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wie Diamanten und gaben ihm beinahe den Ausdruck des Schmerzens-mannes bei Tizian, fehlten nur noch die Attribute, Dornenkrone und Ahornstab. Moll wagte kaum, den Blick zu heben und er fühlte jenen der anderen schwer in seinem Nacken lasten. „Was haben Sie denn?“, fragte Sybilla Trinks. Gott, ist diese Frau naiv, dachte Moll, und zum ersten Mal spürte er, dass sie ihm plötzlich ganz unsäglich auf die Nerven ging. Warum musste er sich ausgerechnet zu ihr setzen? „Ja, haben Sie nicht gesehen, wie er mich gedemütigt hat, vor allen Leuten?“ „Wieso denn? Mir ist nur aufgefallen, dass Sie etwas länger gebraucht haben, ihre Salatschüssel zu füllen“, sagte sie beinahe belustigt. „Ach was!“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Sie sind ja richtig leicht aus dem Konzept zu bringen!“ setzte sie nach. Moll kostete vom Salat. Mit kauendem Mund meinte er: „Mir ist nichts so zuwider, wie enge, heiße Räume!“, und er lockerte ein wenig seine Krawatte, die sich wie ein Seil um seinen Hals zu legen drohte. „Enge Sitzreihen! Im Kino! Oder gar im Flugzeug! Nein, fliegen, dass kann und will ich nicht mehr. Da bekomm’ ich Zustände, sag’ ich Ihnen. Ganz fürchterlich!“ „Also Klaustrophobie?“ „Quatsch! Ich will einfach mit niemandem mehr meinen Platz teilen müssen. Wie komm’ ich denn dazu? Es gibt jede Menge Platz! Warum muss ich ...?“

      Er hielt inne. Jetzt war es wohl passiert. Sie musste sich bereits das fürchterlichste Bild von ihm gemacht haben. Ja, jetzt war es draußen. Moll, der ewige Nörgler und Meckerer! Das Bild vom sensiblen interessanten distinguierten Gentlemen war dahin! Restlos! Stattdessen hatte er den Choleriker hervorgekehrt! Und Schuld hatte einzig und allein der Baron! Warum bin ich nicht auf meinem Zimmer geblieben? Oder hätte ich mich besser zu Manon setzen sollen? Er war im Zweifel, ob dieser Abend überhaupt noch zu retten war. Er dachte daran, schnell von sich abzulenken, daher sagte er: „Der Baron – ein seltsamer Mensch eigentlich, finden Sie nicht?“ „Was denn für ein Baron?“, fragte Trinks neugierig. Moll deutete mit seinem Kopf hinüber zu Rabitsch. Sybilla Trinks lachte auf. „Ach, haben Sie ihm einen Titel verschafft? Also, das finde ich großartig, wirklich!“, und sie lachte aber-mals herzlich. „Sie sind schon wirklich auch ein komischer Kauz, Herr Moll!“, sagte sie, „aber ein liebenswerter!“, und blickte ihm abermals tief in die Augen. Was hat sie vor, dachte er? Was soll das jetzt? Ich bin doch durchgefallen, oder? Ich muss bei ihr durchgefallen sein! Das Gefühl kenne ich. Ich – ich – ich kann nicht! Dann lassen sie`s, hatte der Professor damals zu ihm gesagt, lassen sie es einfach! Moll spürte neuerlich, wie seine Stirn feucht wurde. Da, plötzlich der erlösende Auftritt des Verwalters. Gott sei Dank! Ich bin gerettet!

      Jetzt nimmt alles eine völlig andere Wende - und ich brauche gar nichts dazu tun, fuhr ihm durch den Kopf. Der Verwalter Franz Eder hatte den Salon mit freundlichem Lächeln betreten und begrüßte die Gäste mit den Worten: „Verehrte Herrschaften! Erlauben Sie mir vorerst einmal, ihnen einen guten Appetit zu wünschen, und zwar auch denjenigen, die, hoffentlich nur vorübergehend, auf Diät gesetzt sind!“ Man applaudierte. „Und jetzt darf ich Ihnen mitteilen, dass wir heute Abend eine kleine Tanzveranstaltung geplant haben, zu der ich sie alle sehr herzlich einladen möchte, um damit das kommunikative Element unseres Hauses zu unterstreichen. Zu diesem Zweck wird uns ein beliebtes Unterhaltungsensemble die Ehre geben. Manche von Ihnen kennen die Kapelle ja bereits von vergangenen Veranstaltungen. Und nun zum etwas nüchtereren Teil meiner kurzen Rede, ich darf die Neuankömmlinge ersuchen, hernach in mein Büro zu kommen, damit wir auch den notwendigen und leider unerlässlichen Papierkram erledigen können. Recht herzlichen Dank! So, und jetzt lassen Sie sich bitte nicht weiter stören. Ich wünsche ihnen einen wunderschönen Abend.“ Applaus. „Na bitte!“, freute sich Sybilla Trinks, „der Abend ist gerettet. Was sagen Sie?“ Norman Moll nickte stumm. „Ja, tanzen Sie nicht gerne?“ „Oh, doch, doch. Ich freue mich!“, sagte er nachdenklich.

