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aber eine Stufe niedriger. Ihre Aufgabe ist es, den Flugbegleitern gehörig den Marsch zu blasen. Der P2 ist der Offizier, der seinen Feldwebel, den P1, wissen lässt, was er seinen Soldaten, also uns Flugbegleitern, mitzuteilen hat. Manchmal tut er das auch auf direktem Wege. Unsere P2 hieß Ingeborg Meyer-Küthke, stammte aus Bamberg und war eine echte Dame.

      »So, ihr Lieben, nachdem wir jetzt komplett sind. Eins vorweg. Wollt oder besser müsst ihr alle nach Tokio, oder hat sich jemand verirrt?« Schweigen und Kopfschütteln. »Gut, dann legen wir los, bevor gleich die Cockpit kommt. Für alle, die mich noch nicht kennen, ich bin die Inge.«

      Das Briefing lief ab, wie Briefings so ablaufen. Zuerst wurden die Arbeitspositionen verteilt. Da ich als Dienstjüngster sowieso das nehmen musste, was übrig blieb, konnte ich mich entspannt zurücklehnen. Plötzlich fiel mir der Umschlag wieder ein. Er ruhte noch immer unangetastet in meinem Pilotenkoffer. Ich würde also frühestens während meiner Pause dazukommen, ihn zu öffnen. Meine Großmutter hatte zu ihren Lebzeiten nicht nur einmal erwähnt, dass Dr. Smoltaczek sich um das Erbe kümmern würde, wenn sie »einmal nicht mehr sei.« Und jetzt war es so weit. Ich hatte an jenem Tag noch mit ihr telefoniert. Sie klang quietschfidel und schien sich zu freuen, dass ich sie besuchen kam. Wie jeden Donnerstag. Zwei Stunden später war sie tot. Ihre Nachbarin, die ihr die Tageszeitung bringen wollte, hatte sich noch gewundert, dass sie nicht aufmachte. Sie ist mit dem Ersatzschlüssel rein. Meine Oma saß in ihrem geliebten Sessel. Den Kopf zur Seite geneigt, die Augen geschlossen. Nichts an ihr deutete darauf hin, dass sie nicht mehr lebte. Selbst die Fernsehzeitung lag noch auf ihrem Schoß. Als ob sie gerade eingeschlafen sei. So war es vermutlich auch. Allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass ...

      »Okay, Horst, dann bleibt für dich die 4R, ja?« Inge sah mich über ihre rahmenlose Brille hinweg an.

      Ich nickte lächelnd. »Ja, klar, gerne.«

      Es muss bescheuert geklungen haben. Die Hälfte der Crew lachte.

      »Na, dann sind ja ganz offensichtlich alle happy.« Sie blickte in die Runde. »Wie sieht's mit medizinischen Vorkenntnissen aus? Ist jemand vorbelastet? Ex-Sanitäter oder Krankenschwester?«

      Es dauerte einen Augenblick, bis sich die Kollegin neben mir zu Wort meldete. »Ich war mal Hebamme. Das ist zwar schon über zehn Jahre her, aber wenn es nicht gerade eine Steißlage ist, kriegen wir das schon hin. Fahrradfahren und Kinder zur Welt bringen verlernt man angeblich nicht.«

      »Sehr schön, gut zu wissen.« Inge nickte Helga freundlich zu. »Sonst noch jemand?« Nach einer Pause fuhr sie fort. »Wir haben heute nämlich laut meinen Unterlagen keinen Arzt an Bord. Das muss zwar nichts heißen, aber eventuell müssen wir uns im Fall des Falles selbst helfen. Lasst uns ganz kurz zusammen durchsprechen, wie wir vorgehen. Angenommen, wir kommen zu einem Gast, der zusammengekauert in seinem Sitz hockt. Was machen wir zuallererst?«

      Keine 15 Minuten später nahm ich in der hintersten Reihe des Busses Platz, der die Crew zum Flugzeug bringen würde. Ich hatte mein Telefon in der Hand und überlegte, ob ich Carola nochmal anrufen sollte. Sie würde sich bestimmt nicht melden, soviel war klar. Ich bin der deutlich Harmoniebedürftigere von uns beiden und kann es nicht ausstehen, im Streit auseinanderzugehen. Es blieb ein fader Nachgeschmack. Auf der anderen Seite: Was hätte ich ihr sagen sollen? Dass es mir leid täte, sie alleinzulassen? Um eine bescheuerte Antwort einzukassieren?

      Das Beste wäre gewesen, ihr einfach Frohe Weihnachten zu wünschen und ihr zu sagen, dass ich sie liebhatte.

      KAPITEL 4

      Seit unserem Start in München waren zwanzig Minuten vergangen. Während Sarah, Nina, Miriam und ich die Getränkewägen aufbauten, kümmerte sich Attila um die heißen Essen. Dem Geruch nach würde unser Sprüchlein heute lauten: »Would you like chicken or pasta?«

      Wir standen in der hinteren Flugzeugküche, nur durch eine Wand von der Passierkabine getrennt. Der Fahrtwind, das Rauschen der Klimaanlage und das turbinenartige Pfeifen der Umluftöfen vereinigten sich zu einem Geräuschpegel, der sich wie ein schützender Kokon um alles Gesprochene legt.

