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Mittelgang auf den Hauptaltar zu. Ganz zuletzt kam der Bischof, und an seiner Seite befand sich Raniero in demselben Mantel, den er auf der ganzen Pilgerfahrt getragen hatte.

      Als Raniero jedoch über die Kirchenschwelle trat, erhob sich ein Greis und schritt ihm entgegen. Es war Oddo, der Vater jenes armen Gesellen aus Ranieros Werkstatt, der sich um seinetwillen erhängt hatte.

      Als dieser Mann vor dem Bischof und vor Raniero stand, neigte er sich vor ihnen beiden und sprach mit so erhobener Stimme, daß alle in der Kirche es vernehmen konnten: »Es ist ein herrlich Ding für Florenz, daß Raniero mit heiligem Feuer von Jerusalem gekommen ist. Dergleichen ist niemals zuvor berichtet oder vernommen worden. Vielleicht könnten deshalb auch manche aufstehen und sagen, daß es nicht möglich sei. Darum bitte ich, der ganzen Gemeinde kundzutun, welche Beweise und Zeugen Raniero mitgebracht hat, die es glaubhaft machen können, daß dieses Feuer in Wahrheit zu Jerusalem entzündet worden ist.«

      Da Raniero diese Worte vernahm, sprach er: »Nun helfe mir Gott! Wie könnte ich wohl Zeugen beibringen? Ich habe die Pilgerfahrt allein unternommen. Da müßten Wüsten und Einöden kommen, um für mich Zeugnis abzulegen.«

      »Raniero ist ein ehrenfester Ritter,« sprach der Bischof, »und wir glauben ihm auf sein Wort.«

      »Raniero konnte wohl selber vermuten, daß hierüber Zweifel entstehen würden,« entgegnete Oddo. »Er wird daher auch nicht ganz allein geritten sein. Da werden ja seine jungen Knappen für ihn zeugen können.«

      Da eilte Francesca degli Uberti aus der Volksmenge auf ihn zu und rief: »Wozu bedürfen wir der Zeugen? Alle Frauen von Florenz wollen einen Eid ablegen, daß Raniero die Wahrheit spricht.«

      Raniero lächelte und sein Antlitz strahlte für einen Augenblick. Aber dann wandte er seine Blicke und seine Gedanken wieder der Lichtflamme zu.

      Es entstand nun ein großer Tumult in der Kirche. Einige sagten, Raniero dürfe die Kerzen auf dem Altar nicht entzünden, ehe seine Sache erwiesen sei. Zu diesen Widersachern gesellten sich viele seiner ehemaligen Feinde.

      Da erhob sich Jacopo degli Uberti und sprach zugunsten Ranieros:

      »Ich denke, hier wissen wohl alle, daß nicht allzu große Freundschaft zwischen mir und meinem Eidam geherrscht hat, jetzt aber wollen wir – sowohl ich als auch meine Söhne – uns für ihn verbürgen. Wir glauben ihm, daß er diese Großtat vollbracht hat, und wir begreifen, daß jemand, der es vermocht hat, ein solches Vorhaben bis zum Ende durchzuführen, ein kluger, bedächtiger und edelgesinnter Mann sein muß. Wir werden ihn demnach mit Freuden in unserer Mitte aufnehmen.«

      Aber Oddo und viele andere waren nicht gesonnen, Raniero das heißerstrebte Glück zu vergönnen. Sie sammelten sich zu einem dichten Haufen, und es war leicht zu erkennen, daß sie ihre Forderung nicht aufgeben würden.

      Raniero begriff, daß sie, falls nun ein Kampf entstände, vor allem seine Lichtflamme gefährden würden. Während er die Augen beständig auf seine Widersacher geheftet hielt, hob er die Kerze so hoch empor, wie er es nur vermochte.

      Er sah todesmatt und verzweifelt aus. Man merkte ihm an, daß er doch nur eine Niederlage erwartete, obwohl er möglichst auszuharren gedachte. Was konnte es ihm nun frommen, wenn er die Flamme entzünden durfte? Oddos Worte hatten ihm den Todesstreich versetzt. Wenn der Zweifel einmal erweckt war, so würde er sich auch verbreiten und verstärken. Ihm war es, als habe Oddo bereits für immer seine Lichtflamme ausgelöscht.

      Ein kleiner Vogel flatterte durch die großen offenen Portale in die Kirche hinein. Er flog just auf Ranieros Kerze zu, der sie nicht schnell genug zurückziehen konnte. Der Vogel stieß dagegen und verlöschte die Flamme.

      Ranieros Arm sank herab, und Tränen traten in seine Augen. Aber im ersten Augenblick empfand er dennoch eine gewisse Erleichterung. Es war besser, als daß Menschen diese Flamme vernichtet hätten.

      Der kleine Vogel setzte seinen Flug innerhalb der Kirche fort, er flatterte verwirrt hin und her, wie Vögel zu tun pflegen, wenn sie in einen geschlossenen Raum geraten.

