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Wein. Unten brodelt die Place Forum. Klassisches Zentrum einer mittelgroßen, französischen Stadt. Ringsum Platanen. Mächtig ausladende Bäume. Ihre fleckigen Stämme im einsetzenden Dunkel wetteifern mit den Lichtflecken auf den Tischen. Es lärmt, redet, lacht.

      Immer mehr Abendgäste auf dem Platz. Autogeräusche gelegentlich. Musik aus mehr als einem Lautsprecher. Jedes der fünf Lokale spielt seine eigene Musik. Übertönt sich selbst. Laut. Lauter. Am lautesten. Garçons schlendern gemächlich von Tisch zu Tisch. Meerwind kreiselt an den Fassaden schöner, alter Häuser entlang. Ohne Pause um sich selbst. Als könnte er den Ausgang nicht finden.

      Wir beobachten das alles von oben. Sitzen gern über den Dingen. Nicht in irgendeiner verschwiegenen Ecke unten. Schmusen trotzdem. Stehe auf. Die rechte Hand schon ausgestreckt, zarte Haut zu tasten. Da kommt der Löwenzahnsalat. Die Flasche ‚Domaine Ott’ im Eiskübel. „Cherchez-vous le cabinet?“ Suchen Sie die Toilette? „Non, non Madame.“ Sitze schnell. Beginne zu picken. Das herzhafte, zackenblättrige Grün schmeckt uns sehr gut, weil anders. Sonnenwärme erfüllt uns. Hüllt uns ein. Obwohl sie schon fast eine Stunde abwesend ist. Zwischen die Dächer gefallen. Der Nacht den Vortritt eingeräumt. Eine liebe Sonne. Vor allem, weil sie morgen schon wiederkommt.

      An unserem Tisch hält sie sich lange. In den geschliffenen Gläsern. In jedem Bissen weißen Hummerfleisches auf dem Weg zum Mund. In unseren Augen, die miteinander funken. Wir müssen achtgeben, dass wir die gelbflüssige Soße nicht auf Bluse oder Revers schlabbern. Es werden die schönsten Fotos von uns beiden. Initialzündung für zukünftige Anlässe. Von denen wir noch nicht wissen, wann und wo. Zu was sie uns animieren.

      Vergessen werden wir diesen Abend in Arles nicht. Schon gar nicht den fremdelnden Hummer. Der am Ende zum Intimfreund von Zunge und Gaumen avancierte. So muss Himmel schmecken.

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      Anderntags Kunstgeschichte. Die Kathedrale Saint Trophime ein Glanzstück hochromanischer Baukunst. Fünfhundert Meter vom Hotel stadteinwärts. Die Fassade ergraut im Laufe der Jahrhunderte. Aber lebendig wie kaum eine andere. Sie fasziniert uns mit ihren Figuren. Ausdrucksvollen. Eindrücklichen. Die ganze Fläche ein Bilderbekenntnis auf christrömische Art. Denken nach.

      Achthundertjährige Geschichte im Stein. Spuren von Wind, Wetter und revolutionärer Wut. Rätseln über Rätsel im meisterlich aus Stein gehauenen Abbild. Bleiben respektvoll auf Abstand. Um zu erfassen oder nicht. Erst im Kreuzgang nimmt Rose das Prospektblatt. Und liest. Wir wissen mehr. Haben wir deshalb mehr gesehen? Rose fragt: „Ob wir hier leben wollten damals? Gott näher? Vielleicht. Aber Ewigkeiten entfernt von der Wirklichkeit, die wir sind. Die wir lieben.“

      Mittlerweile blasen sie den Staub der Jahrhunderte vom Stein. Man wolle den Urzustand freilegen. Zeigen, wie es anfangs war. Bei unserem letzten Besuch in Arles entsetzt. Sehen das wunderbare Portal mit Christus, den Evangelistensymbolen zur Hälfte gereinigt. Im durchlaufenden Fries die aufgefrischten Apostel. Als hätten sie eine Tunnelwäsche hinter sich. Kommen uns nackt vor. Flach, unplastisch. Tausend Jahre ausgelöscht. Die großen Patrone der Kathedrale neben den Türen. St. Trophime und St. Stephanus und ihre Nachbarheiligen noch im alten Zustand.

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      In den Stürmen einer wechselvollen Geschichte grau geworden. Ehrlich dazu gestanden. Wir ahnen die Dimension der Zeit. Ohne sie richtig zu begreifen. Wandern mit unseren Augen zu Bildern und ihren Geschichten. Von Rissen zu Stümpfen, denen der Kopf fehlt. Wir ahnen bedrückt, der vorerst letzte Teil dieser Geschichte zu sein.

      Eine verquaste Vorstellung von Authentizität tötet Geschichte und Geschichten. Steine erzählen mehr als Bücher. Hoffentlich bleibt Vorbild Saint Gilles von dieser Radikalwäsche verschont. „Ich bin froh, noch den alten Zustand fotografiert zu haben. Hunderte Diapositive warten auf einen Winterabend. Mit Hummer à la Rose. Einer Flasche Domaine-Ott. Und einer langen, langen Bilderschau.

      AIGUES MORTES – nach 38 Jahren frei.

