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verschwunden, stoppte ein silbergrauer Kastenwagen ohne Seitenscheiben am Bordstein …

      Der Rest ging so schnell, dass man an Spuk hätte glauben können …

      Als der Wagen abfuhr, war der Mann mit der karierten Jacke und dem gelben Schlips wie vom Erdboden verschluckt. Nicht einmal Türenschlagen war zu hören gewesen.

      Ich ging an die Scheibe und blickte dem Wagen nach: Münchner Kennzeichen

      Kruschinsky kam mir an der Tür des Fahrstuhls entgegen. Seine Brille hing ihm schief auf der Nase und sein Gesicht zeigte nervöse Flecken.

      »Er ist weg …«, sagte er.

      »War? Kofler?«, fragte ich ungläubig.

      »Verschwunden.«

      »Nicht möglich – « Mit zwei schnellen Schritten war ich an der Tür und sah in sein Zimmer. Das Bett war zerwühlt. Die Manuskriptseiten lagen noch auf dem Tisch.

      »Und der Fahrstuhlkode? Haben Sie im Badezimmer nachgesehen?«

      »Na was sonst?«

      »Wie lange kann er schon weg sein?«

      »Keine Ahnung.«

      »Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«

      »Gestern Abend.«

      Ich blickte mich nachdenklich um, dann ging ich zum Fahrstuhl und sah nach der Tür. Sie wurde von einer starken Zugfeder ins Schloss gedrückt. Der Mechanismus war gut geölt. Ausgeschlossen, dass sie versehentlich offen geblieben war.

      »Könnte er den Kode entschlüsselt haben?«

      »Nein …«

      In dem Fall schien es nur eine Erklärung zu geben. Ich ließ mich nachdenklich auf den Stuhl neben dem Datenaustauscher sinken. Was, wenn seine Leute ahnten, dass man ihr Spiel durchschauen würde, und ihm den Kode für die Fahrstuhltür beschafft hatten? Die Zahlenkombination war vierstellig – aus dem zehnstelligen Zahlenfeld von null bis neun. Kofler hätte schon Gedankenleser sein müssen, um sie zu finden.

      Hatte er lediglich ausprobiert, wie weit er mit seiner Geschichte kam?

      Na, wie auch immer – das ersparte mir ein paar schlaflose Nächte. Und eine Menge Zweifel und andere „Unpässlichkeiten“.

      Dieser Job war ohnehin zu aufreibend für mich. Koflers Flucht hatte auch ihre guten Seiten. Wenn F. uns beide zum Teufel jagte, konnte mir das nur recht sein. Es zwang mich, nach einer anderen Arbeit Ausschau zu halten und mich von dem geheimen Zwang loszueisen, der zweifellos für meine Arbeit mitverantwortlich war – neben der Trägheit.

      Denn wahrscheinlich hatten viele Schreibtischtäter in den KZ der Nazizeit vor allem aus Bequemlichkeit und weniger aus Überzeugung stillgehalten. Es war die Müdigkeit, sich gegen all die kleinen Unannehmlichkeiten aufzulehnen. Die Vorstellung, einem Vorgesetzten widersprechen zu müssen. Der plötzliche Verlust des Vertrauens, die Arbeitsklima, wenn man morgens seine Bürotür öffnete. Das selbstherrliche Lächeln des Nachfolgers – all die kleinen Repressalien, noch bevor das eigentliche Verfahren begann …

      So ähnlich verhielt es sich auch in meinem Job. Es war immer unklar gewesen, was mit mir passieren würde, wenn ich ausstieg. Mit Sicherheit wurde ich dann in F.s Augen zum – unkalkulierbaren? – Risiko …

      Über den Osten munkelte man, pensionssüchtige und überalterte Agenten würden noch einmal in den Außendienst geschickt. Da sie mit den neuen Praktiken nicht zurecht kämen, sei die Verlustquote besonders hoch. Es mindere, das Risiko, im Suff oder aus Altersschwachsinn Geheimnisse auszuplaudern.

      Mancher Greis wurde – über den Krückstock gestützt – auf der Veranda seines Altenheims unversehens zum Geschichtenerzähler, und gerade jene, die ihr Leben lang geschwiegen hatten, entdeckten das Vergnügen und den Reiz der ausschmückenden Rede.

      Für mich gab es immer noch das Ampheton, ein stark wirkendes Nervengift, das unter anderem den Sprechdrang einschränkte. Wegen seiner halluzinativen Wirkung war es nicht als Medikament zugelassen. Ein ausgezeichnetes Mittel gegen depressive Verstimmung, wenn man sich damit abfand, dass eine grüngestrichene Wand plötzlich zu kichern begann und der Briefbeschwerer zu Eisenherz‘ Schwert wurde oder sich wie eine angriffslustige Kobra spreizte.

