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ist ja gerade das Authentische an seiner Lebensbeichte. Rufe mich in drei Tagen zurück, dann bin ich mit dem Lesen und dem Denken über diesen Drake durch.“

      Ich komme zwei Tage später von einem wunderbaren Abend aus der Königlichen Oper in Glasgow, in der ich eine grandiose „La Traviata“ unter der Leitung unseres Generalmusikdirektors David Parry erlebte, fröhlich in meine Wohnung zurück, um mich bei einem Glas Rotwein zu entspannen, denn am nächsten Vormittag habe ich eine Vorlesung über das Thema: „Welchen Einfluss hatten die Zwangsheiraten an den Königshäusern in Europa auf die Entwicklung des Kontinents?“ anberaumt. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Thema viele Studierende interessiert, denn es soll beweisen, wie verwandt gerade auch England mit den Königsgeschlechtern des Kontinent gewesen ist – gerade vor den unerträglichen Diskussion um den Brexit ein sicher aktueller Bezug.

      Als ich aus meiner Garage komme, rieche ich bereits den Brandgeruch und sehe mehrere Feuerwehrleute vor meinem Haus stehen, die sich angeregt mit anderen Bewohnern und Nachbarn unterhalten. Wenig später klärt mich ein Officer auf: „Sind Sie Miss Vivian Collins. Doktor Collins?“

      Als ich das bejahe, führt mich der Feuerwehrmann durch einen Ring von gaffenden Menschen zum Fahrstuhl und in die erste Etage, wo sich meine Wohnung befindet. Zwei Beamte sichern den Eingang. Der Brandgeruch sticht mir in der Nase. „Ma‘am, es ist nicht viel zerstört, nur . . . Ihr Tresor wurde aufgebrochen und Papier wurde verbrannt, viel Papier . . . im Kamin.“

      Ich stürme in die große Bibliothek, in der das Ungetüm von Geldschrank steht. Die Tür ist geöffnet, im Kamin qualmt noch ein großer Haufen Papier, besser, was an Asche davon übrig geblieben ist. Mit einem Blick sehe ich, was dort gebrannt hat: Drakes Lebenserinnerungen! Mit einem Schrei stürze ich auf die verkohlten und vom Löschvorgang aufgeweichten Reste.

      „Da hat jemand mit Benzin gearbeitet, deshalb auch die fast komplette Zerstörung der vielen Seiten. Das Feuer entwickelte starken Rauch, so dass uns Mitbewohner alarmierten. Wir konnten die Flammen ohne Problem bekämpfen, das war kein wirklich großer Einsatz. Uns wunderte nur, dass die Tür nicht verschlossen war, sondern aufstand. Jemand muss einen Schlüssel gehabt haben. Auch für den Tresor. Können Sie sich das erklären, Doktor Collins?“

      Ich staune einen Moment lang, dann meint der Feuerwehrmann aufgeregt: „Und dort haben wir noch etwas gefunden: Eine männliche Leiche, wenn Sie mir bitte folgen.“

      In der großen Küche meiner Wohnung, in einer dafür extra gefliesten Ecke, die mit einem Vorhang verdeckt werden kann, liegt in einer silbrig glänzenden Hülle ein regungsloser Mensch. Als die Beamten den Reißverschluss öffnen, sehe ich sofort, wer der Tote ist: Dr. Brian Spittfield.

      „Er hing dort an einem der Deckenbalken, an einem Messinghaken“, meinte der Leiter des Brandeinsatzes, Peter Bullister. Ich erkläre dem Mann, dass dort mein Vater immer seine Beute aufhängte, um sie auszuweiden, wenn er mit einem Stück Wild nach Hause kam. Die Küche ist ungewöhnlich groß, da meine Eltern hier sehr gerne aufwendig gekocht haben, wenn sie Gäste hatten.

      „Ja, es ist Doktor Brian Spittfield, der Historiker“, sage ich leise.

      „Kannten Sie ihn gut, Miss Collins, ist er Ihr Ehemann, Ihr Lebenspartner? Denn der . . . Tote hatte die Schlüssel zur Wohnung bei sich . . . und auch zum Tresor. Ist das nicht merkwürdig?“

      Ich sage zunächst nichts. Der Vorfall lässt mich verstummen. Ich kann mir nicht vorstellen, was der Grund für die Handlung des Toten sein könnte.

