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Seine Aussagen zu Taktik und Strategie sind legendär. ‚Mal verliert man und manchmal gewinnen die Anderen‘, oder: ‚Wir spielen am besten, wenn der Gegner nicht da ist‘. Da geht doch das Herz eines jeden Freizeitkickers auf und man möchte König Otto in inniger geistiger Verwandtschaft umarmen. Wer nun aber glaubt, Freizeitfußballer benötigen im Spiel gar keine Organisation, der irrt. Ja, die Position des Trainers wird bei Freizeitkickern argwöhnisch beäugt, die strategische Ausrichtung ist sicher etwas verkümmert. In einer Horde von Freizeitkickern ist der Trainer aber entweder der Älteste, oder der Schlaueste, oder der mit dem höchsten Bierkonsum, oder der am meisten redet, oder der am wenigsten redet. Wenn du nun selbst die grandiose Idee verspüren solltest, man könnte doch einfach alle elf Spieler auf der eigenen Torlinie platzieren, so kann ich dir versichern, dies hilft nicht wirklich weiter. Der Fachausdruck für diese Strategie lautet übrigens: Beton anrühren.

      Natürlich braucht es auch richtige Regeln, um das potentiell anarchische Treiben in ein geordnetes Gegeneinander zu überführen und ohne ernste Gewaltanwendung, nach neunzig Minuten, gesittet beenden zu können. Diese Regeln werden von einem Seniorenbund, der sogenannten FIFA mit Sitz in Zürich, festgelegt. Die Königsdisziplin ist die Abseitsregel. Ich will gleich anmerken, auf die Einzelheiten der Abseitsregel werde ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Zugegeben, auch weil ich selbst diese Regel nicht in allen Einzelheiten verstehe. Unkundige in der Welt des Fußballs müssen sich mit folgender Erklärung zufrieden geben: Wenn der Schiedsrichter auf Abseits entscheidet, ist der Angriff der einen Mannschaft leider beendet. Selbst wenn der Ball im Tor des Gegners war, das Tor zählt nicht. Diese Situation kann als coitus interruptus des Fußballs gelten und führt immer zu großer Weinerlichkeit. Jede Entscheidung des Schiedsrichters auf Abseits, wird von der angreifenden Mannschaft grundsätzlich mit einem stöhnenden und langgezogenen ‚Neiiiiiin‘ kommentiert. Und dies ist noch die höfliche Variante. Der Seniorenbund aus Zürich hat die Abseitsregel im Lauf der Jahre immer weiter verkompliziert. Deshalb braucht es einen Sachverständigen auf dem Platz, der die Abseitsregel versteht, oder wenigstens so tut als würde er sie verstehen, und der eine Entscheidung treffen kann. Dabei ist unwesentlich, dass Spieler und Zuschauer diese Regel nicht verstehen. Dieser Sachverständige ist der Schiedsrichter. Er wird auch gerne als schwarzer Mann bezeichnet, was aber nichts mit seinen Pigmenten zu tun hat. Vielmehr waren Schiedsrichter in früheren Jahren schwarz gekleidet. Das ist heute nicht mehr so. Man kann sich nun sehr gut vorstellen, dass aktive Teilnehmer und passive Zuschauer eher selten mit den Entscheidungen des schwarzen Mannes einverstanden sind. Dies ist ganz normal und Teil des Spiels, weil doch jede Wahrnehmung selektiv, respektive subjektiv ist. Dadurch entstehen emotional überladene Situationen auf dem Feld und bei den Zuschauern, die dem Spiel eine gewisse Würze geben. Verbale Unmutsäußerungen sind absolut üblich und werden im Rahmen eines Fußballspiels auch von allen Beteiligten toleriert. Angedrohte und manchmal auch tatsächlich vollzogene Gewalthandlungen kommen eher selten vor, sind aber auch nie auszuschließen. Eine gewaltfreie Konfliktlösung hängt wesentlich von einer gelungenen Sozialisation der Beteiligten ab. Eine schwere Kindheit wäre da hinderlich. Hier erleben wir natürlich eine große soziale Differenzierung. Der Schiedsrichter muss im Konfliktfall autoritär und regulierend eingreifen. Seine wichtigsten Waffen sind zwei Karten in der Brusttasche. Vielleicht hast du diese schon mal im Fernsehen gesehen. Die eine ist gelb und die andere ist rot. Die gelbe Karte ist nicht so schlimm. Sie wird durch den Schiedsrichter als pädagogische Maßnahme häufig und gezielt eingesetzt. Die rote Karte dagegen löst schlagartig Entsetzen aus. Der Spieler muss wegen ungebührlichen Verhaltens den Platz verlassen, kann vorzeitig und alleine duschen. Manche mögen sagen, das hat auch seine Vorteile. An alle Unwissenden sei aber gesagt: Dies ist eine Schande und wird von den Betroffenen auch so erfahren. Es kam übrigens auch schon vor, dass ein Spieler, nach einer vermeintlichen Fehlentscheidung des Schiedsrichters, diesem die rote Karte aus der Brusttasche zog und sie dem Schiedsrichter selbst zeigte. Wenn du dies mal im Fernsehen sehen solltest, lass dich nicht verwirren. Du weißt jetzt, Spieler haben keine Karten, nur der Schiedsrichter hat welche.