      Plötzlich durchbrauste ein lauter Ruf die ganze Kirche: »Der Vogel brennt! Die heilige Lichtflamme hat seine Flügel entzündet!«

      Der kleine Vogel piepste ängstlich. Er flog wenige Augenblicke wie eine flatternde Flamme unter dem hohen Chorgewölbe umher. Dann sank er schnell herab und fiel tot auf dem Altar der Madonna nieder.

      Aber in demselben Augenblick stand Raniero vor dem Altar. Er hatte sich einen Weg durch die Menge der Kirchenbesucher gebahnt, nichts hatte ihn aufhalten können. Und an den Flammen, die des Vogels Schwingen verzehrten, entzündete er die Kerzen vor dem Altar der Madonna.

      Da erhob der Bischof seinen Stab und rief: »Gott wollte es! Gott hat für ihn gezeugt!«

      Und alles Volk in der Kirche, sowohl seine Freunde als auch seine Widersacher, vergaßen ihre Zweifel und ihr Staunen. Von diesem Gotteswunder begeistert, riefen sie: »Gott wollte es! Gott hat für ihn gezeugt!«

      Von Raniero bleibt nur noch zu berichten, daß er fortan sein Leben lang viel Glück und Ansehen genoß. Er war klug, bedächtig und barmherzig. Aber das Volk in Florenz nannte ihn allzeit Pazzo di Raniero, zur Erinnerung daran, daß man ihn für verrückt gehalten hatte. Und dies wurde für ihn ein Ehrentitel. Er wurde der Stammvater eines Adelsgeschlechts, das den Namen Pazzo annahm und sich noch bis auf den heutigen Tag also nennt.

      Des weiteren wäre noch zu erwähnen, daß es in Florenz Sitte wurde, alljährlich am Karfreitag ein Fest zu feiern, das der Erinnerung an Ranieros Heimkehr mit dem heiligen Feuer geweiht ist, und bei dem man stets einen künstlichen Vogel brennend durch den Dom fliegen läßt. Auch in diesem Jahr wird man das Fest sicherlich auf diese Weise gefeiert haben, falls nicht neuerdings eine Aenderung eingetreten ist.

      Aber ob es wahr ist – wie viele annehmen –, daß die Träger heiligen Feuers, die in Florenz gelebt und diese Stadt zu einer der herrlichsten auf Erden gemacht haben, sich Raniero zum Vorbild wählten und dadurch den Mut fanden, sich aufzuopfern, zu leiden und auszuharren, darüber wollen wir schweigen.

      Denn welche Wirkungen von jenem Licht hervorgebracht worden sind, das in dunklen Zeiten von Jerusalem ausgegangen ist, das läßt sich weder messen noch zählen.

      Auf der Grimö, einer kleinen Insel der Schären an der Westküste Schwedens, wohnten vor Jahren zwei Ehegatten, die einander sehr unähnlich waren.

      Der Mann, ungefähr fünfzehn Jahre älter als seine Frau, war von jeher ein unansehnlicher, schwerfälliger und saumseliger Mensch gewesen, der auf seine alten Tage natürlich auch nicht anders geworden war. Seine Frau dagegen, deren hübsches Gesichtchen sich außerordentlich gut erhalten hatte, sah jetzt mit fast fünfzig Jahren noch ebensogut aus wie mit zwanzig.

      Diese beiden Ehegatten saßen an einem schönen Sonntagabend auf der großen Steinplatte, die gerade vor ihrem Haus aus dem Erdreich herausragte, und pflegten in aller Ruhe Zwiesprache miteinander. Der Mann, der sich gerne selber reden hörte und seine Worte wohl zu setzen verstand, verbreitete sich grade über einen Artikel, den er soeben in einer Zeitung gelesen hatte. Seine Frau hörte mit nicht allzugroßer Aufmerksamkeit zu.

      »Ach dieser Joel, dieser Joel!« dachte sie. »Wie er nur aus so einem Zeitungsblatt so viel Weisheit schöpfen kann! Er hat einen merkwürdigen Verstand. Nur schade, daß er nicht fähig ist, für sich selbst und auch für mich Kapital daraus zu schlagen, sondern immer nur für andere.«

      Während sie also dachte, glitt ihr Blick über das Wohnhaus hin, das zwar ziemlich groß, aber überaus verfallen war; die Familie konnte nicht mehr darin wohnen, sondern mußte sich mit einem kleinen Seitenanbau begnügen, den die früheren Besitzer, die alle Schiffskapitäne gewesen waren, als Küche und Vorratskammer benutzt hatten.

      »Wenn Joel wenigstens Lust zur See gehabt hätte und Schiffskapitän geworden wäre, wie sein Vater und Großvater!« fuhr die Frau in ihren Betrachtungen fort. »Dann hätte er

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