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ausgelassene Dingelchen besonders gern hatte, machte ganz erschreckte Augen.

      »Waren da etwa die Motten drin?«

      »Nee – bloß Puck!«

      »Puck?«

      »Na ja, unser kleines weißes Hündchen. Sie haben ihn mal kennen gelernt, Fräulein Hering, damals, als er mir heimlich in die Klasse nachgelaufen ist, und die Kinder noch alle solche mächtige Angst vor ihm hatten.«

      Fräulein Hering mußte in Erinnerung an jenen tollen Vormittag, an dem ein Hund zu ihren Schülern gehört hatte, lachen. Und da hatte Annemarie mal wieder gewonnenes Spiel bei ihr.

      »Euer Puck hat doch aber das Tuch nicht zu häkeln, sondern du,« sagte das nette Fräulein schon wieder scherzhaft.

      »Ich hatte es rumliegen lassen, und da hat er ein Loch reingebissen,« gestand Annemarie errötend mit der ihr eigenen Ehrlichkeit zu.

      War Fräulein Hering ärgerlich? Die Kleine blinzelte durch die langen Wimpern unsicher zu ihr hin. Nein, Fräulein Hering drohte ihr bloß lächelnd – da war es doch nicht solch arger Unglückstag heute, wie sie schon gefürchtet. Wenigstens ihre Lieblingslehrerin war ihr nicht allzu böse.

      Als Fräulein Hering den Kindern nun noch eröffnete, daß jedes in der nächsten Handarbeitsstunde seine Puppe mitbringen dürfe, für die sie ein Kleidchen oder eine Schürze nähen wollten, da es nicht mehr lohne, vor den Ferien eine neue Arbeit zu beginnen, war wieder eitel Sonnenschein bei Annemarie.

      Auf dem Heimweg von der Schule, den sie stets mit Freundin Margot, die in demselben Hause mit ihr wohnte, zurücklegte, wurde eifrig beraten, welche Puppe der Ehre teilhaftig werden sollte, mit in die Schule zu kommen.

      »Ich bringe mein Baby mit, das muß neue Windelhöschen kriegen,« überlegte Margot.

      Annemarie war noch nicht ganz im reinen mit sich, welche von ihren sieben Puppen die Glückliche sein sollte. Ihr Liebling war Puppe Gerda. Aber der waren neulich die Schlafaugen in den Kopf hineingerutscht. Als zwei schwarze Löcher gähnten die Augenhöhlen sie an, Annemarie graulte sich heimlich davor. Unmöglich konnte sie die blinde Gerda Fräulein Hering vorführen. Und auch die anderen Puppen erfreuten sich nicht einer uneingeschränkten Gesundheit. Ja, sie waren sogar ziemlich verwahrlost, denn eigentlich beschäftigte sich Annemarie nur noch sehr wenig mit ihnen. Ihre Märchen- und Geschichtenbücher waren ihr viel wichtiger als die Puppen. Nur wenn Margot, die ein eifriges Puppenmütterchen war, zu Besuch herüberkam, wurden die armen Vernachlässigten aus ihrem Winkel hervorgeholt.

      Die beiden kleinen Freundinnen überschritten, rechts und links nach Wagen und Automobilen Ausschau haltend, den großen Platz mit der schönen Kirche. Erst seit ganz kurzer Zeit holte Fräulein die Annemarie nicht mehr von der Schule ab. Denn die Kleine behauptete, kein »Baby« mehr zu sein und genau so gut wie die andern Kinder den Schulweg allein zurücklegen zu können. Aber Frau Doktor Braun war sehr ängstlich, sie in dem großen Berlin ohne Begleitung gehen zu lassen. Denn sie kannte ihr Töchterchen, das immer andere Gedanken im Kopf hatte. Nur der steten Gesellschaft der zuverlässigen Margot war es zuzuschreiben, daß sich Mutti endlich damit einverstanden erklärt hatte.

      Aber die Mutter atmete doch jedesmal auf, wenn mittags das doppelte Klingelzeichen ihres Nesthäkchens ertönte. Auch heute erstrahlte ihr Gesicht, als Annemaries helle Stimme schon draußen vom Treppenflur durch die Wohnung schallte.

      »Mutti zu Haus?« keins der Braunschen Kinder erschien des Mittags ohne diese Frage. Sie war ihnen wichtiger als das Gutentagsagen. Selbst der große Hans, der schon nach Untersekunda kam, mußte seine Schulerlebnisse gleich bei Mutti auskramen.

      »Hanne, was gibt's denn heute zum Mittagbrot – ich muß noch 'ne große Stulle essen, sonst verhungere ich.« Vorbei ging's an der Küche und wie ein Wirbelwind ins Wohnzimmer.