      „Doktor Collins . . . Wir transportieren die Leiche nun fort. Es ist ein klarer Selbstmord: Der Tote hinterließ ein Schreiben an Sie. Wir können den Inhalt so nicht verstehen, können Sie uns helfen?“

      „Natürlich“, erkläre ich leicht stotternd. „Wir sind nicht . . . verheiratet . . . oder ein Paar.“

      Ich kann es nicht fassen, was hier in meiner Wohnung geschah. Ich setze mich im Wohnzimmer in einen Sessel und studiere den Abschiedsbrief meines Kollegen, den mir einer der Feuerwehrleute übergibt, nachdem er eine Kopie gemacht hat :

      „Liebe Vivian, verzeih, aber ich duze Dich jetzt einfach mal,

      Du kannst es mir nicht mehr verbieten, denn ich bin bereits tot, wenn Du diese Zeilen liest, die ich ohne Traurigkeit schrieb. Es war für mich leicht, in Deine Wohnung zu kommen, denn ich habe vor Wochen Kopien Deiner Schlüssel machen lassen. Du hast es nicht bemerkt, da Dich dieser Schurke Drake so begeisterte. Ja, ich war eifersüchtig auf Deine Erfolge, die ich Dir neidete. Du und Dein schrulliger Professor! Wahrscheinlich hat er Dich verführt und Dir aus Dankbarkeit diese hervorragenden Prädikate testiert. Ich hätte Dich auch gerne erobert, aber Du begegnetest mir nur mit Deiner Verachtung für mich. Das schürte meinen hehren Hass und ließ mich meinen Plan entwickeln. Als Du in Deiner Euphorie mir das Geheimnis der angeblichen Memoiren des Drake erzähltest, reifte mein Plan, Dein Werk zu zerstören, denn Du solltest nicht den Ruhm ernten, den ich nie erlebte. Ich verbrannte das Manuskript, um ganz sicher zu gehen. Da Du mir auf die Schliche gekommen wärest, habe ich meinem lieblosen Leben ein Ende gesetzt. Das hatte ich sowieso vor, denn mein Lungentumor hat sich in den letzten Monaten rapide vergrößert. So ist die Vernichtung des Manuskriptes meine letzte bedeutende Tat.

      Gestorben wäre ich sowieso in ein paar Monaten, also dann bitte in meiner eigenen Regie! Hier hänge ich also und kann nicht anders! Lebe wohl, doch ohne den Drake-Erfolg, den gönne ich Dir auch nach meinem Tod nicht. Niemals.

      Dr. Brian Spittfield,

      Dozent der Universität von Glasgow“

      X

      „Er war ein Idiot und als Idiot ist er gestorben! Sein Tod ist kein Verlust.“

      Sir Bruce nimmt den Selbstmord des Brian Spittfield, als ich ihm am darauffolgenden Tag davon berichte, mit diesen beiden Sätzen zur Kenntnis. Mit keinem weiteren Wort kommentiert er den spektakulären Tod. Ich wundere mich auch über mich selbst: Brians Tod berührt mich merkwürdiger Weise kaum, auch dass er sich in meiner Wohnung umbrachte, schockiert mich nicht. Meine Aussagen wurden am Tag danach auf der Wache protokolliert, dann war für die Polizei und auch für mich der Fall abgeschlossen. Klarer Suizid. Aus. Vorbei.

      Sir Bruce unterbricht meine Gedanken und meint am Telefon nach einer kleinen Pause weiter: „Wir gehen bald gezielt ans Werk, Vivian, ich muss noch weniger als 100 Seiten lesen . . . bin aber schon jetzt begeistert. Ich werde meine ganze Autorität und meine internationalen Kontakte in das Projekt stecken. Das wird ein Knaller . . . ganz sicher.“

      Fünf Monate später erscheinen die Memoiren des Sir Francis Drake als Buch – mit einer Startauflage von 35 000 gedruckten Exemplaren und als E-Book für den Englisch sprechenden Markt. In einer Pressekonferenz stellen Sir Bruce und ich die Lebenserinnerungen des berühmten Piraten vor . . . Die Öffentlichkeit ist sehr überrascht, dass plötzlich Memoiren des Seeräubers aufgetaucht sind. Ein großes Rätselraten setzt ein. Zweifel werden laut, spöttische Kommentare von Kollegen werden zitiert. Doch der Erfolg lässt sich dadurch nicht verhindern. Als Sir Bruce mich nach Monaten – ich bin gerade auf einer Lese-Tour durch Cornwall und Wales - anruft und mir mitteilt, dass ein Produzent aus Hollywood an einer Verfilmung der Lebenserinnerungen des Drake interessiert sei, wird mir klar, dass wir alles richtig gemacht haben . . .

      Einer der ersten Gratulanten ist übrigens Dr. Jack McFinn, der Kinderarzt aus Inverness. Ich schicke ihm – wie gewünscht - zehn signierte Exemplare . . .

      VORBEMERKUNG . . .

      . . . des Piraten und 1. Offiziers der dreimastigen „Defiance“ - John McFinn: Geschrieben im Herbst des Jahres 1597 mit meiner ungeübten, ungelenken Schrift in meinem gemütlichen Steinhaus in der Nähe von Inverness an der Nordostküste Schottlands, wo der Ness in den Moray Firth mündet, gut ein Jahr nach dem Tod meines Kapitäns und Freundes Sir Francis Drake. Mein Kaminfeuer versetzt mich in eine merkwürdige Stimmung. Meine Erinnerungen sausen durch meinen schottischen Schädel. Bilder tauchen auf. Szenen, Bemerkungen, Reden, haushohe Wellen, Stürme, Leichen und feudale Saufgelage. Ich denke nur noch an ihn. Träume von ihm. Von ihm, von ihr, von uns. Von unseren gemeinsamen Fahrten und Erlebnissen.

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