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      Jetzt war es zu spät. Sie hatte André in die Flucht geschlagen, obwohl sie ihn liebte. Mehr als sie es zugeben wollte. Am Abend vor dem Schlafengehen fühlte sie sich nicht besser, also rief sie Gianna an und berichtete.

      „Das war richtig. Sag mal, hat Joago was gesagt?“

      „Nein, wir haben uns heute nicht gesehen. Ich habe ziemliche Angst, dass er alles verpetzt. Dann denkt ja meine Mutter sonst was. Wir hatten so einen schönen Abend. Vielleicht sollte ich es ihr beichten?“

      „Nein, bloß nicht! Vielleicht hält Joago auch die Klappe.“

      „Drück die Daumen! Wir telefonieren morgen, ja?“

      8

      Als Luna am nächsten Nachmittag über ihren Hausaufgaben saß, wurde die Tür aufgerissen. Joago betrat das Zimmer und baute sich vor Luna auf. Sein Gesicht ließ das Mädchen Böses ahnen. Der junge Mann strich sich die Haare hinter die Ohren und setzte sich auf die Kante des Schreibtisches.

      „Na Schwesterherz, wieder nüchtern?“, fragte er mit zuckersüßer Stimme.

      „Was willst du?“

      „Was ich will, fragst du? Du kennst mich ja sehr genau. Was bietest du denn, damit ich Mama und Papa nichts sage?“

      Luna überlegte.

      „Ich übernehme deine häuslichen Pflichten für den nächsten Monat.“

      „Drei Monate.“

      „Ja, gut.“

      Joago grinste scheinheilig und sagte leise: „Und du gibst mir dein Taschengeld, sagen wir, auch für drei Monate.“

      „Was soll das? Ich kriege fünfzig Euro und davon muss ich mir alles kaufen, was ich brauche, auch für die Schule!“

      „Schätzelein, dann mach dich schon mal frisch. Mama wird ausflippen und Papa wird sehr enttäuscht sein.“

      „Du Arsch! Erpresser! Ja, du kriegst meine Kohle. Und jetzt hau ab! Ich hasse dich!“

      „Und eins noch, Süße“, sagte Joago, der sich an der Tür noch einmal umgedreht hatte.

      „Was?“

      „Halte dich von meinen Kumpels fern. Du bist peinlich. Ich will nicht, dass die ständig daran erinnert werden, dass ich so eine fette und hässliche Schwester habe. Und auf so einer Party will ich dich nie wieder treffen.“

      Damit knallte er die Tür zu und Luna brach in Tränen aus. Nicht über den Küchendienst, den sie für die nächsten Monate übernehmen musste. Nicht über das Taschengeld, dass sie abgeben musste. Nein, sie weinte, weil die Worte ihres Bruders sie wieder einmal ganz tief in ihr Herz getroffen hatten. Sie legte das Gesicht auf die Arme und ihre Schultern zuckten.

      Nach fünf Minuten stellte sie sich vor den Spiegel und sah, dass Joago recht hatte.

      „Ich bin fett. Und hässlich“, flüsterte sie. „Wahrscheinlich findet mich André auch hässlich und er ist nur zu höflich, um es mir zu sagen. Und Gianna kennt mich zu lange, sie würde mir niemals wehtun. Sie sagt sicher nur nichts, weil sie mich nicht verletzen will.“

      Luna ging zum Bett und ließ sich entmutigt drauffallen. Sekunden später sprang sie auf und begann fieberhaft nach ihrem Sportzeug zu suchen. Sie zog sich an und verließ das Haus, um in Richtung Waldrand zu laufen. In der Hoffnung niemandem zu begegnen, rannte sie los, bis sie keine Luft mehr bekam. Hinter der nächsten Biegung wollte sie umdrehen, aber plötzlich trat sie in ein Loch, das sie übersehen hatte, knickte um und schlug lang hin. Es hatte wehgetan und Luna hielt sich im Sitzen den Knöchel.

      „Scheiße“, murmelte das Mädchen und versuchte den Fuß zu bewegen.

