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Rosa von Lima hat einen eigenen Altar. Rose entdeckte ihn vor mir. So, als zögen Rosen Rose an. Ab da ist und bleibt die Heilige Namenspatronin meiner ungläubigen Frau.

      Gedränge wie auf einem Flohmarkt. Jeder will eine Kerze anzünden. Noch so viele Kerzen können den Kampf mit der Dunkelheit des Raums nicht gewinnen. Bunte Mäntel haben kaum Chancen gegen all die dunklen um sie herum. Es ist, als ginge es zur Beerdigung. Dunkel ist heilig. Ich empfinde genau andersherum. Sollten mit hellen Kleidern zeigen, dass sie sich freuen, einen Antonius zu haben. Andere Christen haben keinen Wiederbringer. Vielleicht meinen sie auch, der Umweg über einen Heiligen ist Gotteslästerung.

      Sogar ich betete dann und wann zum Heiligen Anton, damit er mir hilft, aus dem Blick Geratenes wiederzufinden. Es fand sich. Meistens. Nicht immer. Rose ist skeptisch bei solchen Ritualen. Sie durchforstet erst mal ihr Gedächtnis. „Wo ist es normalerweise? Gefallen? Verrutscht? Verschoben? Wo war ich zuletzt? Was hatte ich an? Und so weiter. Immer aber lasse ich mir Zeit. Irgendwann wird es schon wieder da sein.“

      Rose überzeugte mich. Machte es ab da auch so. Kann aber nicht verhehlen, dass mir gelegentlich spontan über die Lippen rutscht: „Heiliger Antonius, hilf.“ Katholische Erziehung sitzt tief.

      In den Buden vor der Kathedrale glitzert der Wunderglaube mit Lichterketten. Dicht an dicht Kerzen aller Längen und Dicken. Antoniusfiguren von handspannenklein bis lebensgroß. Gebetbücher. Rosenkränze mit erbsenkleinen und wallnussgroßen Rosenkugeln. Ansichtskarten. Antoniusbildchen. Leporellos der Stadt Padua. Pillendöschen. Pralinendosen. Schmuckkassetten. Auf allen der Heilige. Übersicht keine. Nur blind zugreifen hilft. Oder weitergehen. Mit schlechtem Gewissen.

      Im Mittelalter glaubten die Menschen alles, was ihnen ewiges Heil versprach. In Worten und Bildern. Den Antoniuskult, wie wir ihn kennen, gab es noch nicht. Obwohl der Mönch schon 1227 als Bußprediger auftrat. Er interpretierte die Bibel als Aufforderung, für Sünden zu büßen.

      Es gab einen ganzen Katalog von Bußen. Jeder nach seinen Möglichkeiten. Seine Botschaft war Richtschnur für jedermann. Ob er nun ein armer Teufel war, der mit zehn Vaterunser des Himmels ziemlich sicher sein konnte. Oder ein vermögender Mensch, der mit reichlich Spendengeld seine Seele retten wollte. Und überhaupt nicht sicher sein durfte. Von wegen: Eher kommt ein Kamel durch´s Nadelöhr als … ein Reicher in den Himmel. Trotzdem versuchten sie es immer wieder. Und glaubten, das Öhr einer Stopfnadel ist groß genug für sie. Diesmal weiß ich mehr. Erzähle Rose eine Geschichte.

      „Am 6.Februar 1300 kaufte der Bankier Enrico Scrovegni aus Padua das verfallene römische Amphitheater, um auf den Trümmern einen Palast und eine Kapelle zu bauen. Die Kapelle sollte seinem Vater, dem Bankier Rinaldo Scrovegni gewidmet sein. Der war kein armer, sondern ein arger Teufel. Dante nannte ihn in seiner ‚Divina comedia’, Göttliche Komödie, mit Namen. Er beschrieb ihn als einen Typ von Wucherern, die wegen ihrer Geschäftsmethoden in der Hölle schmoren.“

      Ich hatte viel gelesen, sogar behalten. Weiß, dass Rose die Hölle mehr interessiert als der Himmel. „Erzähle weiter“, fordert sie mich auf. „Sohn Enrico glaubte, mit dem Bau einer Kirche könnte er das Sündenregister seines Vaters löschen. Im Nachhinein Abbitte leisten, damit er doch noch in den Himmel kommt. Gewissermaßen das Sühneopfer des Sohnes für den Vater.“

      Solche Geldgeschäfte waren an der Tagesordnung. Ob das klappte? Kein Mensch kann das kontrollieren. Nur glauben. Oder nicht. Vorsichtshalber engagierte er die berühmtesten Künstler seiner Zeit für die Ausgestaltung der Kapelle. Sie sollte die schönste weit und breit sein. Gott und den Menschen wohlgefällig. Was uns heute dieses einmalige Erlebnis beschert. Giotto di Bondone bemalte den ganzen Innenraum vom Sockel bis zur Decke mit fortlaufenden Bildergeschichten aus dem Leben Jesu.

      Giotto ist für uns der größte Maler des Mittelalters. Kennen seine Bilder aus Santa Croce in Florenz und aus der Unterkirche in Assisi. Es sind Meisterwerke. Der Maler überragte alle Zeitgenossen mit einer neuen, naturalistischen Malweise. Die bis dahin zweidimensional Figuren, Häuser und Bäume nebeneinander stellte. Hier in Padua stehen sie in Gruppen. Wichtige vorne, andere im Hintergrund. Kommen uns quasi aus dem Raum entgegen. Die Landschaft dahinter verjüngt sich perspektivisch. Perfekt. Modern. Echt dreidimensional.

