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hatte ganz fest geglaubt, daß der Junge sofort anbeißen würde, wenn er ihm einen solchen Köder auswarf. Statt dessen aber antwortete Niels sehr abweisend, daß er wisse, er könne wieder Mensch werden, wenn er den weißen Gänserich erst glücklich nach Lappland hinauf und dann nach Schoonen zurückbringen könne.

      »Du weißt, es ist keine Kleinigkeit, einen Gänserich glücklich durch das Land zu bringen,« sagte Bataki. »Es könnte nicht schaden, wenn du noch einen anderen Ausweg wüßtest, für den Fall, daß dir dies mißlingen sollte. Machst du dir aber nichts daraus, es zu wissen, so werde ich schon meinen Mund halten.« Und dann antwortete der Junge, er habe nichts dagegen, daß ihm Bataki das Geheimnis erzähle.

      »Das will ich auch tun,« sagte Bataki, »aber erst im rechten Augenblick. Setz' dich auf meinen Rücken und gehe mit mir auf eine Reise, dann wollen wir sehen, ob sich nicht eine passende Gelegenheit bietet!« Da wurde der Junge wieder bedenklich, denn er wußte nie, wie er mit Bataki dran war. »Du wagst wohl nicht, dich mir anzuvertrauen,« sagte der Rabe. Niels konnte es aber nicht ertragen zu hören, daß es irgend etwas geben sollte, wovor er bange war, und im nächsten Augenblick saß er auf dem Rücken des Raben.

      Dann flog der Rabe mit ihm nach Upsala. Auf einem Dach setzte er ihn ab, bat ihn, sich umzusehen und fragte ihn dann, was er wohl glaube, wer in dieser Stadt regiere.

      Der Junge sah über die Stadt hinaus. Sie war ziemlich groß und lag entzückend mitten in einer großen, gut bebauten Ebene. Da waren viele Häuser, die ansehnlich und vornehm aussahen, und oben auf einem Hügel lag ein stattlich gebautes Schloß mit zwei schweren Türmen.

      »Da wohnen vielleicht der König und seine Mannen?« fragte er.

      »Das ist gar nicht übel erraten,« antwortete der Rabe. »In alten Zeiten hat der König hier seinen Sitz gehabt. Aber nun ist es vorbei mit der Herrlichkeit.«

      Der Junge sah sich noch einmal um, und da bemerkte er vor allen Dingen den großen Dom, der in der Abendsonne dalag mit seinen drei hohen, glitzernden Türmen, seinen stattlichen Portalen und den reich geschmückten Mauern. »Vielleicht wohnt hier ein Bischof mit seinen Geistlichen?« fragte er.

      »Das ist gar nicht übel erraten,« sagte Bataki. »Hier haben einstmals Erzbischöfe gewohnt, die so mächtig waren wie Könige, und noch heutigen Tages wohnt hier ein Erzbischof, aber der regiert hier jetzt nicht.«

      »Dann weiß ich nicht, was ich raten soll,« sagte der Junge.

      »Die Gelehrsamkeit wohnt und regiert hier in der Stadt,« sagte der Rabe, »und die großen Gebäude, die du überall siehst, sind ihr und ihren Leuten zu Ehren errichtet.«

      Das wollte Niels kaum glauben. »Komm du nur mit, dann wirst du schon sehen!« sagte der Rabe und sie flogen hin und besahen die großen Häuser. An verschiedenen Stellen standen die Fenster offen. Der Junge konnte hier und da hineingucken, und er sah, daß der Rabe recht hatte.

      Bataki zeigte ihm die große Bibliothek, die vom Keller bis zum Boden voller Bücher war. Er führte ihn nach dem stolzen Universitätsgebäude und zeigte ihm die prächtigen Vorlesungssäle. Er flog an dem alten Gebäude vorüber, das Gustavianum heißt, und durch die Fenster sah der Junge ausgestopfte Tiere. Sie flogen über die großen Treibhäuser mit den vielen fremdländischen Pflanzen, und sie guckten auf das Observatorium hinab, wo das große Fernrohr zum Himmel hinauf gerichtet stand.

      Sie schwebten auch an vielen Fenstern vorüber und sahen alte Herren mit einer Brille auf der Nase. Die saßen und schrieben oder lasen in Zimmern, deren Wände ganz mit Büchern bedeckt waren, und sie flogen an Mansardenstübchen vorüber, wo die Studenten, so lang sie waren, auf ihren Sofas lagen und über dicken Büchern schwitzten.