      Körperliche Attacken im Kampf um den Ball sind Teil des Spiels und unter bestimmten Voraussetzungen auch erlaubt. Attackiert ein Spieler seinen Gegenspieler aber mit roher Gewalt, spricht man von einem Foul. Ob eine körperliche Attacke als rohe Gewalt oder als ein sauberes Tackling zu bewerten ist, darüber gehen die Meinungen bei allen Beteiligten regelmäßig weit auseinander. Auch hier gilt zunächst die alte Weisheit: Ein Foul liegt vor, wenn der Schiedsrichter pfeift. Der Gefoulte darf dann als Trost einen Freistoß ausführen. Ein Freistoß ist aber nicht etwa ein Revanchetritt gegen den Übeltäter, sondern lediglich ein Tritt gegen den Ball, müsste also eigentlich Freischuss heißen. Ein Freistoß kurz vor dem Tor ist natürlich besonders aufregend, weil ja vielleicht mit einem einzigen Schuss der Ball direkt ins Tor des Gegners gewuchtet werden könnte. Deshalb bildet die verteidigende Mannschaft eine Mauer aus Menschenleibern, deren Mitglieder sich ängstlich die primären Geschlechtsmerkmale abdecken, damit der Freistoß keine bleibenden Schäden am Genmaterial anrichten kann. Vor diesem Hintergrund ist nur zu verständlich, dass manche Fußballspieler mit Vorliebe in der Nähe des gegnerischen Tores reklamieren, sie wären gefoult worden, um einen spannenden Freistoß zu erhalten. Diese Schauspieleinlage nennt man Schwalbe, hat aber nichts mit dem Tierreich zu tun. Ein Kamerad, der schon bei geringster Berührung, oder gar bei einem Luftzug fällt und Foul reklamiert, wird von den Zuschauern als Schwalbenkönig verspottet. Er ist auch bei den Gegenspielern nicht gut gelitten, weil eben eher Schau- und nicht Fußballspieler.

      Im Zentrum des Spiels steht also der Schiedsrichter. Er allein entscheidet, ob Schwalbe oder Foul, gelbe oder rote Karte, Tor oder kein Tor, Abseits oder kein Abseits. Der Schiedsrichter hat offensichtlich einen sehr schweren Job. Dafür erhält er bei Spielen von Freizeitkickern auch eine Antrittsprämie von 40 Euro, quasi Schmerzensgeld. So, ich habe nun einige Grundlagen für Unwissende erklärt. Im Hauptteil aber nicht mehr. Irgendwann müssen diese Dinge auch verstanden werden. Wir kommen jetzt zur Sache und nun ist Schluss mit Erklärungen!

      Die Betriebssportgruppe

      In diesem Buch wird die Geschichte einer Mannschaft von Freizeitkickern erzählt, die sich die Betriebssportgruppe nennt. Dieser Name ist vielleicht nicht ganz so amüsant wie Adam und die Füchse oder Dynamo Schweißfuß. Manche mögen einwerfen, der Name sei altbacken oder gar rückständig. Ja, vielleicht. Betriebssportgruppen haben nun mal ihre historischen Wurzeln in der Arbeiterbewegung des vorletzten Jahrhunderts. Dafür ist jene Betriebssportgruppe, um die es in diesem Buch geht, auch schon mehr als fünfzig Jahre existent, der Name bis heute in Stein gemeißelt. Eine Betriebssportgruppe gehört, wie der Begriff schon vermuten lässt, zu einem Betrieb. Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein international tätiges Unternehmen aus dem Bereich Marktforschung und jedermann bekannt aus den Wahlstudios bei Bundestags- und Landtagswahlen. Die überwiegende Mehrheit der Betriebssportgruppe ist dort auch beruflich tätig. Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz viel mit Zahlen und Statistiken zu tun haben, spielen auffällig gern Freizeitfußball. Die Komplexität dieses Spiels stellt nämlich eine mentale Herausforderung dar, was anziehend für Kopfarbeiter wirkt. Die rationale Welt der Zahlen hilft jedoch nicht wirklich weiter, um den Ball in das Tor der gegnerischen Mannschaft zu kicken. Bei den Freizeitkickern der Betriebssportgruppe gelten gänzlich andere Erfolgsfaktoren, nämlich Kommunikation, Feinmotorik, Trinkfestigkeit und eine gesunde Physis.

      Das Geschehen, von dem hier berichtet wird, fand zu Beginn dieses Jahrtausends statt. Um genau zu sein, in den Jahren 2001 bis 2003. Es waren drei fette Jahre für die Betriebssportgruppe. Immer ausreichend Kameraden, Wirtshäuser, Tore und Gegner. Gespielt wurde in der größten Vereinigung von Freizeitfußballern in Deutschland, der Royal Bavarian Liga in München, kurz RBL genannt. Mehr als zweihundert Mannschaften, oder soll man besser sagen Horden und Stämme, spielen dort in vielen Ligen jedes Jahr um Aufstieg, Abstieg oder auch nur um die pure Bedeutungslosigkeit.

      Die Heimat der Betriebssportgruppe war in diesen Jahren der Eisenbahner Sport Verein in München. Das Gelände desselben liegt am Nymphenburger Schlosspark und wird von Eingeweihten gerne Acker Bolzpark genannt. Hier tummelten sich schon im 17. Jahrhundert die ersten königlichen Jagdgesellschaften. Vor einigen Jahren ist dort endlich Ruhe eingekehrt, nachdem mit weißer Kreide Linien aufgezeichnet und Tore verankert wurden. Der Acker Bolzpark ist heute eine Biosphäre und dient als Lebensraum für Freizeitkicker, Höhlenbrüter,

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