      Irgendjemand hatte die Türen zur Terrasse geöffnet. Milde Luft strömte in den schwülen Raum und Norman Moll atmete tief durch. Es war, als hörte man von Ferne leises Donnergrollen. Ein leiser Windhauch bewegte sanft die seidenen Vorhänge, kaum merkbar. Die Ankündigung des Verwalters hatte zwar nicht bei allen Gästen helle Begeisterung her-vorgerufen, doch immerhin die Gemüter im Salon so weit bewegt, dass an allen Tischen rege Unterhaltung entstanden war. Rabitsch war aufgesprungen und hatte grinsend ein paar Tanzschritte versucht, während ihm seine Gefährtin ein Kussmündchen zuschickte. Moll wandte sich angewidert von ihm ab und verdrehte die Augen. Nur der junge Manon blickte gelangweilt in die Runde. Sybilla Trinks aß die Reste ihres Salates. Moll fühlte, wie er sie bereits um die schmale Taille nahm und im Sambaschritt auf die Terrasse entführte. Sie hatte sich nicht allein durch ihre textile Inszenierung zu einem erotischen Objekt für Moll gemacht, oder doch, in gewisser Weise vielleicht, und Moll stellte sich naiv genug, um sich von ihr umgarnen zu lassen. Es bedurfte allerdings keines Dekolletés, archaischen Adelsprivilegs, auch High Heels waren nicht vonnöten, nein, Sybilla Trinks hatte sich in keiner Weise durch Übertreibung weiblicher Attribute zum Super-weib transformiert, hatte es auch nicht darauf angelegt, ihren Körper zu überzeichnen, durchaus nicht, sondern - es lag eher an der Lust des Schauens, vor allem aber am Geruch, an Haar und Körper, wodurch Moll so getrieben schien. „War das alles, was Sie essen?“, fragte sie. Moll zuckte mit den Augenlidern. „Ich, äh, pflege auch abends eher wenig zu nehmen“, sagte er beiläufig. „Na, dann! Ich hole mir meinen Umhang. Es scheint ein wenig kühl zu werden.“ Sie stand auf und verließ den Salon.

      Frau Haase und Professor Ebner waren mit dem Essen fertig. Er stand auf, trat hinter ihren Sessel und war ihr beim Aufstehen behilflich. Beide verließen den Salon. In der Zwischenzeit hatte sich Traunstein mit Manon unterhalten, jetzt eben im Begriff, gemeinsam auf die Terrasse zu gehen, um ein wenig frische Luft zu atmen. Im Vorbeigehen warfen sie Moll einen freundlichen Blick zu, beinahe auffordernd, mitzukommen. „Lieber Freund“, sagte der Graf, „wollen Sie uns nicht begleiten?“ Ja, er wollte schon. „Gerne! Einen Augenblick!“, antwortete Moll und beobachtete Manon und den Gra-fen, als sich die beiden durch die mittlere Terrassentür nach draußen begaben. Moll dachte an den Baron. Vielleicht war auch nur alles ein Missverständnis, und er hätte unrecht, wenn er Rabitsch verurteilte. Niemand kannte die näheren Verhältnisse, die dahin geführt hatten, und so beschloss er, sich für heute vorzunehmen, an das Gute zu appellieren und das Positive zu erkennen. Man war eben sensibel und empfindlich bei Dingen, welche die Norm des Verständlichen bei Weitem überschritten. Das Alter, dachte Moll. Ich werde alt, senil und intolerant, ja. Meine Welt – mein Horizont wird kleiner. Früher, da hätte ich mir nichts dabei gedacht. Das war in Ordnung. Jeder, wie er konnte. Aber – nein, es war nicht recht, es widersprach dem Reglement des Ästhetischen, vor allen Leuten hier – und alle wussten es. Der Baron wurde zu einer Konstante, dessen war er sich bewusst. Und er, Moll, war – ich bin der unproblematischste Mensch von der Welt, dachte er und stand auf, um langsam nach draußen zu gehen.

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