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Mienen auf den Emporen, hundertfach abgetastet durch die Blicke der ausländischen Junggesellen, die sich allabendlich zu Füßen der blutjungen Tänzerinnen an kreisrunden Bartresen versammelten und die Lage sondierten - rösig und aufgedreht-heiter die einen, ganz offensichtlich peinlich berührt und zugleich fasziniert die anderen. Mit der affektiven Neutralität eines Baumarktkunden baten die Gäste einzelne Mädchen von der Tanzfläche herunter, spendierten den so genannten "Lady's Drink", und fragten nach Konditionen und Preisen. Die Kellner berieten und kassierten, während die jungen Mädchen mit so unbeteiligtem Mienenspiel dabeistanden, als ginge es um den Kauf einer Zugfahrkarte.

       Flüchtete sich der Besucher vor dieser deprimierenden Wiederkehr des Gleichen in die großen Biergärten, geriet er unvermittelt in ein schwer durchschaubares Reich der Fiktion. Hier war nichts wirklich das, was es zu sein schien: Die Thai-Boxer, die sich in großen Boxringen oberhalb der langen Biertheken gegenseitig gegen Köpfe und Schultern traten, kämpften nur im Konjunktiv. Es wurde geklatscht und gestöhnt, doch alle Muskelkraft verpuffte in einer artistischen Leere. Die Touristen, die an den Tresen hockten, taten so, als würden sie den Thai-Boxern zuschauen, und die Mädchen, die die Getränke ausschenken, gebärdeten sich, als könnten sie sich spontan in jeden westlichen Biertrinker verlieben. Die langen Thekenkarees waren auf Familien aufgeteilt, bei denen die Mütter den Ausschank überwachten und die Töchter munter zapften und bedienten - kokett und frivol eine jede, doch längst nicht jede stand auch zur Prostitution zur Verfügung, eine Tatsache, die manch ein Tourist erst bemerkte, wenn er an eben der Theke eine gehörige Rechnung hatte auflaufen lassen. Was hier abging, war routiniertes Geschäft, und je deutlicher ein Urlauber sich seine Begierde anmerken ließ, desto stärker würde er trinken und löhnen müssen.

       Diese Begierde stand am Anfang der Erfolgsgeschichte Pattayas, und ihre Monomanie ist es, die den Ort in die Sackgasse geführt hat. Die verlockenden Nachrichten von willigen Thai-Mädchen, die für kleines Geld auch den Busfahrer, Tankwart oder Schulmeister in einen Märchenprinzen unter Palmen verwandeln, hatten der Expansion des ehemaligen Fischerdorfes seit der Mitte der Achtziger Jahre eine gewaltige Schubkraft verliehen. Längst ging die Zahl der Übernachtungen jährlich in die Millionen, wenngleich die Pro-Kopf-Ausgaben des durchschnittlichen Pattaya-Touristen zu sinken schienen. Waren es früher überwiegend zahlungskräftige Kurzzeiturlauber, die die Korken knallen ließen, kommen nun immer mehr Auswanderer mit bescheidenem Budget nach Pattaya. Auch die Ostasiaten und Inder, die mittlerweile in großer Zahl Pattaya besuchen, sind nicht gerade als besonders freigiebig bekannt. Außerdem litt der Ort immer stärker unter der Abwerbekraft der inländischen Konkurrenz, denn in Phuket, Krabi und Kosamui waren die jungen Prostituierten nicht weniger willig, die Preise aber moderater und die Sonnenuntergänge beeindruckender als in Pattaya.

       Die Tourismusverantwortlichen der Stadt wollten diese Erklärungen nicht gelten lassen. Sie machten die negative Berichterstattung der ausländischen Presse für den touristischen Niedergang Pattayas verantwortlich. Jeder Unfall, jede Schlägerei oder Todesfall müsse dafür herhalten, immer die gleichen Vorurteile wiederzukäuen. Auch die alten Geschichten von einer deutschen Mafia und dem sogenannten "Herzunfall von Pattaya" (ein Euphemismus für den Rauschgifttod) würden maßlos übertrieben. Im Tourismusbüro von Pattaya lagen inländische Zeitungen aus, die in großer Aufmachung über die Zerschlagung zahlreicher Mädchenhändler-Banden zwischen Bangkok und Pattaya berichteten. Doch diese Erfolge blieben im Ausland nahezu unbeachtet. In Wahrheit sei Pattaya längst dabei, eine clean City zu werden, versicherten die Verantwortlichen, ein verlockendes Ziel für neue Nachfragegruppen, und die ersten Schritte auf dem Weg zu diesem Ziel seien bereits mit Erfolg gemeistert worden.

       Tatsächlich konnte die Tourismus-Behörde seit einigen Jahren auf nachhaltige Anstrengungen verweisen. Eine spezielle Touristenpolizei kümmerte sich neuerdings um nichts anderes als die Belange und Beschwerden der ausländischen Gäste. Mit beachtlichem Kapitaleinsatz wurden neue touristische Sehenswürdigkeiten etabliert: So können Besucher, die ihren Urlaub nur in Pattaya verleben, im Freizeitpark Little Siam die unterschiedlichen Attraktionen Thailands im Miniaturformat betrachten. Es gibt einen Rock Garden, eine Crocodile Farm, eine Alcazar­Transvestiten­Show, und auch auf Elefanten kann man außerhalb der Stadt ein wenig reiten. Internationale Tennisprofis schwingen alljährlich ihr Racket bei den Pattaya Open, und beim alljährlichen Pattaya-Marathon wird auf Kosten der Stadt Läuferprominenz aus allen Erdteilen eingeflogen, um für eine fette Siegprämie zur Erbauung der Urlaubsgäste mit interessierten Sextouristen um die Wette zu rennen. Allerdings erbrachten die Anstrengungen auch unerwünschte Effekte. All die Ayutthaya- und Sukhothai- Attrappen, die es vor Ort zu sehen gibt, die müden Krokodile, und die Elefanten, die Touristengruppen durch flaches und uninteressantes Gelände tragen, wecken bei der anspruchsvollen Kundschaft eher Unbehagen - und die kontraproduktive Lust auf einen Besuch der wirklich exotischen Ecken des Landes. Außerdem hat sich im Zuge der touristischen Diversifizierung der Anteil der inländischen Gäste Pattayas erhöht, was an sich erfreulich wäre, wenn nicht der durchschnittliche Thai-Urlauber weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Fernreisenden ausgeben würde.

       Der gediegene Fernurlauber mit Familie aber will einfach nicht in den Massen kommen, die man sich erhofft – und das nicht ohne eine gewisse Berechtigung. Denn trotz aller Mühen seiner tüchtigen Touristikverwaltung bleibt der Ort als ein früh geborenes und wildgewachsenes Kind des Fernreisetourismus seiner berühmt-berüchtigten Gestalt verhängnisvoll verbunden. Denn um eine bittere Wahrheit kommen auch die größten Optimisten nicht herum: Die Stadt gänzlich von der Prostitution zu säubern, wäre ihr Ruin, denn Tauchen, Elefantenreiten, Tempelattraktionen, Strände und Märkte gibt es in Thailand an anderen Orten in weit eindrucksvollerer Weise als in Pattaya zu sehen. Sanguiniker fahren woanders hin.

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