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Der bekannte kurdische Gelehrte Malā Mahmūd-ī Bāyazīdī (geb. um 1797) bestätigt diese Tatsache: „Die Mehrheit der Kurden hat nur eine Frau. Selten haben die Āġās (Feudalen) zwei oder drei Frauen“.206

      Vielleicht hatte Mīr-ī Kōras Polygamie ihre Ursache in der Kinderlosigkeit seiner beiden ersten Ehen. Denn Fraser sagt:”Three wives but no family, nor as he is forty-five, is he likely to have any, in which case Rassol is regarded as his successor“.207

      Xēlānī bestätigt ebenfalls die Kinderlosigkeit des Mīr, aber er berichtet, dass Mīr-ī Kōra nur zwei Frauen hatte, und zwar eine Kurdin und eine Türkin, aus Istanbul.208

      Daneben ist eine andere Tatsache zu berücksichtigen. Die Scheidung gilt unter den Kurden als große Schande. Bāyazīdī sagt: „Die Scheidung der Frau ist unter ihnen (den Kurden) sehr unangenehm und gilt als Schande. Sie wird sehr selten vorgenommen“.209 Vom islamischen Standpunkt aus verstieß die Polygamie des Mīr nicht gegen seinen Glauben, obwohl aus dem unten zitierten Koranvers210 eine gewisse Bevorzugung der Monogamie zu ersehen ist. Auch die Scheidung ist nach dem islamischen Gesetz erlaubt, aber Muḥammad betrachtet diese Erlaubnis als „abġaḍ al-ḥalāl“, d.h. als „das Übelste alles Erlaubten“.211

      Über manche persönliche Eigenschaften des Mīr berichtet Dr. Roos:”The Meer (was) a benevolent pleasing-looking man of about forty-five years of age; fair, marked with the small-pox, and blind of an eye212, which was depressed and opaque. His beard was about twelve inches long, of a light brown colour, the lower beard being uncombed and quite felted together: in other respects, he was rather tidy in dress. He was lame of one leg from the kick of a horse, and spoke with a weak voice”.213

      Der Bericht von Dr. Roos, dass Mīr einäugig war, gibt uns im nächsten Kapitel Gelegenheit, auf die verschiedenen Volksetymologien einzugehen. Der Bart des Mīr bestätigt die traditionelle Mode des muslimischen Gelehrten und Fürsten in der damaligen Zeit. Seine Zerlumptheit weist eine gewisse Neigung zum Ṣūfīsmus hin. Mīr-ī Kōra hatte, wie die meisten Kurden, als Gebirgler militärisches Talent; dies kam ihm bei der Bekämpfung seiner Feinde sehr zustatten. Longrigg berichtet darüber:”The remarkable qualities of the blind Beg showed themselves in an unbroken series of conquests“.214

      Obwohl aus den Berichten von Mukriyānī zu ersehen ist, dass der Mīr seine Feinde nicht immer mit Waffen besiegt hat, sondern sich auch der List bediente215, kann nicht geleugnet werden, dass er eine gute Führungsgabe besaß. Er griff wohl manchmal zur List, vielleicht nach dem bekannten Wort des Propheten „der Krieg ist eine List“216, eine Weisheit, die meiner Ansicht nach Mīr-ī Kōra wohl verstanden hatte.

      Diese Siege hatten aus Mīr-ī Kōra um das Jahr 1834, also in wenigen Jahren, “the most remarkable man in Kurdistan“217 gemacht. Sein Emirat Sōrān war dadurch um die Mitte des 19. Jh. ‘s zum mächtigsten Fürstentum Kurdistans geworden.218

      Mīr Muḥammad Rawāndizī trägt verschiedene Beinamen: „Mīr-ī Gawra (der große Fürst)“219 oder Muḥammad Pāšā-ī Rawāndizī220 oder Pāšā-ī Kōra (Köra)221, ist aber auch als „Mīr-ī Kōra“222, d. h. „der blinde Mīr“, bekannt. Diesen letzten Beinamen hat der Mīr bekommen, weil er tatsächlich einäugig war, wie Dr. Roos als Augenzeuge bestätigt.223 Trotz dieser Tatsache versuchen die meisten kurdischen Berichte224, eine andere Deutung zu finden. Die Ursache liegt meiner Ansicht nach darin, dass die Kurden die tapferen Menschen sehr hochschätzen; sie neigen dazu, solchen Menschen alle guten Eigenschaften zuzuschreiben. Deshalb konnte ein großer Mīr wie Mīr-ī Kōra natürlich nicht blind sein und einen Beinamen führen, der bei Kurden Ausdruck eines Makels und der Kraftlosigkeit gewesen wäre.225 Ich erwähne an dieser Stelle Ansichten, die ich von Kurden hörte, und möchte versuchen, ihre Vertrauenswürdigkeit zu prüfen:

      Viele Rawāndiz-Kurden, die ich persönlich befragt habe, waren der Meinung, dass die Familie von Mīr Muḥammad ursprünglich aus dem Dorf Kōr̂ē226 stamme; daher der Beiname. Aber der kurdische Ausdruck für blind ist kōr oder kör – je nach dem Dialekt – und nicht kōr̂.227