      In der Ferne sah sie einen Radfahrer näherkommen. Es war ihr peinlich, dass sie anscheinend selbst zum Joggen zu dumm war und so versuchte sie aufzustehen. Es gelang nur mit Mühe und sie stöhnte vor Schmerzen. Der Radfahrer kam immer näher und gerade, als sie hinter einem Busch verschwinden wollte, erreichte er sie.

      „Kann ich dir helfen?“, fragte eine bekannte Stimme.

      Es war Samuel, der hier täglich seine Runden drehte. Luna hatte Tränen in den Augen, so sehr schmerzte der Knöchel, aber sie lächelte tapfer.

      „Es ist alles in Ordnung, ich bin nur umgeknickt. Geht gleich wieder.“

      „Läufst du öfter? Ich habe dich hier noch nie gesehen.“

      Voller Schmerz und Scham setzte sich Luna auf einen Baumstamm am Wegrand. Samuel nahm neben ihr Platz und forderte sie auf, ihm den Knöchel zu zeigen.

      „Es ist mir so peinlich! Immer, wenn ich mich in einer blöden Situation befinde, kommst du und rettest mich. Du musst ja echt denken, ich sei der größte Trottel der Welt.“

      Samuel achtete nicht auf ihre Worte und sah den Knöchel an, nachdem Luna ihren Fuß auf seinen Oberschenkel gelegt hatte. Der halbe Fuß war blau angelaufen.

      „Und nein, ich laufe heute zum ersten Mal, weil ich so fett und hässlich bin.“

      „Das sagt wer?“

      „Joago sagt das und ich sehe es, wenn ich in den Spiegel schaue. So, und jetzt habe ich mich wieder einmal zum Gespött gemacht. Du kannst das ruhig überall herumerzählen.“

      Samuel stand auf und schaute zu Luna herunter.

      „Du bist weder fett noch hässlich, aber du bist ziemlich dämlich, wenn du deinem Bruder glaubst. Komm, versuch aufzustehen!“

      Er hielt ihr eine Hand hin und zog sie vorsichtig hoch.

      „Das musst du röntgen lassen. Steig auf, ich bringe dich heim, dann können deine Eltern mit dir zum Arzt fahren.“

      „Ich steige ganz sicher nicht zu dir auf das Rad.“

      Samuel kramte in der Jackentasche und hielt sein Handy in der Hand.

      Er sagte trocken: „Dann muss ich jetzt den Notarzt rufen.“

      „Nein, nein! Bitte nicht!“, rief Luna entsetzt. „Ich steige ja schon auf. Danke, dass du mir hilfst, ich kann nicht mehr auftreten.“

      Sie klemmte sich auf die Stange des Rades und versuchte Samuel nicht zu berühren. Vor ihrer Haustür rutschte sie herunter und klingelte. Doretta öffnete und kam entsetzt auf die beiden zu.

      „Ach Gott, was ist denn passiert? Wo warst du?“

      „Luna war joggen und ist umgeknickt.“

      „Seit wann gehst du denn joggen?“, fragte Doretta und sah den bösen Blick ihrer Tochter.

      Sie biss sich auf die Unterlippe, bedankte sich bei Samuel und hakte Luna unter, damit sie sich ins Auto setzen konnte. Das Mädchen war sauer wegen der Schmach, die sie erlitten hatte. Samuel hatte sein Rad an den Zaun gelehnt und trat an die Beifahrertür, als Doretta ihre Tasche holte.

      „Wenn du es richtig machen willst, das mit dem Sport, dann sag Bescheid. Ich kann dein Trainer sein. Nicht, dass du es nötig hättest. Nur, wenn du fitter werden willst.“

      Seine blauen Augen wurden von langen Wimpern umrahmt, sah Luna jetzt und seufzte. Samuels sanfte Lippen waren schön geschwungen. Und im Moment kam er ihr gar nicht so merkwürdig vor.

      „Ich denke darüber nach. Danke, dass du immer da bist, wenn ich Hilfe brauche.

      „Hat dein Bruder dich eigentlich verpetzt?“

      „Nein, aber er erpresst mich jetzt. Ich muss drei Monate im Haushalt alles machen und ihm mein Taschengeld geben.“

      „Er ist ein Arschloch.“

      „Ich weiß.“

      Samuel verabschiedete sich, als Doretta die Haustür zuzog. Luna schaute ihm nachdenklich hinterher.

      „So,

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