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bis er seine endgültige Größe erreicht. Als Kaisertier hat er fünf Klauen und ist von gelber Farbe, ansonsten hat er nur vier Klauen, wie zum Beispiel in der Flagge Bhutans. Das Duo Drache und Phönix repräsentieren seit der Zeit der streitenden Reiche den Kaiser und die Kaiserin. Dem gebieterischen und beschützenden Drachen der Mythologie steht aber auch der unheilbringende Drache der chinesischen Volksmärchen gegenüber. So ist der Drache in China kein durchweg positives, sondern ein ambivalentes Wesen.

      Der Drache spielt eine große Rolle in der chinesischen Kunst und Kultur: Es gibt Skulpturen aus Granit, Holz oder Jade, Tuschezeichnungen, Lackarbeiten, Stickerei, Porzellan- und Keramikfiguren. Drachenmythen und Rituale sind schriftlich bereits im I-Ging-Buch aus dem 11. Jahrhundert v. Chr. überliefert, und die Frühlings- und Herbstannalen schildern Drachenzeremonien, die Regen herbeirufen sollten. Auf die Prä-Han-Zeit geht das Drachenbootfest in seiner heutigen Form zurück, Drachentänze und Prozessionen gehören auch zum chinesischen Neujahrsfest und zum Laternenfest. Das Feng Shui berücksichtigt den Drachen beim Häuserbau, Gartengestaltung und Landschaftsplanung, und die chinesische Medizin kennt Rezepte aus Drachenknochen, -zähnen oder Drachenspeichel; Ausgangsstoffe dafür sind zum Beispiel Fossilien oder Reptilienhäute.

      Der thailändische Mangkon, die Drachen in Tibet, Vietnam, Korea, Bhutan oder Japan haben chinesische Wurzeln, die sich mit lokalen Traditionen vermischt haben. Einige Elemente fernöstlicher Drachenkulte lassen daneben auch Parallelen mit den Nagas erkennen, den Schlangengottheiten der indischen Mythologie. So verfügen die Drachen aus japanischen und koreanischen Mythen oft über eine Fähigkeit zur Metamorphose: Sie können sich in Menschen verwandeln, und Menschen können als Drachen wiedergeboren werden. Die Hochachtung vor den Herrschern über das Wasser brachte es mit sich, dass der Tennō eine Abstammung vom Drachenkönig Ryūjin für sich in Anspruch nahm. Ebenso führten die koreanischen Könige ihre Ahnenreihe auf Drachengottheiten zurück. Eine besonders starke lokale Überlieferung hat das Drachenbild in Indonesien geprägt: hier ist das Fabelwesen im Gegensatz zu China weiblich und beschützt die Felder zur Erntezeit vor Mäusen. Über Kinderwiegen werden Drachenbilder aufgehängt, um dem Nachwuchs einen ruhigen Schlaf zu sichern.

      Amerika Mischwesen mit Schlangenanteilen sind auch den Mythologien Süd-, Mittel- und Nordamerikas nicht fremd. Am bekanntesten ist die Amphithere oder gefiederte Schlange, eine Erscheinungsform, die beispielsweise der mesoamerikanische Gott Quetzalcoatl annimmt, doch es gibt auch andere Typen. In Nord- und Südamerika ist die doppelköpfige Schlange verbreitet; neben den beiden Köpfen – an jedem Ende einer – trägt sie zuweilen auch in der Mitte einen dritten, menschlichen Kopf. Chile kannte die Fuchs-Schlange „guruvilu“, die Andenbewohner „amaro“, eine Mischung aus Schlange und einem katzenartigen Raubtier. Regengott Tlaloc konnte die Gestalt eines Mischwesens aus Schlange und Jaguar annehmen, und auch das Feuerelement ist im Schlangenkult Amerikas vertreten: Die Feuerschlange Xiuhcoatl war bei den Azteken für Dürre und Missernten verantwortlich. Detailuntersuchungen widmeten sich insbesondere den Göttern und Fabelwesen der Olmeken. Ein Mischwesen mit Anteilen von Kaiman, Igel, Jaguar, Mensch und Schlange findet sich in großer Zahl auf Steinmonumenten und Keramik, die beispielsweise in San Lorenzo Tenochtitlan, Las Bocas und Tlapacoya gefunden wurden. Eine Einordnung dieses Wesens in einen mythologischen Zusammenhang ist jedoch unmöglich, da Schriftzeugnisse fehlen. Die amerikanischen und die ostasiatischen Drachendarstellungen zeigen viele Ähnlichkeiten. Das Drachenmotiv diente daher auch als Argumentationshilfe für Versuche, transpazifische Beziehungen zwischen China und dem präkolumbianischen Amerika zu finden. Einen allgemein anerkannten Beweis dafür gibt es jedoch bis heute nicht.

      Islam Arabische Wörterbücher bezeichnen den Drachen als tinnīn (تنين) oder ṯuʿbān (ثعبان), die gängige persische Bezeichnung ist Aždahā (اژدها). Er ist im allgemeinen Land-, oft Höhlenbewohner, und er verkörpert wie der westliche Drache das Böse. Die Bilder von Drachen in der islamischen Kultur vereinen westliche und östliche Elemente zu einem eigenständigen Stil. In ihnen ist vorislamisch-persischer, indischer, griechischer, jüdischer und chinesischer Einfluss spürbar.