      Das Hotel ‚Jules César’ in Arles ideal. Die Barockkirche nebenan, wenn die Not am größten. Ein Palmengarten mit Pool hinter dem Haus, wenn es uns zu heiß wird. Eine blumige Terrasse davor, um sonnige Mittage, warme Abende zu feiern. Vor allem aber idealer Ausgangspunkt für unsere Fahrten in die Camargue.

      Weiter nach Aigues Mortes. Wo im 12. Jahrhundert der zweite Kreuzzug startete. Ein glühender Bernhard von Clairveaux konnte sogar den französischen König Ludwig VI. und den deutschen Kaiser Konrad II. zum Mitmachen bewegen. Jerusalem von den Heiden zu befreien. Motto: Dieu le veut. Gott will es. Abmarsch in Aigues Mortes. Per Schiff.

      Heute sehen wir die befestigte Anlage wie sie war. Gemischtes Gefühl beim Anblick mittelalterlicher Mauern. Geschichten drängen sich auf. Wir rätseln über einen heute nicht mehr nachvollziehbaren Enthusiasmus. Leben zu opfern für einen Unsichtbaren.

      Spazieren über die fast zwei Kilometer lange Stadtmauer. Spähen zwischen die Zinnen, Feind in Sicht? Klettern in den finsteren Tour de Constance. Suchen auf dem steinernen Rand des Beobachtungsloches einer Zelle das berühmte, eingeritzte RECISTER. Das S in RESISTE, gleich widerstehe, durch ein nichtssagendes C zu ersetzen, rettete Marie Durand das Leben. Ersparte nicht die Kerkerhaft. 1685 wurde die Fünfzehnjährige mit anderen Mädchen eingelocht, weil sie ihrem protestantischen Glauben nicht abschwören wollte.

      Achtunddreißig Jahre später inspizierte der Gouverneur des Languedoc die Anlage. Sah die mittlerweile Dreiundfünfzigjährige. Tief erschüttert liess er sie frei. Und die noch lebenden Glaubensgenossinnen. Sie muss auf ihn wie eine Heilige gewirkt haben. Heimkehrerfrauen können das nachfühlen. Die von Bautzenhäftlingen auch, als die Mauer fiel.

      Zu den weißen Pferden fahren wir, in die Camargue. Der Naturpark lockt mit Tamariskenwäldern, vielen Tieren dieses wasserreichen Landstrichs. In den weit geöffneten Armen der Rhône. „Komm, ich will den Biber sehen.“ Nehme meine Kamera mit. Schieße einige der schönsten Fotos überhaupt. Rose winkt den Störchen zu, als sie abheben. Rose bückt sich zum Biber, der unseren Weg kreuzt. Rutsch flutsch ins Wasser entfleucht. Rose in Gelbgrünockergestreift inmitten gelbgrünockerstreifigem Schilf.

      Rosa Flamingos sind da zuhause. Nirgends sahen wir solche Heerscharen. Viele stehen auf einem Bein. Halten das andere am warmen Leib, damit es nicht friert. Wenn´s kühl ist. Mal links. Mal rechts. Solange sie leben. Auf welchem machen sie wohl Liebe? Ist das vielleicht ausschlaggebend für den Nachwuchs? Haben Linkssteher oder Rechtssteher größere Chancen?

      Les Saintes-Marie-de-la-Mer überlassen wir den Zigeunern. Den Gitan, spanischen Roma. Sie wallfahren zu ihrer Schutzpatronin Sarah. Dienerin der beiden Marien, die laut Legende dort landeten. Sarahs Gebeine fand man angeblich Mitte des 15. Jahrhunderts. Der Ort wurde Wallfahrtsstätte. Für Christen, vor allem für die tiefgläubigen Zigeuner.

      Sie kommen aus ganz Europa. In ihren amerikanischen Straßenkreuzern. Wohnmobilen. Die festliche Garderobe gewaschen, gebügelt am Haken. Vor der Reliquie ihrer Sarah zu beten. Die dunkelhäutige Statue noch schöner zu schmücken. Mit kostbaren Gewändern, Ketten und Ringen. Jedes Jahr muss sie noch bunter aussehen. Zeichen ihrer Liebe. Zeichen ihres Glaubens an ein Leben nach dem Tod.

      Rose: „Ich las, sie feiern danach ausgelassen Wiedersehen. Nach einem Jahr oder länger. Einig in der Vorstellung, ein auserlesenes Volk zu sein. Immer unterwegs. Nie zuhause. Wie die Juden. Die Nazis ermordeten die einen wie die anderen. Jeder Mai ist ein Auferstehungsmonat.“ „Möchte einmal ein solches Fest erleben. Ob es unser Bild von Romas korrigiert? Es soll zuletzt zu Tumulten und Schlägereien gekommen sein. Kein Wunder bei Unbehausten.“

      Grau gewordene weiße Pferde stehen gelangweilt unter den Persennings. Reiben ihre Hälse an den Brettern des Zauns. Wiehern selten. Wir haben diesmal keine Lust zu reiten. Oder kutschiert zu werden. Laufen lieber. Bewegen unsere automüden Glieder. Atmen die salzige Luft.

      AVIGNON – Sprit alle und keine Tankstelle.

      ,Sur

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