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so nicht und das wussten alle Spieler der beiden Mannschaften. Die 9a hatte mit Glück den Vorsprung so gerade noch ins Ziel retten können. Fünf Minuten länger und sie hätten verloren … haben sie aber nicht.

      Es kamen überraschenderweise keine mürrischen Wiederworte von der 'B'. Seine einleitenden Worte kamen wohl doch nicht so lustig rüber, wie er gedacht hatte. Daher änderte Christian seine Ansprache spontan ab.

      „Ist Michaela Scholz noch anwesend?!“, fragte er mit ruhiger und betont emotionsloser Stimme.

      Nun ging doch ein Raunen durch den Raum. Einzelne Spieler wurden nur bei einer besonders herausragenden Leistung erwähnt. Michaela hat heute jedoch bei weitem nicht ihr - auch nur normales - Potential abgerufen.

      „Ja, ist sie“, erklang es leise aus einem Monitor in der linken hinteren Ecke.

      „Danke!“, begann Christian und machte eine kleine Pause: „Nicht für den Punkt, den wir heute bekommen haben, sondern dafür, dass du ein Vorbild für alle bist! Ich meine, du hättest allen Grund gehabt, heute nicht dabei zu sein. Niemand wäre dir böse gewesen, jeder hätte es verstanden! Aber … du lässt Dein Team nicht im Stich! Die gesamte Klasse 9a gratuliert der 9b zu diesem unglaublichen Spieler. Wir alle sind unglaublich stolz auf dich! Heute ist kein Tag zum Feiern, aber ein Tag der in Erinnerung bleiben wird. Heute war der Tag von Michaela Scholz, der besten Torwartin, den diese Schule bisher gesehen hat, wenn es nach mir geht!“

      Auch in diesem Raum war es nun ruhig geworden. Christian erschrak ein wenig, hatte er etwas Falsches gesagt?

      Dann aber wurde ihm klar, dass jeder, wirklich jeder mit dem innegehalten hatte, was er gerade tat und ihm zu hörte. Schließlich sagte er noch: „Danke, mehr habe ich nicht zu sagen.“

      Der Jubel war unbeschreiblich. Fast alle klatschten. Michaela nicht, sie schickte ihm eine persönliche Nachricht: „Danke, du bist wundervoll. Aber bitte habe Verständnis, dass ich mich nun um meine Familie kümmern muss. Wir hören und lesen voneinander.“

      Zum Mittagessen traf Christian einen sehr stolzen Vater. „Christian, das war echt groß. Eine tolle Kabinenansprache. Ich bin sehr stolz auf dich!“, sagte er ihm, nachdem er die Tomatensuppe gegessen hatte, noch bevor Marie mit dem Hauptgang aus der Küche kam. Es war für Christian selbstverständlich, dass er virtuell mit am Tisch saß, auch wenn er selbst nicht essen konnte. Er hatte die Tischmanieren von seinen ursprünglichen Eltern gelernt. Sehr viel aus seinem alten Leben war jedoch nicht mehr in seinen digitalen Erinnerungen enthalten. So sehr er auch versuchte, hier ein Gefühl oder eine Bindung zu ihnen herzustellen, es wollte nicht so richtig funktionieren. Es war fast so, als wäre von irgendwem eine Blockade errichtet worden, damit er sie vergessen sollte. In Wahrheit war dem nicht so, aber vielleicht wollte er dies irgendwo tief in sich drin auch. Vielleicht war es besser, wenn er sie vergessen würde. Er fühlte sich wohl bei den Schuppiens. Dies waren wundervolle Menschen. Sowohl die Erwachsenen wie auch sein Bruder. Anders wie in manch anderen Familien, wurde hier die zweite Welt voll und ganz akzeptiert und anerkannt. Für jeden hier war er und jeder virtuelle Mensch ein eigenständiges Lebewesen, vielleicht mit einer Behinderung, obwohl diese Erklärung natürlich in keinster Weise zutraf.

      Die Bewohner der zweiten Welt hatten gänzlich andere Vorzüge als beispielsweise eine überragende körperliche Ausdauer oder ein fantastisches Aussehen. Es war nicht für jeden leicht, das zu erkennen und damit zu leben. Nicht wenige Menschen wollten mit der zweiten Welt so wenig wie möglich zu tun haben. Viele meinten - aus ihrer Sicht heraus vielleicht verständlich - dass sie noch früh genug dorthin kamen.

