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Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler
Читать онлайн.Название Wie ein Dornenbusch
Год выпуска 0
isbn 9783847659693
Автор произведения Wilfried Schnitzler
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Da konnte man noch so viele Einwände vorbringen, Auflehnung war sinnlos. Die Mutter schwieg sowieso bei solchen Aussprachen und hielt sich wohlweislich im Hintergrund. Den anderen Geschwistern stand kein Mitspracherecht zu.
2 Mission in Algerien
Nach einem halben Jahr in der Ferne, in Afrika, hatten beide genug. Es waren nicht alleine die Entbehrungen und die sengende Sonne, die ewige Hitze, Tag und Nacht. Die Ordensregeln gründeten auf der Missionierung; sich in Sprache und Kleidung den lokalen Menschen anzupassen und ihre Kultur zu respektieren, das war für jeden im Orden selbstverständlich. Leider wurden sie selbst unter den Mitbrüdern nicht automatisch akzeptiert, ja, eigentlich überhaupt nicht richtig aufgenommen. Nein, man ließ die beiden einfach nicht in Ruhe, schikanierte sie ohne Grund oder, was noch schlimmer war, man beachtete sie kaum in der Gemeinschaft. Sie wurden links liegen gelassen, als ob sie überhaupt nicht da wären. Sie spürten sehr wohl, dass sie die einzigen Nichtfranzosen unter den Brüdern in diesem spartanischen Ordenshaus waren. Und um es auf den Punkt zu bringen, sie waren eben Deutsche!
Die Animositäten gegen die Grenznachbarn waren seit dem verlorenen ‚Siebziger Krieg’ vor zwanzig Jahren immer noch sehr lebendig. Das linderte offensichtlich auch nicht ihre Ordenszugehörigkeit und die gemeinsame Aufgabe im Glauben. Der Verlust von Elsass und Lothringen war für den Nationalstolz der Franzosen sehr bitter, dass Kaiser Napoleon ein Gefangener der verhassten Preußen wurde, war einfach nicht hinnehmbar. Der größte Hohn, der schlimmste Affront war aber die Krönung des preußischen Königs zum deutschen Kaiser in ihrem nationalen Heiligtum ihrem Versailles dem Sinnbild regaler französischer Würde. Welch ein Skandal, schlimmste Provokation für ihre große, stolze Nation! Die deutsche Eitelkeit – wie sie es empfanden - war unverständlich. Nur sie, die Franzosen, hatten so herausragende Ingenieure, wie ihr Ferdinand de Lesseps, Erbauer des international gefeierten Suez-Kanals; und natürlich den unvergleichlichen, wundervollen Gustave Eiffel, der seiner Nation und der ganzen Menschheit erst kürzlich in Paris mit seinem stählernen Turm ein neues Wahrzeichen gesetzt hatte. Wer in aller Welt konnte da mithalten, doch schon gar nicht die Deutschen!?
»Connie,« so nannte Caspar seinen älteren Bruder häufig, besonders, wenn er ihn ganz persönlich brauchte. »Connie, wie soll das nur weitergehen, was machen wir bloß?«
Kopfschüttelnd stand Cornelius vor seinem beinahe gleichgroßen Bruder und biss sich auf die Unterlippe. »Nur nicht so schnell aufgeben,« knurrte er, »die denken doch wohl nicht, wir sind hierher geschickt worden, um aus ihrem Département eine deutsche Kolonie zu machen.« Dabei wusste er zu gut, dass die Suche nach überseeischen Gebieten gerade jetzt in der Heimat groß in Mode gekommen war. Das wirtschaftlich rasch aufblühende Deutsche Reich, mitten in Europa, beanspruchte einen Platz unter den Weltmächten für Handel und Absatzmärkte, besonders aber den Zugriff auf billige Rohstoffe. Viele Jahre später, und in einem ganz anderen Erdteil, sollte sich Cornelius mit dieser Tatsache noch intensiv auseinander zu setzen haben.
Im Augenblick mussten sie aber eine Entscheidung treffen. »Wir brauchen einen Weg, um denen zu beweisen, dass wir zur Gemeinschaft gehören wollen, wir sie benötigen, sie uns aber auch,« gab Cornelius seinem Bruder zu bedenken.
»Connie, das haben wir doch alles schon versucht. Sie haben einen Wall um uns aufgetürmt, da kommen wir einfach nicht drüber. Ich bin mir auch todsicher, die Brüder sind furchtbar eifersüchtig auf dich, denn du könntest ja schon längst mit deinen jungen Jahren Priester sein und uns allen die Messe lesen, wenn der Bischof dir nur die Weihe geben würde. Aber er ist ja auch Franzose und zudem weit weg.«
»Da hast du vollkommen Recht Caspar, das Versprechen, von dem unser Vater beim Abschied sprach haben sie in den letzten Monaten ja überhaupt noch nicht einmal erwähnt.«
»Nun schicken sie uns auch noch alleine auf Missionsreise zu den Berbern in die 'Kabylei'. Wir können nicht einmal deren Sprache, und die Leute dort wollen nicht Französisch reden. Da kommen wir doch nur in Schwierigkeiten, weiß Gott, in welche?!«
»Und das wollen sie doch nur, dass wir versagen, um uns noch mehr zu piesacken,« pflichtet Cornelius seinem Bruder bei.
