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vor der Schule stehen und warteten. Als der Redner kam, gingen sie Hand in Hand feierlich auf ihn zu und baten, mit ihm reden zu dürfen.

      Der Redner sah die beiden ja ein wenig verwundert an, die da mit runden und rotwangigen Kindergesichtern standen und mit einem Ernst redeten, der dreimal so alten Leuten angestanden haben würde. Er hörte sie aber sehr freundlich an.

      Die Kinder erzählten, was sie daheim in ihrem Hause erlebt hatten, und sie fragten nun den Redner, ob er glaube, daß ihre Mutter und die Geschwister an der Krankheit gestorben seien, die er geschildert hatte. Es könne ja kaum eine andere Krankheit gewesen sein.

      Aber wenn nun ihre Mutter und ihr Vater das gewußt hätten, was die Kinder heute abend gehört hatten, so hätten sie sich ja in acht nehmen können. Falls sie die Kleider der kranken Frau verbrannt und das Haus gründlich gescheuert und die Betten nicht mehr benutzt hätten, würden dann vielleicht noch alle die am Leben sein, um die die Kinder jetzt trauerten?

      Der Redner sagte, eine bestimmte Antwort könne niemand darauf geben, aber es wäre höchstwahrscheinlich, daß keins von ihren Angehörigen hätte zu sterben brauchen, wenn sie es verstanden hätten, sich gegen die Krankheit zu schützen.

      Nun besannen sich die Kinder ein wenig auf die nächste Frage, aber sie rührten sich nicht vom Fleck, denn das, worauf sie jetzt eine Antwort haben wollten, war das Allerwichtigste. War es denn nicht wahr, daß das Zigeunerweib die Krankheit über sie gebracht hatte, weil sie der geholfen hatten, auf die sie böse war? War es nicht etwas Besonderes, das niemand als nur sie getroffen hatte? – Nein, das war nicht der Fall, dessen konnte der Redner sie getrost versichern. Kein Mensch besaß die Macht, auf solche Weise Krankheit über einen andern zu bringen. Und sie wüßten ja doch, daß die Krankheit im ganzen Lande verbreitet sei. Sie habe ihren Besuch in fast allen Häusern abgestattet, wenn sie auch nicht überall so viele hingerafft habe wie bei ihnen.

      Und dann bedankten sich die Kinder und gingen nach Hause. An diesem Abend sprachen sie noch lange miteinander.

      Am nächsten Tage gingen sie hin und kündigten ihre Stelle. Sie könnten in diesem Jahr die Gänse nicht hüten, sie müßten anderswo hin. Wohin sie denn wollten? – Sie wollten sich aufmachen und ihren Vater suchen. Sie müßten ihm sagen, daß ihre Mutter und die Geschwister an einer gewöhnlichen Krankheit gestorben seien, und daß es nichts sei, was von bösen Menschen über sie gebracht worden war. Sie wären so froh darüber, daß sie das erfahren hatten. Und nun fanden sie, es sei ihre Pflicht, es ihrem Vater zu erzählen, denn er grüble gewiß noch heutigen Tages darüber nach.

      Zuerst gingen die Kinder nach ihrer alten Heimat auf der Heide bei Sunnerbo, und zu ihrer großen Verwunderung fanden sie das Haus in hellen Flammen stehen.

      Dann gingen sie nach dem Pfarrhaus, und dort hörten sie, daß ein Mann, der bei der Eisenbahn angestellt war, ihren Vater bei Malmberget hoch oben in Lappland gesehen habe. Damals habe er in der Erzgrube gearbeitet, und das tue er vielleicht noch, aber ganz sicher sei es ja nicht. Als der Pfarrer hörte, daß die Kinder ausziehen wollten, um ihren Vater zu suchen, holte er eine Landkarte und zeigte ihnen, wie weit es bis Malmberget war, und riet ihnen von der Reise ab. Aber die Kinder sagten, es sei ganz notwendig, daß sie versuchten, ihren Vater zu finden. Er sei von Hause fortgegangen, weil er etwas glaubte, was nicht wahr sei. Nun müßten sie ihm sagen, daß er sich geirrt habe.

      Die Kinder hatten ein wenig Geld mit ihrem Handel verdient, das wollten sie jedoch nicht ausgeben, um Fahrkarten dafür zu kaufen, sondern sie entschlossen sich, den ganzen Weg zu Fuß zu gehen. Und das bereuten sie nicht. Sie hatten eine so wunderbar schöne Wanderung.

      Ehe sie noch aus Smaaland herausgekommen waren, gingen sie eines Tages in einen Bauernhof hinein, um etwas zu essen zu kaufen. Die Bäuerin war munter und redselig. Sie fragte die Kinder, wer sie seien und woher sie kämen, und die Kinder erzählten ihr ihre ganze Geschichte. »Aber nein! Aber nein!« sagte die Frau mehrmals, während sie erzählten. Dann tischte sie ihnen viel gutes Essen auf, und sie durften durchaus nichts dafür bezahlen. Als sie aufstanden, um sich zu bedanken und weiterzugehen, fragte die Bäuerin, ob sie nicht im nächsten Dorf bei ihrem Bruder einkehren wollten, und sie sagte ihnen, wie er hieß und wo er wohnte. Ja, das wollten die Kinder natürlich gern. »Ihr müßt von mir grüßen und erzählen, was ihr erlebt habt,« sagte die Bäuerin.

