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sie von ihrem Erkerplatz aus den Kiesweg zum Gartenausgang entlanggehen.

      »Balg!« sagte Frau Annemarie aus innerstem Herzen heraus. Mit dem Mädel würde man noch einen schweren Stand haben. Man hatte ihm eben zu viel Willen gelassen, es allzu sehr verzogen. Das war wohl meist das Los der Nesthäkchen. Dabei war es ein so gutes Kind, die Ursel. Annemarie lächelte über sich. Da nahm sie doch die Krabbe, die das wahrlich nicht verdient hatte, vor sich selbst schon wieder in Schutz.

      Die Sonne hatte sich wieder mal verkrochen. Dem April fiel es ein, plötzlich einen Wolkensack voll Schneeflocken auf die Erde auszustäuben. Tatsächlich, es schneite. Annemarie blickte besorgt in den Garten hinaus. Dort gab es allenthalben schon Augen und Blattknospen an Baum und Strauch. Ein Jammer, wenn das zugrunde ging.

      Nanu, kam da nicht Cäsar zurück? Dann war die Ursel auch nicht weit davon. Denn die beiden waren unzertrennlich. Als winziges Hundebaby hatten die Kinder Cäsar in einem Eierkörbchen aus seiner Heimat an der Waterkant nach Berlin transportiert. Sie hatten Onkel Klaus, bei dem sie stets die Ferien zubrachten, so lange in den Ohren gelegen, bis er ihnen eins von den sieben »süßen« braunen Geschöpfen, die so drollig umherkrabbelten, geschenkt hatte. Annemarie war zwar nicht begeistert davon. Seitdem Puck, der Gefährte ihrer Kindertage, das Zeitliche gesegnet, hatte sie ihr Herz nicht wieder an eine Hundeseele gehängt! Ein Hund machte Mühe und Kosten. Und überhaupt solch ein junges, unerzogenes Tier, das noch nicht mal stubenrein war. Annemaries Hausfrauenherz lehnte sich gegen das neue Familienmitglied energisch auf. Aber wenn Ursel was wollte, dann wollte sie es eben. Außerdem hatte sie einen guten Verbündeten an Hans, der für alles, was da kreucht und fleucht, besonderes Interesse hatte. Und wenn es noch dazu von der Waterkant stammte, war ihm die Sympathie von Hans gewiß. Auch Rudi ließ diesmal seine Annemarie im Stich; der treulose Mann begab sich auf die Seite der Gegenpartei. Ein Hund sei für die Kinder der beste Spielgefährte, meinte er, außerdem auch ein Schutz für das Haus, wenn er in der Stadt wäre. Da hatte aber Frau Annemarie lachen müssen. Dieses winzige Ding von einem Krabbelwesen, kaum größer als eine Hand, sollte ihr Schutz sein! Aber sie ward überstimmt, und selbst ihr Vorschlag, Cäsar so lange in Lüttgenheide zu lassen, bis Onkel Klaus ihm die ersten Regeln des Hundeanstands beigebracht hätte, fand kein Gehör. Die Kinder wollten Cäsar unter allen Umständen mitnehmen, und auch Klaus meinte, es sei besser, wenn der Hund nicht erst die Freiheiten eines Gutes kennen lerne, sondern so früh wie möglich zu der Erkenntnis käme, ein wohlerzogener Stubenhund werden zu müssen. Ach, hätte Frau Annemarie geahnt, was ihrer harrte, sie hätte sich mit all ihrer Energie der Aufnahme des vierbeinigen Hausgenossen entgegengesetzt. Keine ruhige Minute hatte sie mehr. Cäsar, der in der ersten Zeit bescheiden umhergekrochen, begann alsbald zu springen, und zwar in so wilden Sätzen, als müsse er sich dafür schadlos halten, daß man seine Freiheit in Stadtmauern gezwängt. Keine Vase, keine Statue war vor ihm sicher. Alles wankte und schwankte um Frau Annemarie. Ihren besten hellila Teppich, über den sie selbst am liebsten schwebte, benutzte Cäsar ungeniert für seine Wünsche. Da war keine Rouleauschnur, keine Sesselquaste und keine herabhängende Decke, die nicht nähere Bekanntschaft mit Cäsars scharfem Gebiss machte. Aber als er es eines Tages wagte, seine Zähne in Annemaries neuen Kostümrock zu graben, da trat Frau Annemarie mit düsterer Entschlossenheit vor ihren Mann. »Wähle zwischen ihm und mir«, forderte sie. Rudi hatte sie lachend in seine Arme genommen. Cäsar aber wurde aus den Wohnräumen verbannt. Der Vater und Hans bauten ihm eine Hundehütte hinter dem Hause. Und das war gut. Denn Cäsar, der winzige, handgroße Geselle wuchs in kurzem zu ungeahnter, erschreckender Größe, zu einem wahren Hundegoliath empor. Mit ihm wuchs sein Appetit. Jetzt war Annemarie wieder unglücklich über die Unmengen von Kartoffeln und Gemüse, die Cäsars Magen vertragen konnte. Ganz abgesehen davon, daß er den Kindern noch ihre Brote fortschnappte, und daß diese dann zu kurz kamen. Aus den Zimmern der Kinder war Cäsar nicht zu verbannen. Dort hatte er von Anfang an unbeschränkte Heimatsrechte. Ebenso in der Küche, wo er unter dem Herd seinen Stammplatz hatte. Die Hausfrau betrachtete er mit nie ganz schwindendem Mißtrauen, was diese bis auf den heutigen Tag in noch stärkerem Maße erwiderte.