»Connie, ich habe richtig Angst. Du weißt doch, vor unserer Ankunft wurden drei unserer Missionare von den Tuareg umgebracht. Das waren zwar nicht unsere Berber, aber was macht das schon für einen Unterschied? Es hat einfach keinen Zweck mehr, wir sollten uns absetzen, abhauen, nur weg von hier.«
»Das muss alles wohl überlegt und geplant werden,« gab der ältere Bruder zu bedenken. »Lass uns so tun, als ob wir zu dieser Reise einwilligen. Sie wollen, dass wir uns fürs Erste in 'Budschaja' niederlassen und dort unsere Missionstätigkeit beginnen. Dazu müssen wir von hier direkt zum Meer und ein Boot finden, das entlang der Küste segelt und uns dorthin bringt. So wurde es uns wenigstens von den Brüdern aufgetragen. Begeben wir uns also zum nächsten Hafen, dort werden wir dann weitersehen.«
Nach einem beinahe wortlosen Abschied waren sie schon bei Sonnenaufgang in einem Eselskarren auf sandiger Straße unterwegs. Ein Bauer willigte ein, für wenig Geld sein mageres Einkommen aufzubessern. Sie hätten bestimmt nicht viel länger gebraucht, wenn sie einfach los gestiefelt wären. Aber ihr Gepäck in der Hitze selbst zu tragen, wäre eine noch größere Tortur gewesen, als auf dem schaukelnden Gefährt alle Knochen durchgerüttelt zu bekommen. Dafür hatten sie aber eine Plane mit etwas Schatten über dem Kopf. Am frühen Nachmittag erreichten sie den kleinen Ort am Meer. Ihr weißer Burnus war braun eingestaubt. Aber das machte überhaupt nichts, denn so fielen sie im Ort zwischen den Einheimischen nicht auf. Ihre Haut war in den letzten Monaten schon ganz schön braun gegerbt worden. Sie zogen ihre Kapuze über den Kopf und tauchten ein in die Menge.
»Connie, wohin gehen wir?« raunte Caspar für Cornelius kaum hörbar in diesem Stimmengewirr, als wenn ihn jemand verstanden hätte, während er neben seinem Bruder einher stolperte. Er fühlte sich schon wie ein Entflohener, den man bereits suchte.
»Wie finden wir in diesem Gewirr zum Hafen?«
Die Gassen waren so eng und winkelig, voller Passanten, dass der Bauer sich geweigert hatte, sie bis ins Ortsinnere zu bringen. Er setzte sie einfach am Tor vor der gedrungenen Stadtmauer ab. Diese beeindruckte sie ganz mächtig, denn sie bestand nicht aus Steinen, sondern aus aufeinandergesetzten braunen, offenbar luftgetrockneten Lehmquadern. Zu ihrer Verwunderung war die Oberfläche mit Strohhalmen gespickt. Wozu das? So etwas hatten sie noch nicht gesehen.
Gerade besserten Arbeiter eine schadhafte Lücke in der Mauer aus. Dazu bearbeiteten einige in einer Grube mit ihren Füßen einen braunen Brei. Sie waren bis über die Hüfte verschmiert. Ihr ganzer Körper, mitsamt der wenigen Kleidung, die sie trugen, war bis über die Arme und hinauf ins Gesicht bespritzt. Teilweise klebte der Brei in dünner Schicht als getrockneter Fladen an ihrer Kleidung und Haut. Das sah schon bizarr aus. Es musste der mit Wasser und Stroh vermischte Lehm sein, aus dem die Mauersteine geformt wurden. Ihre Vermutung war richtig. Die fertig geknetete, halbfeste Masse reichten Arbeiter in Kübeln nach oben, wo das Gemisch von anderen in eine hölzerne Verschalung gefüllt wurde. Mit langen Stößeln stampften sie den Brei fest, bis das überschüssige Wasser unten aus den Brettern rann. Das musste in der Hitze eine schlimme Arbeit sein. Aber die heiße Sonne tat auch das ihre für eine rasche Trocknung des Lehmbreis. An manchen Stellen war die hölzerne Verschalung schon entfernt worden. Dort waren noch deutlich die feuchten, dunkelbraunen Quader zu sehen. Aber die Ausbesserungen schienen prächtig zu halten, waren stabil und gaben der Stadtmauer ihre Funktion zurück.
Ziemlich fasziniert wandten sie sich von dem Arbeitstrupp ab, der laut in einer gutturalen Sprache plaudernd seiner schweren Arbeit nachging.
»Lass uns einfach unserer Nase folgen,« schlug Cornelius vor. »Der Fischgeruch wird uns schon zum Hafen führen.«
Ihre Habseligkeiten, darunter ein wenig Proviant und Wasser, hatten sie in zwei Säcke gestopft und über die Schulter geworfen. So drängten sie sich