      Auch das war eine Möglichkeit, an das Leben nach dem Tod heran zu gehen. Christian hatte dafür nur bedingt Verständnis. Er war zu jung 'gestorben' als dass er nicht noch mehr über das menschliche Leben erfahren wollte. Er wusste dabei sehr genau, dass er dabei gleich doppelt Glück gehabt hatte. Erstens war es nicht immer möglich, virtuelle Waisenkinder zu vermitteln, zweitens kam er auch noch in solch eine Familie! Oft genug waren die Waisenkinder schneller in die virtuelle Welt zurückgekehrt als ihnen lieb war und lebten weiterhin erst einmal dort, in einer Art Heim.

      Das muss ein trostloses Leben sein, dachte er. Für viele endete es tragisch, denn leider gab es auch nicht genug gemischte Schulen.

      „Christian?“

      „Oh!“, dachte er, Jochen musste ihn schon mehrfach angesprochen haben …

      „Entschuldige, Jochen ...ich war woanders“, antwortete er schließlich auf die schon leicht besorgte Frage.

      „Du denkst an Michaela, hmmm?“, die Frage kam von Marie.

      „Nein, es war noch etwas anderes...“

      Wenn ein virtueller Mensch leise vor sich hin murmeln könnte, so war dies jetzt genau das passende Beispiel hierfür. Aber Christian war zu höflich und direkt, als das er seine Gedanken vor seinen Eltern verstecken würde.

      „Oh?“, murmelte Jochen zurück.

      Christian interpretierte diese Aussage von Jochen als Frage.

      „Können virtuelle Menschen Liebe empfinden?“, fragte er daraufhin.

      Jochen hielt inne: „Die Frage ist sehr interessant, aber lass uns bitte noch essen, es wird sonst kalt und dafür hat Marie nicht gekocht.“

      „Klar, … Jochen“, es fiel ihm immer noch schwer, Papa zu sagen. Sie alle wussten ja, dass er dies nicht war, weder in realer biologischer noch in ehemaliger biologischer Hinsicht.

      Nach dem Essen setzten sie sich an den Tisch im virtuellen Raum. Hier war Christian sozusagen körperlich anwesend. Er hatte die Möglichkeit den richtig großen Monitor für sich zu beanspruchen und konnte so zusätzlich zur Mimik auch noch die Gestik einsetzen. Außerdem waren seine Augen mit besseren Kameras ausgestattet und das virtuelle Bild gab daraufhin ein Feedback. Wenn er in die Richtung seines Gesprächspartners sah, dann war es so, als würde er ihn auch tatsächlich ansehen. Schon bald würden auch sie eine Art holographische Darstellungsmöglichkeit bekommen. Jochen benötigte dies als Pilotprojekt für die Schule.

      Alex kam gerade aus eben jener gleichen Schule, die Christian auch besuchte. Er war ein paar Klassen über ihm und stand kurz davor, die Schule zu beenden. Im Grunde waren die Klassen sowieso nur noch Makulatur. Jedes Kind entschied selbst, wann es mit der Schule fertig sein wollte. Danach ging es über in ein Studium oder einen technischen und/oder kreativen Beruf. Oder man bildete sich anderweitig weiter. Die Möglichkeiten waren so vielfältig für die Menschen.

      „Hi, Chris!“, begrüßte er ihn: „Coole Ansprache heute, die ganze Schule redet davon!“

      „Micha ist darüber allerdings nicht ganz so glücklich, denn nun weiß jeder, was mit ihrem Bruder ist“, ergänzte er noch nachträglich.

      „Verdammt“, dachte der von Alex hoch gelobte Neuntklässler: „So war das natürlich nicht gedacht.“

      „Oh, das ist blöde gelaufen“, bemerkte Jochen.

      „Das hat Christian so sicherlich nicht gewollt.“

      „Ja, sie kann sozusagen gar nicht mehr auf dem Schulhof sein, ohne dass irgendjemand zum Kondolieren vorbeikommt“, erklärte Alex.

      „Sie hat daraufhin den Bot wieder abgestellt und ist erst einmal nach Hause geschickt worden.“

      „Na, ob das der richtige Weg war?“, sagte Jochen leise.

      „Sie selbst wollte es“, sagte Alex, der aufgrund seiner Funktion als Schulsprecher davon erfahren hatte.

      „Gut, trotzdem sollten wir das morgen im Kollegium einmal thematisieren“, bemerkte Jochen.

      „Wie war das eigentlich bei dir, Chris? Haben Dich auch alle auf der Schule erst einmal zu Tode bemitleidet?“, versuchte Alex einen Scherz zu machen.

      „Nicht gut, Alex!“, sagte Jochen etwas schärfer.

      „Aber du hattest da etwas am Mittagstisch gefragt, Christian?“

      „Wieso habt ihr eigentlich nicht auf mich gewartet, mit

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