      Das taten die Kinder, und der Bruder nahm sie freundlich auf. Er fuhr sie nach einem Hof im nächsten Dorf, und auch dort ward ihnen eine gute Aufnahme zuteil. Jedesmal, wenn sie nun von einem Hof weggingen, hieß es immer: »Wenn ihr in diese oder jene Gegend kommt, so geht nur da oder dorthin und erzählt, was ihr erlebt habt.«

      Auf den Höfen, wohin die Kinder gewiesen wurden, war immer jemand brustkrank. Und ohne daß sie selbst es wußten, wanderten nun diese beiden Kinder durch das Land und belehrten die Leute darüber, was für eine gefährliche Krankheit es war, die sich in die Familien eingeschlichen hatte, und wie sie sie am besten bekämpfen konnten.

      In alter Zeit, als die Pest, die der schwarze Tod genannt wurde, das Land verheerte, sollen, wie man erzählt, ein Junge und ein Mädchen von einem Hof zum andern gegangen sein.

      Der Junge hatte einen Rechen in der Hand, und wenn er vor ein Haus kam und dort harkte, so bedeutete das, daß viele dadrinnen sterben würden, aber nicht alle, denn die Zähne eines Rechens stehen weit von einander und nehmen nicht alles mit. Das Mädchen hatte einen Besen in der Hand, und kam sie und kehrte vor einer Tür, so bedeutete dies, daß alle, die hinter der Tür wohnten, sterben müßten, denn der Besen ist ein Gerät, das reinen Tisch macht.

      War es nun nicht merkwürdig, daß in unsern Tagen zwei Kinder um einer schweren und gefährlichen Krankheit willen durch das Land ziehen mußten? Aber diese Kinder schreckten die Leute nicht mit Rechen und Besen; sie sagten im Gegenteil: »Ihr sollt euch nicht damit begnügen, nur den Hof zu harken und den Fußboden zu fegen. Ihr müßt auch den Schrubber und die Scheuerbürste und Seife gebrauchen. Wir müssen es rein vor unserer Tür und rein innerhalb derselben halten, und wir müssen selbst rein sein. Auf die Weise werden wir schließlich Herr über die Krankheit werden.«

      Der kleine Mads war tot. Das erschien allen denen, die ihn noch vor ein paar Stunden frisch und fröhlich gesehen hatten, unglaublich. Und doch war es so. Der kleine Mads war tot und sollte begraben werden.

      Der kleine Mads starb eines Morgens in der Frühe und niemand weiter als seine Schwester Aase war in der Stube und sah ihn sterben. »Hole niemand,« sagte der kleine Mads, als es zu Ende ging, und die Schwester tat, was er sagte. »Ich freue mich nur, daß ich nicht an der Krankheit sterbe, Aase,« sagte der kleine Mads. »Du nicht auch?« Und als Aase nichts erwiderte, fuhr er fort: »Ich finde, es macht gar nichts, daß ich sterbe, wenn ich nur nicht auf dieselbe Weise sterben muß, wie die Mutter und die Geschwister. Wäre das geschehen, so, glaube ich, würde es dir nie gelungen sein, den Vater zu überzeugen, daß nur eine gewöhnliche Krankheit sie hingerafft hat, aber du sollst sehen, jetzt wird es schon gehen.«

      Als alles vorüber war, saß Aase lange da und dachte darüber nach, was ihr Bruder, der kleine Mads, während er auf dieser Erde lebte, hatte durchmachen müssen. Es war ihr, als habe er alles Ungemach mit dem Mut eines Erwachsenen getragen. Sie dachte an seine letzten Worte. So tapfer war er immer gewesen. Und sie war sich ganz klar darüber, daß, wenn der kleine Mads nun in die Erde gesenkt werden würde, er mit denselben Ehren begraben werden müsse, wie ein erwachsener Mensch.

      Sie sah sehr wohl ein, daß es schwer werden würde, dies durchzusetzen, aber sie wollte es doch so gern. Sie mußte ihr Äußerstes für den kleinen Mads tun.

      Das Gänsemädchen Aase war zu jener Zeit hoch oben in Lappland bei dem großen Grubenfeld, das Malmberget genannt wird. Es war ein merkwürdiger Ort, aber es war vielleicht gerade gut für sie, so wie es war.

      Ehe sie soweit gelangt waren, hatten sie und der kleine Mads große, endlose Waldgegenden durchwandert.

      Mehrere Tage lang hatten sie weder Felder noch Höfe gesehen, nur kleine, elende Poststationen, bis sie auf einmal nach dem großen Dorf Gellivare gekommen waren. Es lag mit seiner Kirche und seinem Bahnhof, seinem Gerichtsgebäude,

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