      Eine Zeit lang hatte ich täglich etwa eine halbe Schachtel davon eingenommen – und den Verbrauch erst nach dem Verlust mehrerer Zähne eingeschränkt. F. beschaffte mir das Zeug aus einem südafrikanischen Werk. Die Südafrikaner nutzten es angeblich dazu, Schwarze so weit aufzuputschen, dass sie Grund hatten, mit Polizeigewalt gegen sie vorzugehen. Wer die Wirkung kannte und wusste, dass die Halluzinationen rasch nachließen, während der antidepressive, ausgleichende Effekt lange anhielt, dem war es nur verständlich, dass es vor allen Dingen eine Art von Altersversorgung für mich gab: das Zeug in großen Mengen zu horten, und meine Hauptsorge bestand darin, ob es chemisch zerfiel oder lange genug haltbar blieb.

      Wie bei meiner Tätigkeit als Staatsanwalt und hinter der Jagd auf Schurken, die sich inzwischen nur ausgetüftelterer Methoden als früher bedienten und das Ganze zu einer staatlich sanktionierten Institution gemacht hatten, steckte dahinter doch nur wieder die ewige altbekannte Suche nach Sinn …

      Im Gemütsleben von Wölfen oder Orang-Utans konnte es kaum irrationaler zugehen. Es hätte mich interessiert, zu erfahren, wie Kofler darüber dachte. Vielleicht würde ich mir sein neuestes Manuskript bei Gelegenheit vornehmen, um zu sehen, ob er der Antwort auf die uralte Menschheitsfrage einen Schritt nähergekommen war.

      Ich versuchte mir vorzustellen, ob dem allen – dem Ende als pillenabhängiger Agentenjäger und Frühpensionär – der ruhige Bürojob in einem Versicherungskonzern oder einer Bank vorzuziehen war – trostloser Ausblick!

      In meinen alten Job würde ich weder zurückkehren können noch wollen. Einerseits scheute ich das Risiko der Arbeit für F., andererseits war ich dem Nervenkitzel verfallen, und der Gedanke, irgendeiner Alltagsbeschäftigung nachzugehen, hinterließ nichts als Fadheit – wie bei einem bankrotten Millionär, der nun, ohne Geld, nicht mehr so leben konnte wie die anderen um ihn her, die tagaus tagein nichts anderes gewohnt waren. Ein erschreckend hohes Maß an Aussteigern aus dem Geheimdienst wurde später straffällig.

      »Was haben Sie jetzt vor?«, fragte Kruschinsky. Er lehnte an der Wand und wechselte von Zeit zu Zeit die Gesichtsfarbe.

      Ich zuckte die Achseln.

      »Dass mir das passieren musste«, klagte er. »Es kostet uns beide den Job, oder?«

      »Ja, sie werden uns zum Teufel jagen. Aber darüber sollten Sie eher froh sein. Im Grunde war mir der Mann gar nicht unsympathisch – von allen Vorbehalten gegen seine Rolle einmal abgesehen. Es hätte mir irgendwie leid getan, ihn ans Messe zu liefern.«

      »Ans Messer zu liefern …?«, fragte Kruschinsky verständnislos. Richtig! – Ich hatte völlig vergessen, dass er nicht eingeweiht war.

      In diesem Augenblick hämmerte jemand unten im Schacht gegen die Fahrstuhltür. Es konnte nur aus der Tiefgarage kommen, da es keinen Zugang zu den Zwischenetagen gab.

      »Wer könnte das sein?«, fragte er unsicher.

      Es durfte überhaupt niemanden geben, der auf diese Weise Einlass verlangte, dachte ich. Außer, wenn.

      »Ich werde nachsehen.«

      »Warten Sie, ich hole die Waffe.«

      »Die Türscheiben sind schusssicher«, wehrte ich ab. Wenn der Fahrstuhl nicht gebraucht wurde, kehrte er automatisch zu unserer Etage zurück. Ich tippte den Kode ein – 5943 – und öffnete die Tür. »Wenn ich nicht in zwei Minuten wieder oben bin oder ein Zeichen gebe, lösen Sie Alarm über die Sicherheitsleitung aus.«

      Unter der Tischplatte des L.D.A. gab es einen Knopf.

      Kruschinsky nickte. Er sah blass aus.

      Als ich nach unten fuhr, ahnte ich, wer dort wartete. Und dann sah ich sein Gesicht, das durch die Scheibe

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