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hatte. Wahnsinn. Mir schwirrte der Kopf. Natürlich war es Paul, der uns alle wieder zurück in die Realität holte. „So zusammen, da es sicher nicht geschrieben steht, dass wir heute Abend alle verhungern sollen, würde ich vorschlagen, wir schauen mal, was unsere zuckersüßen Stewardessen für uns zu essen haben. Ich habe einen Riesenhunger.“ Callahan konnte sich daraufhin ein Lächeln nicht verkneifen und er erwiderte mit gespielter Entrüstung: „Gott behüte, Paul, ich hoffe inständig, dass wir etwas Anständiges bekommen, bevor Sie zum Kannibalen werden.“

      Als wir aus dem Meeting-Room traten, wurden uns vom Bordpersonal Erfrischungsgetränke gereicht, gefolgt von einem sehr schmackhaften Essen. Es gab Wein und hie und da wurde sogar ein bisschen gelacht. Für einen kurzen Moment kehrte fast so etwas wie Normalität ein, was ich sehr genoss. Ich saß bei Paul, der natürlich nicht umhin konnte, mich durch den Kakao zu ziehen.

      „Du bist also Bolivianer“, sagte er grinsend zu mir. „Olé!“

      „Lass es, Paul.“

      Doch er war nicht zu bremsen. „Du siehst sicher schick aus mit einem Poncho“, sagte er und grinste dabei Bradley an, der uns gegenüber saß. „Wir nennen ihn von nun an Juan oder besser Don Juan!“ Beide begannen zu lachen. „Jetzt wird mir alles klar“, keuchte er, als er endlich wieder reden konnte.

      „Haha“, sagte ich, aber insgeheim tat seine Spöttelei mir gut – was ich natürlich nie zugegeben hätte. Unter Männern sagt man sowas einfach nicht.

      Nach dem Essen versuchten wir uns ein paar Stunden auszuruhen, soweit das möglich war. Ich war froh, dass ich sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel, der mich die Aufregungen des Tages vergessen ließ.

      Kings College, London/6.00 Uhr (GMT), 5 Tage bis zum Blutmond

      „Also, der Kaffee schmeckt schon mal genauso fürchterlich wie in meinem Labor! Ich fühl mich schon ganz wie zu Hause.“ Ann Marie lachte und löffelte ihren Joghurt zu Ende. Mark und sie saßen in Anns vorläufigem Büro. Ein Cateringservice versorgte sie seit gestern mit allem, was kurzfristig lieferbar war – Sushi inklusive. Heute Morgen hatte Ann sich für Vitamine, sprich Joghurt und Kaffee, entschieden, während Mark nervös sein Croissant zerbröselte. Er hatte tiefe Ringe unter den Augen und war unrasiert. „Wie hast du geschlafen, Mark?“, fragte sie besorgt.

      „Zu kurz und unruhig, aber wer hat das nicht heute Nacht. Ich komm mir vor wie in meiner Studienzeit. Klappbett im Büro geht schon. Doch wir stochern im Dunkeln, Ann. Ich brauche Ergebnisse und zwar schnell. Uns läuft die Zeit weg! Takanawa hat sich auch noch nicht gemeldet.“

      Sie fuhr ihm durchs Haar, lächelte und sagte: „Bleib ruhig, wir arbeiten gerade mal ein paar Stunden an dieser Sache und leiten den größten Expertenpool der Welt. Hab Vertrauen, wir finden unsere Antworten.“

      Mark nickte und goss sich einen Tee an. „Ich bin schon seit vier Uhr wach. Mir geht so vieles im Kopf herum.“ Er blickte auf sein Handy, das auf dem Tisch lag. „Halb sieben – jetzt kann man ja wohl loslegen. Ich werde unsere Teams fragen, ob sie schon die Ergebnisse von Coles DNA-Proben haben. Vielleicht finden wir ja heraus, dass es ein Barkeeper-Gen gibt!“

      „Mark, du bist ein Idiot, weißt du das?“

      „Ach hör auf, du glaubst doch auch, dass es Zeitverschwendung ist. Der Typ ist kein genetisches Wunderwerk – für all das muss es eine andere Erklärung geben.“

      „Das kann schon sein. Aber es ist unser Job – unter anderem! Also beweg deinen Arsch ins Labor. Los, los!“ Ann grinste bei ihren letzten Worten. Die beiden gingen durch die Gänge des ehrwürdigen Kings College bis zu den Labors, in denen ihre Teams an den Eigenheiten von Coles DNA forschten.

      Als sie das Labor im ersten Stock betraten, kam ihnen Marks Kollegin Luisa entgegen, eine hochintelligente, quirlige, junge Genetikerin, die Marks Laborleitung innehatte. Das Labor war hervorragend ausgestattet, Gen-Sequenzer, Zentrifugen, Klimaschränke und Messgeräte aller Art ließen keine Wünsche offen.