      Der verstorbene Šākir Muğrim (starb1957), Minister für Post- und Telegraphenwesen im kurzlebigen Königreich des Scheich Maḥmūd Barzinği (1882-1956), lebte längere Zeit in Rawāndiz und interessierte sich sehr für die Geschichte des Mīr-ī Kōra. Er erzählte mir, dass „Mīr Muḥammad, der ein ganz gläubiger Mensch und dessen Gesetz nur der Koran war, jedem Menschen die Augen ausstechen ließ, der die Ehre eines anderen Menschen angegriffen hatte“.228 Darum trug er den Namen Kōra.229

      Gewiss, Mīr-ī Kōra war „gläubig“. Es gibt viele Dokumente über seine Einstellung. Er richtete sich nach dem Koran und verehrte die islamischen Gelehrten.230 Aber Kōr oder Kōra ist eine Bezeichnung für jemanden, der selbst blind ist, und nicht für jemanden, der andere blendet.

      Der kurdische Forscher Gīw-ī Mukriyānī,der die 2. Auflage des Werkes seines Bruders Ḥuznī Mukriyānī231 herausgab, bringt am Ende des Buches einige neue Berichte über Mīr-ī Kōra. Er erwähnt beide Auffassungen, die ich vorhin besprochen habe.232 Aber er ist sich nicht ganz sicher. Doch gibt er an, dass er „eine alte Urkunde“ besitze, in der viele geschichtliche Daten aufgezeichnet seien. Dort gebe es einen Hinweis auf den „kriegerischen Zusammenstoß von Muḥammad Pāšā und Tamir Pāšā aus Kōya233 mit Aḥmad Pāšā am Fuße des Giłazarda-Berges"234 sowie einen weiteren auf den "Tod von Tamir Pāšā, die Festnahme und die Blendung von Muḥammad Pāšā durch Aḥmad Pāšā und den Tod von Aḥmad Pāšā am 17. Ramaḍān in Qaradāġ235 im Jahre 1192h (1779/80)“.236 Der Kommentator fügt hinzu, dass „der hier erwähnte Muḥammad Pāšā vielleicht der ‚Große Mīr-ī Kōra‘ sei“.237 Diesen Bericht von Gīw-ī Mukriyānī habe ich in ähnlicher Form bei Rich in seinem Reisebericht gefunden.238 Rich berichtet, dass er am 10. Oktober 1820 eine Schriftrolle von Omar Agha bekommen habe, auf der verschiedene Daten standen.239 Im Anhang seines Buches übernahm Rich diese Daten und Geschehnisse

      Im ersten Band seines Buches steht unter “Series of Bebeh Princes“ auf Seite 383 folgendes, und zwar in dieser Tabellenform:

5

       * = 240 / ** = 241 / *** = 242

      Ich glaube, beide Berichte sagen das Gleiche aus: dieser Muḥammad Pāšā kann nicht Mīr-ī Kōra sein, d. h. nicht Muḥammad Pāšā-ī Rawāndizī, sondern es ist vielmehr Muḥammad Pāšā-ī Bābānī. Außerdem möchte ich hier erwähnen, dass ein auf beiden Augen Erblindeter nach den islamischen Gesetzen nicht regieren darf. Es scheint, dass G. Mukriyānī selbst nicht von der Glaubhaftigkeit seines Dokumentes überzeugt war, deshalb schloss er eine Erklärung an für den Fall, dass dieser Muḥammad Pāšā nicht Mīr-ī Kōra gewesen sein sollte243: „Die Kurden verwendeten einige Jahrhunderte lang den Namen Mīr an Stelle von Pā(d)šā(h). In der Zeit Mīr Muḥammads und auch vorher gab es viele andere Mīre in vielen Orten Kurdistans. Mīr Muḥammad Pāšā erhob die Fahne der Freiheit, erklärte die Unabhängigkeit Kurdistans, belegte Thron, Krone, Münzrecht und Armee für sich mit Beschlag und ließ alle Arten von Waffen in Rawāndiz herstellen. Er hat die Kugel des Fortschrittes von anderen Mīren gewonnen.244 Er war mächtiger, größer und besaß mehr Autorität als die anderen Mīre. Deshalb nannte man ihn den großen Mīr; Mīr-ī Gawra. Jedermann weiß, dass es damals keinen eigenen Buchstaben für den Laut ‘g گ ‘ gab, sondern dass er als ‘k ك ‘ geschrieben wurde245, und wenn der Buchstabe ‘h ە ‘ als Schriftzeichen für a (Fatḥah) nicht am Wortende stand, wurde er nicht geschrieben.246 Deshalb wurde ‘gawra گەورە ‘ – als ‘KWRA کورە ‘ geschrieben und man hat es fälschlich auch so als ‘kōra کورە ‘ ausgesprochen. Er heißt in Wirklichkeit Mīr-ī Gawra, der große Mīr, und nicht Mīr-ī Kōra, der blinde/ einäugige Mīr.“

      Zu dieser „philologischen“ Deutung Gīw-ī Mukriyānīs möchte ich sagen, dass es keinen Anlass dafür gibt, dass die Kurden ihre Muttersprache selbst hätten falsch aussprechen sollen. Außerdem

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