      In der mittelalterlichen arabischen Welt ist der Drache ein verbreitetes astronomisches und astrologisches Symbol. In Schlangengestalt erscheint er bereits im Kitab Suwar al-Kawakib ath-Thabita („Buch von der Gestalt der Fixsterne“, um 1000 n. Chr.), wo Al-Sufi das gleichnamige Sternbild illustriert. Auf die indischen Nagas geht die Vorstellung zurück, ein riesiger Drache lagere am Himmel, wo sein Kopf und Schwanz den oberen und unteren Knotenpunkt des Mondes bilden. Der Himmelsdrache wurde für Sonnen- und Mondfinsternisse sowie Kometen verantwortlich gemacht.

      Trotz der vorwiegend „westlichen“ Ausrichtung auf den Typ des unheilvollen Drachen zeigen islamische Bilder seit der mongolischen Expansion im 13. Jahrhundert unverkennbar chinesischen Einfluss. Der Drache, der Schwertgriffe, Bucheinbände, Teppiche und Porzellan verziert, ist eine lange, wellenförmige Kreatur mit Fühlern und Backenbart. Miniaturen in Manuskripten des 14. bis 17. Jahrhunderts aus Persien, Türkei und dem Mogulreich liefern zahlreiche Beispiele dieses Typs.

      In der islamischen Literatur überwiegt der traditionelle Drachenkampf. Viele Drachengeschichten überliefert Schāhnāme, das Buch der Könige, das um das Jahr 1000 entstand. Als Drachentöter treten mythische Helden und historische Persönlichkeiten auf: Der legendäre Held Rostam, Großkönig Bahram Gur oder Alexander der Große. Eine der Hauptfiguren des Schāhnāme ist der mythische Drachenkönig Zahhak oder Dhohhak, der vom Helden Firaidun nach tausendjähriger Herrschaft besiegt wird. Die persischen Geschichten wurzeln in Mythen der Veda- und Avesta-Zeit, haben aber eine starke historische Komponente. Sie beziehen sich auf den Kampf gegen Fremdherrschaft und zeitgenössische religiöse Auseinandersetzungen. Ein ganz anderer Typus des Drachen findet sich in den Qisas al-anbiyāʾ („Prophetenerzählungen“). Bei dem Propheten handelt es sich um Mose; die Bestie ist sein Stab. Wird der Stab auf den Boden geworfen, verwandelt er sich in einen Drachen und hilft dem Propheten im Kampf gegen allerlei Gegner. Das Untier ist in den Qisas eine furchterregende Hilfskraft auf der richtigen Seite.

      II-B. Drachen in der Moderne Drachen und Saurier Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts die neue Wissenschaft der Paläontologie die Saurier entdeckte, erhielt der Drachenmythos eine neue Facette. Christen erklärten sich die fossilen Funde als Überreste vorsintflutlicher Tiere, die auf der Arche keinen Platz gefunden hätten. Doch auch die tatsächliche Existenz der riesigen Ungeheuer, von denen die Bibel spricht, schien bewiesen. 1840 erschien The book of the great sea Dragons. Sein Autor, der Fossiliensammler Thomas Hawkins, setzte die biblischen Meeresdrachen mit dem Ichthyosaurus und dem Plesiosaurus gleich; das Vorbild für den geflügelten Drachen fand er im Pterodaktylus. Wenn aber die Saurier lange genug überlebt haben, um als Drachen Eingang in mythische Erzählungen zu finden, dann könnten sie in der Gegenwart immer noch existieren, so der folgerichtige Schluss. Die Suche nach rezenten Riesenechsen wurde im 19. und frühen 20. Jahrhundert zum ernsthaften Geschäft, beflügelt nicht zuletzt durch den großen Erfolg von Arthur Conan Doyles Roman The Lost World von 1912. Carl Hagenbeck ließ in Rhodesien nach einem riesigen Tier suchen, das seine Gewährsleute als „Halb Elefant, halb Drache“ schilderten, und das er als Brontosaurus zu identifizieren glaubte.

      Während die Paläontologie also dazu beitrug, den Drachenglauben zu festigen und in die Moderne zu übertragen, wirkte der alte Mythos auch in die umgekehrte Richtung. Die frühen Modelle und Illustrationen der Saurier, allen voran die populären Darstellungen des Briten Benjamin Waterhouse Hawkins, waren ebenso wie die heutigen auf Interpretationen der Funde angewiesen, und die traditionelle Vorstellung des Drachen ging in diese Deutungen ein. So soll Hawkins für seine Rekonstruktion eines Flugsauriers eigens den 1847 ausgegrabenen Pterodactylus giganteus ausgewählt haben, der mit einer Flügelweite von 4,90 Metern der Drachenvorstellung nahekam. Der damals bekanntere, bereits von Georges Cuvier beschriebene Pterodactylus war dagegen kaum größer als ein Spatz.

Megalosaurus-Modell im Londoner Crystal-Palace-Park (Benjamin Waterhouse Hawkins, 1854) Megalosaurus-Modell im Londoner Crystal-Palace-Park (Benjamin Waterhouse Hawkins, 1854) (Fotonachweis: Wikipedia, Foto steht unter der Lizenz Creative

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