      Auch jetzt sah Frau Annemarie von ihrem Erkerplatz aus dem durch das Schneetreiben nähertrabenden Cäsar mit wenig freundlichen Blicken entgegen. Daß es nur nicht Ursel einfiel, ihn mit ins Haus zu nehmen. Die Mädchen hatten heute bei der Wäsche keine Zeit, seine Schneetapfen nachzuwischen.

      Da tauchte auch bereits Ursel auf. Das Blondhaar schneeüberpudert wie ein Rokokodämchen. Und auch kapriziös wie ein solches. Denn als sie dem Auge der Mutter begegnete, zog sie ihre Ledermütze und grüßte damit schneidig wie ein junger Geck zu dem Fenster hinauf. Als ob nichts vorgefallen sei, betrat sie gleich darauf das Biedermeierzimmer, Cäsar wohlweislich diesmal draußen lassend.

      »Morjen. Da bin ich wieder. Das Wetter war zu wenig einladend zum Spazierengehen. Und der Halbfünf-Zug nach Berlin bereits heidi. Und außerdem – außerdem macht es mir auch kein Vergnügen, wenn ich mit dir böse bin.«

      »Ich glaube, die Sache ist wohl umgekehrt«, unterbrach sie die Mutter.

      »Das ist ja Jacke wie Hose – gehupft wie gesprungen – kommt alles auf eins heraus. Also, liebste Muzi, sei nicht länger verknurrt. Ich finde das höchst ungemütlich. Erzähle mir lieber, was du eigentlich von mir wolltest.«

      »Aha, also die Neugier hat dir keine Ruhe gelassen. Ich glaubte schon, es täte dir leid, daß du dich heute am Tage deines Schulabgangs so wenig erwachsen gezeigt hast.«

      »Tut es mir auch. Das heißt nur insofern, als ich meine kleine Muzi dadurch geärgert habe. Nun wollen wir aber das Kriegsbeil endgültig vergraben. Ja, Muzichen? Soll ich Vaters Zigaretten holen, daß wir eine Friedenspfeife miteinander rauchen können?«

      Ursel hatte es wieder mal erreicht. Die Mutter mußte lachen. Allen pädagogischen Einwänden zum Trotz – sie konnte sich nicht helfen ... Da hatte auch Ursel bereits ihre Mutter beim Wickel, ihren nassen Blondkopf zärtlich gegen deren Gesicht pressend. »Und dann küsst sie den Hans und es ist alles wieder gut«, sang sie mit heller Stimme. »Diesmal ist es aber die Ursel, und nicht der Hans. Also Muttichen!« Sie kauerte sich, wie sie es als Kind getan, auf das Fußkissen, mit ihren großen Blauaugen erwartungsvoll zur Mutter aufblickend.

      »Ihr seid schon eine Gesellschaft!« sagte diese bloß, aber verhaltene Mutterzärtlichkeit schwang in dem Tone mit.

      »Na ja, und weiter, Muzichen? Ich bin gespannt wie ein Regenschirm.«

      »Du brauchst gar nicht so erwartungsvoll zu sein, Ursel. Der Vater verlangt unbedingt, daß du zum Ersten als Banklehrling in die Dresdner – –« Weiter kam Frau Annemarie nicht. Ursel war so jäh aufgesprungen, daß das nicht mehr auf allzu festen Füßen stehende Nähtischchen ihrer Urgroßmutter, ob solchen jugendlichen Ungestüms, erschreckt zu wackeln begann.

      »Ausgeschließt! Und dazu tust du so geheimnisvoll? Dazu komme ich extra vom Bahnhof wieder zurück!« Es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre Ursel in Tränen grenzenloser Enttäuschung ausgebrochen.

      »Nun setze dich mal wieder her zu mir, mein Mädel, und laß uns die Angelegenheit in aller Ruhe miteinander besprechen.« Zug auf Zug erkannte Annemarie sich selbst in ihrem temperamentvollen Nesthäkchen wieder. Und aus diesem Verständnis heraus vermochte sie es auch, die richtige Saite in Ursels stark vibrierender Seele zu rühren. »Du willst doch deinem Vater Freude machen, gelt, Urselchen? Du willst ihm doch all seine Liebe nicht durch kindische Auflehnung und Undankbarkeit lohnen? Und du mußt doch davon überzeugt sein, daß der Vater sowohl wie ich dein Bestes wollen, nicht wahr, mein Herzchen?«

      Ursel hatte den Kopf an das Knie der Mutter geschmiegt. »Ihr wollt wohl mein Bestes. Aber ihr könnt euch irren. Unmöglich könnt ihr wissen, welcher Weg zu meinem Glücke führt. Aber ich weiß es. Wenn ich erst die Rolle der Ännchen im ›Freischütz‹ singen werde, wenn man mich erst an die Staatsoper engagieren wird, dann werdet ihr schon anders sprechen.«

      Frau Annemarie mußte lächeln. »Luftschlösser bauen ist das Recht der Jugend. Nur schade, daß sie kein festes Fundament haben, solche Luftschlösser. Daß sie wie Seifenblasen zerplatzen. Und selbst angenommen, du erreichst das, was dir jetzt als erstrebenswertes Ziel vorschwebt, zu deinem Glücke braucht das durchaus noch nicht zu sein, mein Kind.«

      »Doch

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