      »Sag mal, Topsi, woher kommt eigentlich Topsi? Auf der Crewliste heißt du Horst-Herbert.« Sarah sah mich fragend an. Mit ihren hervortretenden Augen und dem blassen Teint erinnerte sie mich an meine Englischlehrerin. Rotblonde Haare und das Klischee wäre perfekt.

      »Horst-Herbert, ja. Ich weiß schon, ist nicht der Brüller. Den Spitznamen Topsi hab ich von meinem Onkel. Der kam eines Tages zu Besuch. Da war ich ungefähr zwei und er meinte zu mir: Na, Tropi, du bist aber ganz schön groß geworden. Und ich hab dann geantwortet: Ich bin nich der Topsi, ich bin der Orsti. Meine Eltern fanden das so witzig, dass sie bei Topsi geblieben sind.«

      »Und warum sagte dein Onkel Tropi zu dir?«

      »Mein Onkel war ein ganz Lustiger. Und die ganz Lustigen haben damals nicht geplante Kinder so bezeichnet. Tropi steht für trotz ... Pille.«

      »Verstehe. Aber vielleicht solltest du deinem Onkel dankbar sein. Topsi klingt zwar auch nicht suuper-sexy, aber besser als Horst-Herbert ist es allemal.«

      »Also ich finde Topsi gar nicht so schlecht. Klingt doch nett. Nicht so seriös wie Horst-Herbert.« Nina lächelte mich an. Ich lächelte zurück.

      Ich hatte diese Gespräche schon so häufig erlebt, dass ich sie in- und auswendig kannte. Einig waren sich alle immer darin, dass Horst-Herbert Hentschel ein echter Scheißname ist. Horst-Herbert heißen nur Männer, die als Ehefrau eine Nordhold oder Edelgard abbekommen. Typen, die stellvertretender Schriftführer im Taubenzüchterverein sind und einmal im Jahr an der Für Sie-Leserreise auf die Blumeninsel Madeira teilnehmen, nachdem sie sich vorher im ADAC-Laden mit kostenlosen Straßenkarten eingedeckt haben. Horst-Herbert – schlimmer wäre nur noch Karl-Ingo gewesen. Gesprochen mit doppeltem G. Keine Ahnung, was meine Eltern damals geritten hat. Vermutlich war es ihre Rache an dem ungewollten Störenfried gewesen. Dafür, dass ich sie aus einer sorglosen Pärchenzeit und Reisen quer durch Europa mit ihrem Bully herausgerissen und in ein kleinbürgerliches Familiendasein gezwungen hatte. Horst-Herbert klingt wie der Spacko, der sich am Morgen nach einem Fest über die sumpfigen Reste in den Biergläsern hermacht, ohne zu merken, dass gut die Hälfte als Aschenbecher missbraucht worden ist. Horst-Herbert ist die gescheiterte Existenz, die nach einer Superzeit in einer balinesischen Hippie-Kommune nicht mitbekommen hat, dass Aussteigen nur als junger Mensch cool ist und der nun als Mittfünfziger im Krankenhaus Bettpfannen von Hand auswischen darf. Weil er den Absprung ins Establishment nicht rechtzeitig geschafft hat.

      »So viel korrekter hört sich Topsi aber auch nicht an«, bemerkte Attila.

      Na Bravo!, dachte ich. Fehlte bloß noch, dass Miriam ihren Senf dazugab. Doch Miriam sortierte Zuckertütchen in den Getränkewagen.

      Stattdessen kam mir Sarah zu Hilfe: »Attila Huber würde ich mich auch nicht taufen lassen, wenn ich es mir aussuchen könnte.«

      »Warum denn nicht? Das hat wenigstens einen internationalen Touch. Attila Huber, damit hast du in einem Namen den gesamten Spannungsbogen der Kulturen mit drin. Wie eine Brücke zwischen Okzident und Orient, verstehst du?« Der Deutsch-Türke stand breitbeinig da und gestikulierte mit der Rotweinflasche, die er gerade öffnen wollte. Er grinste Sarah an. Mit seinem Mongolenbart und dem kurzen Zopf war er definitiv viel mehr Attila als Huber.

      »Ja klar, Spannungsbogen. Verstehe!«, erwiderte Sarah. Aber es waren nicht ihre Worte, die mich aufmerken ließen. Vielmehr war es eine Geste, die ich beinahe übersehen hätte, weil ich mich schon wieder Attila zuwandte. Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, wie sich Sarahs Backe zweimal kurz wölbte, weil sie von innen mit ihrer Zungenspitze dagegen drückte. Attila wandte sich seinen Weinflaschen zu. Das war auch besser so, denn die Touristenklasse war im Gegensatz zum Rest des Fliegers gut besucht. Inge hatte uns nicht umsonst zu fünft nach hinten geschickt.

      Sarah und Miriam würden zusammen den einen Gang übernehmen, Nina und ich den anderen. Attila war die Galleymaus. Als solche würde er sich in der Bordküche um die Essen und den Nachschub kümmern, wenn wir draußen bei den Gästen waren und etwas brauchten. Ich hatte

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