      »Tag, Mutti, wir sollen das nächste mal eine Puppe in Handarbeit mitbringen, wir dürfen für sie nähen. Und Fräulein Hering war gar nicht doll böse auf Puck, daß er das Loch in meine Häkelarbeit gebissen und – – –«

      »Langsam – langsam, Kind,« unterbrach die Mutter das sich überstürzende Töchterchen. Ihr Blick umfaßte liebevoll ihr blühendes Nesthäkchen mit der schiefen Matrosenmütze und den verwehten Locken. »So, meine Lotte« – »Lotte« war von jeher der von den Eltern gebrauchte Kosename für die Kleine – »nun erzähle mal der Reihe nach. Was ist in der Schule vorgefallen. Also zuerst im Rechnen?«

      Rechnen – eine höchst fatale Frage! Annemarie begann mit ihren Zöpfchen zu spielen, sie zuckte die Schultern und machte möglichst gleichmütig »Och«. Dann aber behielt die Aufrichtigkeit die Oberhand über die unangenehmen Empfindungen, welche Mutters Frage in Annemarie auslöste. Denn welches ehrliche Kind vermag etwas zu verschweigen, wenn das Mutterauge so klar in seiner Seele liest?

      »Wir haben Klassenarbeit geschrieben – drei Fehler habe ich – aber Hilde Rabe hat neun, und Ruth sechs, und Erna Ruft hat nicht eine Aufgabe richtig,« zählte sie ein wenig befangen auf.

      »Und wer hat null Fehler?«

      O weh, das waren eine ganze Menge, die Annemarie da nennen mußte.

      »Da hast du doch bestimmt deine Gedanken wiedermal nicht beisammen gehabt, Annemie. Die Aufgaben kannst du, das weiß ich. Nun wirst du dich sicher zu Ostern von deinem ersten Platz trennen müssen.«

      »Och, das schadet nichts,« meinte Annemarie, obgleich es ihr sehr nahe ging, daß sie nicht mehr die Erste sein sollte. »Klaus sagt, Erster sein ist nicht schön, da kann man nicht mehr rauf kommen, bloß immer runter – – –«

      »Ich wurde mir lieber an Hans ein Beispiel nehmen, anstatt an Klaus. Der hat doch sein Lebtag noch nicht Erster gesessen – und was ist sonst noch passiert?«

      »Eigentlich gar nichts« – Annemarie überlegte angestrengt. Nein, passiert war doch wirklich weiter nichts, denn den Tadel hatte sie doch noch nicht bekommen. Aber – ach was, wenn man so recht von Herzen vergnügt sein will, muß man alles von der Seele herunter haben – also!

      »Fräulein Neudorf hätte mir beinah einen Tadel gegeben – aber nur beinah', Muttichen,« bekräftigte Annemarie schnell noch einmal, da sie sah, daß Mutters stets so freundliches Gesicht sehr ernst wurde.

      »Was soll denn das heißen, Annemarie?«

      »Na ja, erst wollte sie, weil sie glaubte, ich hätte Margot gefragt, was bei der einen Aufgabe rauskommt. Und nachher hat sie sich zum Glück noch besonnen, und ganz nachher war sie überhaupt nicht mehr böse,« sprudelte Annemarie ziemlich unklar heraus.

      »Geh' in dein Zimmer und ziehe dich aus, Annemarie. Du hast mir heute wenig Freude gemacht.« Mutti schaute traurig aus.

      Das Töchterchen sah unbehaglich zu ihr hin.

      »Wenn Fräulein Neudorf nicht mehr böse war, brauchst du es doch auch nicht zu sein, Mutti – und – und – das nächste mal passe ich gewiß wieder besser auf!« Die Matrosenmütze rutschte noch schiefer, denn die Kleine hatte den Blondkopf in jäher Aufwallung an Muttis Wange gepreßt.

      Konnte Frau Doktor Braun da ihrem Nesthäkchen noch zürnen? Sie machte sich aus der sie zerquetschenden Umarmung los, gab der kleinen Sünderin einen liebevollen Klaps und sagte: »Na lauf, Lotte, und bessere dich!«

      Hurra – Mutti hatte wieder »Lotte« gesagt! Mit einem Freudengeheul, dem sich sofort ein Jammergeheul des zu Muttis Füßen liegenden Puck anschloß, den sie in glückseliger Unachtsamkeit aufs Pfötchen getreten, verschwand Annemarie im Kinderzimmer.

      Die Mütze flog aufs Bett, der Mantel auf den Tisch, die Mappe in den Puppenwagen und die Handschuhe auf die Erde.

      »Tag, geliebtes Fräulein,« mitten hinein in den großen Berg Ausbesserwäsche, in dem Fräulein wie zwischen weißen Wolken thronte, wirbelte Annemarie.

      »Aber Annemarie, du kleiner Liederjahn – jeden Tag muß ich dich erst daran erinnern, daß man seine Sachen ordentlich forträumt –«

      »Geliebtes, goldenes

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