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Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
Читать онлайн.Название Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783746750194
Автор произведения Hans Christian Andersen
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Was wollen wir nun diese Nacht vornehmen?« fragte Hjalmar.
»Ja, ich weiß nicht, ob Du diese Nacht wieder Lust hast, zur Hochzeit zu gehen; es ist eine andere Art, als die gestrige war. Deiner Schwester große Puppe, die, welche wie ein Mann aussieht und Hermann genannt wird, will sich mit der Puppe Bertha verheirathen. Es ist obendrein der Puppe Geburtstag, und deshalb werden sie sehr viele Geschenke bekommen!«
»Ja, das kenne ich schon,« sagte Hjalmar. »Immer, wenn die Puppen neue Kleider nöthig haben, läßt meine Schwester sie ihren Geburtstag feiern oder Hochzeit halten; das ist sicher schon hundert Mal geschehen!«
»Ja, aber in dieser Nacht ist es die hundertunderste Hochzeit, und wenn Hundertundeins aus ist, dann ist Alles vorbei! Deshalb wird diese so beispiellos schön. Sieh nur einmal!«
Und Hjalmar sah nach dem Tische. Da stand das kleine Papphaus mit Licht in den Fenstern, und draußen davor präsentirten alle Zinnsoldaten das Gewehr. Das Brautpaar saß gedankenvoll, wozu es wohl Ursache hatte, auf dein Fußboden, und lehnte sich gegen das Tischbein. Aber Ole Luk-Oie, in der Großmutter schwarzen Rock gekleidet, traute sie. Als die Trauung vorbei war, stimmten alle Möbeln in der Stube folgenden schönen Gesang an, welcher von dem Bleistift geschrieben war; er ging nach der Melodie des Zapfenstreiches:
Das Lied ertöne wie der Wind;
Dem Brautpaar hoch! das sich verbind't:
Sie prangen Beide steif und blind,
Da sie von Handschuhleder sind!
:,: Hurrah, Hurrah! ob taub und blind,
Wir singen es in Wetter und Wind!«
Und nun bekamen sie Geschenke, aber sie hatten sich alle Speisewaaren verbeten, denn sie hatten an ihrer Liebe genug.
»Wollen wir nun eine Sommerwohnung beziehen oder auf Reisen gehen?« fragte der Bräutigam. Und da wurde die Schwalbe, die viel gereist war, und die alte Hofhenne, welche fünfmal Küchlein ausgebrütet hatte, zu Rathe gezogen. Die Schwalbe erzählte von den herrlichen warmen Ländern, wo die Weintrauben so groß und schwer hingen, wo die Luft so mild sei und die Berge Farben hätten, wie man sie hier nicht an ihnen kenne!
»Aber unsern Braunkohl haben sie doch nicht!« sagte die Henne. »Ich war einen Sommer lang mit allen meinen Küchlein auf dem Lande; da war eine Sandgrube, in der wir umhergehen und kratzen konnten; und dann hatten wir Zutritt zu einem Garten mit Braunkohl! O, wie herrlich war der! Ich kann mir nichts Schöneres denken.«
»Aber der eine Kohlstrunk sieht ebenso aus, wie der andere,« sagte die Schwalbe; »und dann ist hier gar oft schlechtes Wetter.«
»Ja, daran ist man gewöhnt!« sagte die Henne.
»Aber hier ist es kalt, und es friert!«
»Das ist gut für den Kohl!« sagte die Henne. »Uebrigens können wir es auch warm haben! Hatten wir nicht vor vier Jahren einen Sommer, der fünf Wochen lang währte? es war hier so heiß, man konnte nicht athmen! Und dann haben wir nicht alle die giftigen Thiere die sie dort haben! Und wir sind von Räubern frei: Der ist ein Bösewicht, der nicht findet, daß unser Land das schönste ist! Er verdient wahrlich nicht, hier zu sein!« Und dann weinte die Henne und fuhr fort: »Ich bin auch gereist! Ich bin in einer Bütte über zwölf Meilen gefahren! Es ist durchaus kein Vergnügen beim Reisen!«
»Ja, die Henne ist eine vernünftige Frau!« sagte die Puppe Bertha. »Ich halte auch nichts davon, Berge zu bereisen, denn das geht nur hinauf und dann wieder herunter! Nein, wir wollen hinaus vor's Thor in die Sandgrube ziehen und im Kohlgarten umherspazieren!«
Und dabei blieb es.
Sonnabend.
»Bekomme ich nun Geschichten zu hören?« fragte der kleine Hjalmar, sobald Ole Luk-Oie ihn in den Schlaf gebracht hatte.
