort erhalte ich einen anständigen Verband und mache meine erste Bekanntschaft mit Jod. Sehr unangenehm!
Zwischen dem Haupthaus, in dem wir wohnen und dem Kuhstall liegt ein kleiner Wald, in dem befindet sich eine große Schaukel für uns Kinder und ein richtiges Plumpsklo für die Arbeiter. Das hat mich stark beeindruckt.
Abends dürfen wir Kinder die Kühe von der Weide in den Stall treiben, was gar nicht so leicht ist, weil die Kühe ihren eigenen Kopf haben, es uns aber doch gelingt.
Herr Hartmann fährt mit einem Fuhrwerk, auf dem ein langer runder Tank liegt, an mir vorbei, und ich frage ihn, ob er mich mitnimmt. Er tut es. Wir fahren hinaus auf die Weide, und dort öffnet er den Tank, heraus fließt Gülle. Auch das hat mich stark beeindruckt, und so spiele ich noch jahrelang „Gülle ausbringen“, indem ich draußen pinkelnd vorwärts gehe, anstatt mich an einen Baum oder in eine Ecke zustellen.
Heute habe ich Geburtstag, ich werde fünf Jahre alt. Der Georg geht mit mir auf „Betteltour“. Überall erzählt er mit Erfolg, dass ich heute Geburtstag habe. Der Gärtner schenkt mir einen Blumentopf mit einer Pantoffelblume, die Köchin füllt aus einer großen Schublade Plätzchen in eine Tüte, in der zuvor Tee war. Alle guten Gaben drapiere ich um meinen Frühstücksteller, und die Dame, die mir gegenüber sitzt, fragt die Tante Ruth, ob der Kleine wirklich Tee geschenkt bekommen habe. Natürlich nicht, dumme Frage.
Zwei Jahre später machen wir vier Neumärkers hier Ferien. Es ist eine einzige Katastrophe. Wir Jungens verstehen uns mit unserer Mutter nicht. So bitte ich unsere Oma, die mit Bekannten zu Besuch kam, unter Tränen, mich mit nach Waldbröl zu nehmen, was sie ablehnt. Für lange Zeit war dies das letzte Mal, dass die Mutti mit allen drei Kindern zusammen verreist ist.
Bunte Pillen
Eigentlich ist es Doros Kinderbettchen, das im Schlafzimmer der Großeltern steht.