      Dieses Meisterwerk wollen wir kennenlernen und in allen Details betrachten. Es hat fast achthundert Jahre in seiner Farbenpracht überdauert. Ohne nennenswerte Restaurierung. Ein Beweis für Giottos perfekte Handwerkstechnik. Fahren mit der Bahn nach Padua, laufen die zwei Kilometer bis zur Scrovegni per pedes. Erst einmal warten wir eine halbe Stunde in einer Art Schleuse. Glaskubus mit Sitzbänken. Jede Menge Drucksachen, damit uns die Zeit nicht zu lang wird. Literatur zur Vorbereitung auf das Kunsterlebnis im kirchlichen Raum.

      Zweck des Aufenthalts: Mit ausgefeilter Technik wird die Feuchtigkeit unseren Kleidern entzogen. Damit sie den Fresken nicht schadet. Dann dürfen wir die heilige Halle betreten. Mit acht anderen. Maximal zehn Personen gleichzeitig.

      Erster Eindruck so wie in allen Kirchen. Eine Welt, die mit draußen nichts zu tun hat. Hier herrscht ein anderer, ohne dass wir ihn sehen. Außer in Giottos Fresken. Ist es das Bewusstsein, das uns vorgaukelt, hier ist das Haus eines Gottes, der Mensch wurde? Vor fast zweitausend Jahren. Mensch verstehen wir. Gott nicht. Mein ganzer Kunstverstand ist gefragt. Meine vergessenen Bibelgeschichten. Was also soll ich tun? Was Rose noch erzählen?

      Es bleibt uns nichts anderes, als von Bild zu Bild zu wandern. Stehenbleiben. Schauen. Nichts anderes als schauen. Bei dem einen länger verweilen als bei anderen. Der Judaskuss hält uns fest. Nicht, weil er seinen Herrn küsste. Sondern weil sein Mantel den armen Jesus einzufangen scheint wie ein Lamm. Schlachtbank kommt sofort. Nicht alles vergessen.

      Giottos Kunst holt alles aus dem Hirn, was irgendwann einmal gespeichert war. Wir schwanken von Bild zu Bild. Immer mehr als Opfer der Kunst. Nicht als Subjekte, die wissen, was sie bedeutet.

      Eigentlich müssten wir immer mal wieder in diese Bilderkammer schauen. Uns vom Ganzen lösen und in intime Details abtauchen. Wie in Brunnen. Um Erkenntnisse zu schöpfen. Gründlich vergessen, dass ein Bestechungsversuch Anlass für diese einmalige Bilderwelt war. Die noch lange mit teurem Eintrittsgeld nachfinanziert werden muss. Damit erhalten bleibt, was ist.

      Schätze, Vater Rinaldo Scrovegni dürfte noch lange nicht im Himmel sein.

      VICENZA – Architektur mit Langzeitwirkung

      Vicenza ist die Palladiostadt. Laut UNESCO. In keiner anderen treffen wir auf so viele bedeutende Gebäude eines einzigen Architekten. Ich möchte drei von ihnen sehen. Als Architekten interessiert mich, was daran so anders, so besonders ist. Das Teatro Olimpico und die Basilika in der Stadt. Die Villa Rotonda außerhalb. Es sollen drei Baukonzepte sein, die nicht gegensätzlicher sein können und doch erkennbar Palladios Handschrift zeigen.

      Es ist ein schöner Frühlingstag, Rose in bester Stimmung. Neugier und Anspannung treiben mich an. Der kleine Architekt will den großen kennenlernen. Habe zwar nur ein einziges Haus gebaut. Aber den besten Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie gehabt. Hans Schwippert, letzter Präsident des Werkbundes. Nachfolgeorganisation des berühmten ‚Bauhaus. Das die Moderne einläutete. Er lehrte, stimmige Verhältnisse sind das A & O der Baukunst. Wie aber kriegt man das hin? Vielleicht hat Palladio ein Rezept.

      Wir schlendern durch die Straßen. Die Häuser sind freundlich und hell, aus gleichem Stein die Fassaden. Man findet ihn vor der Haustür, im julischen Kalksteingebirge nördlich von Triest. Genau genommen stammen nur vier oder fünf Palazzi und Wohnhäuser aus der Hand Palladios. Alle anderen sind von späteren Kollegen nachempfunden. Wo ist das Teatro? Meine Neugier wächst. Da der Bau an der Ecke. Wie viele Schätze äußerlich bescheiden. Aber drinnen.

      Wir verhalten unsere Schritte. Als beträten wir eine Kirche. Der Raum wie eine Muschel erster Eindruck. In der Nase Holz. Warmtonig duftendes Pinienholz. Alles aus Holz. Das Rund der Bänke bis obenhin. Der Boden, die Decke. Die Bühne. Die Kulisse einer Stadt aus Holz, die Stein vortäuscht. Straßen, Paläste, Skulpturen von Pinselquälern steingenau gestrichen. „Immer dasselbe Bühnenbild?“ Rose fragt, denkt an Peter Stein. „Stein inszenierte ‚Carmen’ in einem

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