      Sie begrüßte die beiden herzlich und begann ohne weitere Umschweife, aufgeregt ihre bisherigen Ergebnisse vorzustellen: „Also Mark, als du mir die Proben des Barkeepers gebracht hast, dachte ich zuerst, du willst mich auf den Arm nehmen! Aber nach den ersten Ergebnissen zu urteilen, hat dieser Kerl mehr drauf als nur coole Drinks.“

      Mark und Ann sahen sie verwirrt an. „Wie? Echt jetzt?“, fragte Mark.

      „Ja! Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll! Erinnert ihr euch noch an die Bioinformatik-Tagung in Los Angeles? Es ging damals um die Lagerung digitaler Daten in synthetischer DNA. Nun ja, ich fand damals die Vorstellung schon sehr cool, unendlich viele Daten auf biomolekularer Ebene speichern zu können – und das für Tausende von Jahren! Wahnsinn! Ich habe mir damals vorgestellt, dass das in Zukunft die Archäologie revolutioniert. Man buddelt jemanden aus und liest einfach die Daten aus – das würde alles erleichtern! Bislang hat man nur ein paar Musikstücke und Dokumente auf diese Art gespeichert, aber ich sage euch, euer Barkeeper ist da eine ganz andere Liga.“

      Mark war blass geworden. „Er unterscheidet sich genetisch tatsächlich von uns?“

      „Das sage ich doch! Sein gesamtes Genom ist mit Informationen angefüllt. Jede seiner Zellen ist voller Daten, soweit wir das beurteilen können. Was wir hier haben, ist ein biogenetisches Speichersystem, wie wir es bis jetzt noch nie gesehen haben! Wir haben das auch schon von den Bioinformatikern der Universität Padua gegenchecken lassen. Die sind schier ausgeflippt. Die sind alle unserer Meinung, dass das, was in diesem Kerl schlummert, weit über dem liegt, wozu die Menschheit fähig ist. Ist er überhaupt ein Mensch?“

      Mark wiegte den Kopf langsam hin und her. „Soweit ich weiß, schon“, sagte er schwach.

      „Hm. Seid ihr euch wirklich sicher, dass ihr mir keine Probe von einem Alien gegeben habt? Es sieht so aus, als hätte unser Freund in seinen Zellen 30 statt 23 Chromosomenpaare.“

      „Wie bitte?“, brach es aus Mark heraus. „Bist du dir sicher?“

      Luisa stemmte die Hände in die Seiten. „Du hast mich nicht zur Laborleiterin gemacht, weil ich nichts kann, oder? Natürlich bin ich mir sicher.“

      „Das ist unfassbar. Zeig mir mal bitte die Daten.“ Luisa zeigte auf einen Bildschirm in der Ecke des Labors. „Überzeug dich selbst.“

      Ann Marie wollte ebenfalls schauen, doch da legte sich eine Hand auf ihren Arm. Es war Joseph, der Leiter ihres Teams. Er war ein langjähriger Kollege, der mit seinem Drei-Tage-Bart und seinem Bäuchlein einen unbedarften Eindruck machte, doch das täuschte. Er war einer der besten Analytiker, die sie kannte. „Guten Morgen, Joseph, ich hoffe, du hast schon gefrühstückt. Hier ist gerade eine sprichwörtliche Bombe hochgegangen. Siehst du Mark da drüben? Er ist völlig aus dem Häuschen.“

      Joseph grinste. „Nun ja, so ähnlich könnte es dir auch gleich gehen. Wir haben seit gestern alle Daten gesammelt, die uns erreicht haben. Es ist unbeschreiblich. Wir konnten eine direkte Verbindung zwischen der Aktivierung der Retro-DNA und der Zunahme der Gehirnaktivität bei unseren Testpersonen feststellen.“

      „Geht ’s etwas genauer?“, fragte Ann Marie.

      „Klar. Wir haben uns die Langzeitschlafstudien hier vor Ort zunutze gemacht, und bei allen Probanden sehen wir heute völlig neue Muster in Hirnregionen, die eigentlich gar nicht agieren sollten. Wenn du mich fragst …“ Er machte eine Pause.

      „Ja, natürlich. Was denkst du?“

      „Nun, es scheint, als würden wir seit gestern alle etwas weltoffener denken. Daher gehe ich davon aus, dass die Retro-DNA bewusst inaktiv gehalten wurde, bis jetzt.“

      Das passte zu der Theorie, dass die Menschheit von außen gesteuert wurde. Ann Marie spürte ein Flattern im Magen. „Und aus welchem Grund?“, fragte sie langsam.

      Joseph zuckte mit den Schultern. „Ich bin Wissenschaftler, ich beschreibe, was ich sehe. Die Gründe müssen andere finden. Aber ich kann dir Folgendes

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