      Schließlich ließ sich der Rabe auf einem Dach nieder. »Kannst du nun sehen, daß das, was ich sagte, wahr ist? Die Gelehrsamkeit herrscht hier in der Stadt!« Und der Junge mußte einräumen, daß er recht hatte. »Wäre ich nicht ein Rabe,« fuhr Bataki fort, »sondern ein Mensch, so wie du, so würde ich mich hier niederlassen. Ich würde tagaus, tagein in einer solchen Stube voller Bücher sitzen und alles lernen, was darin steht. Hättest du nicht auch Lust dazu?« – »Nein, ich glaube, ich möchte lieber mit den Wildgänsen reisen,« antwortete der Junge. – »Möchtest du nicht einer von denen werden, die Krankheiten heilen können?« fragte der Rabe. – »Ach ja, vielleicht.« – »Möchtest du nicht einer von denen werden, die alles wissen, was sich in der Welt zugetragen hat, die alle Sprachen sprechen und sagen können, was für Bahnen Sonne und Mond und Sterne am Himmel beschreiben?« sagte der Rabe. – »Freilich, das könnte ja ganz erbaulich sein.« – »Hättest du nicht Lust, den Unterschied von Gut und Böse, Recht und Unrecht kennen zu lernen?« – »Das könnte ja ganz nützlich sein,« sagte der Junge, »das habe ich oft bemerkt.« – »Und hättest du nicht Lust, zu studieren und Geistlicher zu werden und daheim in der Kirche zu predigen?« – »Vater und Mutter würden sich schrecklich freuen, wenn ich es soweit brächte,« antwortete der Junge.

      Auf die Weise machte der Rabe Niels begreiflich, daß die Menschen, die in Upsala wohnen und studieren konnten, glücklich seien, aber bisher hatte Däumling noch nicht gewünscht, einer von ihnen zu sein.

      Dann traf es sich aber, daß das große Fest zu Ehren des Frühlings, das alljährlich in Upsala gefeiert wurde, gerade an diesem Abend stattfand. Es hatte eigentlich am ersten Mai stattfinden sollen, aber da goß es in Strömen vom Himmel herab, und das Fest ward auf einen anderen Tag verschoben.

      Und so ging es zu, daß Niels Holgersen die Studenten zu sehen bekam, als sie nach dem Botanischen Garten hinauszogen, wo das Fest gefeiert werden sollte. Sie kamen in einem großen, breiten Zug daher mit weißen Mützen auf dem Kopf und die ganze Straße war wie ein dunkler Fluß voll weißer Wasserrosen. Vor dem Zuge her wurden weiße, goldgestickte Fahnen getragen, und während des ganzen Marsches sangen sie Frühlingslieder. Niels hatte die Empfindung, als sängen sie nicht selbst, als begleite der Gesang sie, über ihren Köpfen hinschwebend. Ihm war es, als sängen nicht die Studenten zu Ehren des Frühlings, sondern als sitze der Frühling irgendwo verborgen und singe den Studenten etwas vor. Er hatte nie eine Ahnung davon gehabt, daß Menschengesang so klingen könne. Es war wie ein Sausen in Tannenwipfeln, wie Klang von Stahl, wie der Gesang wilder Schwäne am Strande.

      Als die Studenten in den Garten kamen, wo die Rasenplätze mit dem ersten, feinen, hellgrünen Gras bedeckt waren, und die Blätter der Bäume im Begriff standen, die Knospen zu sprengen, stellten sie sich vor einer Rednertribüne auf, die ein alter Mann bestieg, um eine Ansprache an sie zu halten.

      Die Rednertribüne war auf der Treppe vor den großen Treibhäusern errichtet, und der Rabe setzte den Jungen auf das Dach des Treibhauses. Da saß er in guter Ruhe und sah und hörte. Der alte Mann auf der Rednertribüne sagte, das beste im Leben sei, jung zu sein und seine Jugendjahre in Upsala zu verbringen. Er sprach von der guten, friedlichen Arbeit bei den Büchern und der reichen, lichten Jugendfreude, die nirgends so genossen werden könne wie in dem großen Kameradenkreis. Das mache die Arbeit so vergnüglich, ließe die Sorgen so leicht vergessen, mache die Hoffnung so licht.

      Der Junge saß da und sah auf die Studenten herab, die in einem Halbkreis um die Rednertribüne standen, und ihm ging das Verständnis dafür auf, daß es nichts Schöneres gebe, als zu diesem Kreis zu gehören. Das war ein Glück und eine große Ehre. Jeder einzelne wurde zu etwas mehr, als er sonst gewesen sein würde, wenn er zu einer solchen Schar gehörte.

      Nach der Rede wurde wieder gesungen, und auf den Gesang folgten von neuem Reden.

      Der Junge hatte nie eine Ahnung oder einen Begriff davon gehabt, daß man Worte so zusammensetzen konnte, daß sie Macht erhielten, zu rühren und erfreuen und begeistern, so wie diese.

      Niels hatte hauptsächlich die Studenten angesehen, aber er bemerkte doch, daß sie nicht die einzigen im Garten waren. Da waren auch junge Mädchen in hellen Kleidern und feinen Frühlingshüten, sowie viele andere Leute. Aber es erging ihnen wie dem Jungen, es schien, als seien sie nur gekommen, um die Studenten zu sehen.

      Hin und wieder entstand eine Pause zwischen den Reden und dem Gesang, und da zerstreute sich die Schar über den ganzen Garten. Bald aber stand ein neuer Redner auf der Tribüne,

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