»Diesen Abend haben wir nicht Zeit dazu,« sagte Ole Luk-Oie und spannte seinen schönen Regenschirm über ihm auf. »Betrachte nur diese Chinesen!« Und der Regenschirm sah aus, wie eine große chinesische Schale mit blauen Bäumen und spitzen Brücken und mit kleinen Chinesen darauf, die dastanden und mit dem Kopfe nickten. »Wir müssen die ganze Welt zu morgen schön aufgeputzt haben,« sagte Ole Luk-Oie; »es ist ja dann ein Feiertag, es ist Sonntag. Ich will nach den Kirchenthürmen hin, um zu sehen, ob die kleinen Kirchenkobolde die Glocken poliren, damit sie hübsch klingen! ich will hinaus auf das Feld und sehen, ob die Winde den Staub von Gras und Blättern blasen; und was die größte Arbeit ist, ich will alle Sterne herunter holen, um sie zu poliren. Ich nehme sie in meine Schürze; aber erst muß ein jeder numerirt werden, und die Löcher, worin sie da oben sitzen, müssen auch numerirt werden, damit sie wieder auf den rechten Fleck kommen, sonst würden sie nicht festsitzen, und wir bekämen zu viele Sternschnuppen, indem der eine nach dem andern herunterpurzeln würde!«
»Hören Sie, wissen Sie was, Herr Ole Luk-Oie?« sagte ein altes Portrait, welches an der Wand hing, wo Hjalmar schlief, »ich bin Hjalmar's Urgroßvater, ich danke Ihnen, daß Sie dem Knaben Geschichten erzählen, aber Sie müssen seine Begriffe nicht verwirren. Die Sterne können nicht heruntergenommen werden! Die Sterne sind Weltkugeln, ebenso wie unsere Erde, und gerade das ist das Gute an ihnen.«
»Ich danke Dir, Du alter Großvater!« sagte Ole Luk-Oie; »ich danke Dir! Du bist ja das Haupt der Familie; Du bist das Urhaupt: aber ich bin doch älter als Du! Ich bin ein alter Heide, Römer und Griechen nannten mich den Traumgott! Ich bin in die vornehmsten Häuser gekommen und komme noch dahin! Ich weiß sowohl mit Geringen, wie mit Großen umzugehen! Nun kannst Du erzählen.« – Und da ging Ole Luk-Oie und nahm seinen Regenschirm mit.
»Nun, nun! Man darf seine Meinung wohl gar nicht mehr sagen!« brummte das alte Portrait.
Da erwachte Hjalmar.
Sonntag.
»Guten Abend!« sagte Ole Luk-Oie, und Hjalmar nickte und sprang dann hin und kehrte das Portrait des Urgroßvaters gegen die Wand um, damit es nicht, wie gestern, mit hineinsprechen möchte.
»Nun mußt Du mir Geschichten erzählen: von den fünf grünen Erbsen, die in einer Schote wohnten; von dem Hahnenfuße, der dem Hühnerfuße den Hof machte, und von der Stopfnadel, die so vornehm that, daß sie sich einbildete, eine Nähnadel zu sein!«
»Man kann auch des Guten zu viel bekommen!« sagte Ole Luk-Oie. »Du weißt doch wohl, daß ich Dir am liebsten Etwas zeige! Ich will Dir meinen Bruder zeigen. Er heißt auch Ole Luk-Oie, aber er kommt zu Niemand öfter, als einmal, und zu wem er kommt, den nimmt er mit auf sein Pferd und erzählt ihm Geschichten. Er kennt nur zwei; die eine ist so außerordentlich schön, daß sie Niemand in der Welt sich denken kann, und die andere ist so häßlich und gräßlich – es ist gar nicht zu beschreiben!« Dann hob Ole Luk-Oie den kleinen Hjalmar zum Fenster hinauf und sagte: »Da wirst Du meinen Bruder sehen, den andern Ole Luk-Oie! Sie nennen ihn den Tod! Siehst Du, er sieht nicht so schlimm aus, wie in den Bilderbüchern, wo er ein Knochengerippe ist! Nein, das ist Silberstickerei, die er auf dem Kleide hat, das ist die schönste Husaren-Uniform; ein Mantel von schwarzem Sammt fliegt hinten über das Pferd! Sieh, wie er in Galopp reitet.«
Und Hjalmar sah, wie dieser Ole Luk-Oie davonritt und sowohl junge, wie alte Leute auf sein Pferd nahm. Einige setzte er vorn, Andere hinten auf, aber immer fragte er erst: »Wie steht es mit dem Censurbuche?« – »Gut!« sagten sie allesammt. »Ja, laßt sie mich selbst sehen!« sagte er; und dann mußte ihm Jeder das Buch zeigen, und alle Die, welche »Sehr gut« und »Ausgezeichnet« hatten, setzte er vorn auf das Pferd und bekamen die herrliche Geschichte. Die aber, welche »Ziemlich gut« und »Mittelmäßig« hatten, mußten hinten auf, und bekamen die gräßliche Geschichte zu hören; sie zitterten und weinten, sie wollten vom Pferde springen, konnten